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Lünertorstraße 8

geschrieben von Irene Lange im Mai 2015

inst Brauhaus, heute moderne Anwaltskanzlei mit historischem Charakter

Einstmals lagerten unter dem Dach des Hauses in der Lünertorstraße 4 unzählige Säcke voller Gerste und Hopfen, denn wie nachgewiesen werden konnte, war das Gebäude, das aus dem 15. Jahrhundert stammt, von 1486 bis 1814 ein Brauhausbetrieb — wie etwa 80 weitere Bürgerhäuser in Lüneburg.
Was klingt, als sei das Brauen in der Salzstadt in jedem Privathaushalt üblich gewesen, unterlag in der Realität strengen Auflagen. Der Rat musste erst seine Einwilligung geben, bevor der Gerstensaft in den Kesseln gären konnte. Eine Ausbildung zum Brauer brauchte man hingegen nicht, auch talentierte Laien durften hier „mitmischen“.
Zum typischen Erscheinungsbild Lüneburgs mit seinen Brauhäusern, die ihr reisendes Publikum meist an Durchgangsstraßen empfingen, gehört auch die Hausstätte an der Lünertorstraße 4. Sie zeigt noch heute eine der am besten erhaltenen Fassaden Lüneburgs, die in den über 400 Jahren ihres Bestehens kaum verändert wurde. Wer nach oben schaut, findet in dem siebenteiligen Staffelgiebel zahlreiche runden Medaillons mit Porträtdarstellungen — heute zum Teil als Repliken.
Lässt man seiner Fantasie freien Lauf, so kann man sich vorstellen, wie die Knechte ihre Köpfe aus den hölzernen Luken mit den Klappläden heraussteckten. Ein leichtes Leben hatten sie nicht, sie wurden wie Leibeigene gehalten und verrichteten schwere körperliche Arbeiten. Allein die Wasserbeschaffung war mühsam und erfolgte über primitive Leitungssysteme. Verunreinigungen waren folglich nicht zu vermeiden, spielten allerdings durch das Erhitzen bei der Bierherstellung keine große Rolle mehr. Das Getränk galt in diesen Zeiten eher als Nahrungs- denn als Genussmittel und spielte in der norddeutschen Küche eine große Rolle. Es war die Basis vieler Gerichte und wurde zu allen Mahlzeiten gereicht; sogar Kinder tranken den nahrhaften vergorenen Getreidesaft. Wer über genügend Geld verfügte, leistete sich Starkbier, das meist zu Festgelagen auf den Tisch kam. Das Dünnbier trank man im Alltag oder wenn der Geldbeutel nur schmal bestückt war.
Wie der Straßenname schon aussagt, führte die Lüner­torstraße – einst eine gut frequentierte Durchgangs­straße — zum früheren Lüner Tor. Der Betreiber der Brauerei konnte folglich in seinem Haus mit zahlreichen durstigen Kehlen rechnen. Als 1845 der Kaufmann F. Westphal und später seine Erben Eigentümer des Hauses Nummer 4 wurden, war es endgültig mit dem Braubetrieb vorbei

Allein die Wasserbeschaffung war mühsam und erfolgte über primitive Leitungssysteme. Verunreinigungen waren folglich nicht zu vermeiden.

Später übernahm Maurermeister J. Päpper die Räume, in denen er bis 1939 lebte. In den folgenden Jahren wurde immer wieder an- und umgebaut und zuletzt im Jahr 1972 saniert. So befand sich hier für einige Jahre ein Fahrradladen mit Reparaturbetrieb, und die Stadt Lüneburg brachte zeitweilig das ­Jugendamt unter. Seit Mitte der 80er Jahre hat ­eine Anwaltskanzlei in dem weitläufigen Gebäude ihren Sitz. Beim Eintritt durch das Barockportal aus dem 18. Jahrhundert beeindruckt die hohe Diele mit den zum Teil noch erhaltenen Holzbalken aus dem 15. bzw. 16. Jahrhundert. Auch der Dachboden mit uralten Dielenbrettern, auf die tragende Balken einfach mit Vierkantsteinen aufgesetzt wurden, zeigt sich noch in seinem ursprünglichen Zustand.
Obwohl heute Schreibtische und Computer in den Räumlichkeiten des Gebäudes Braupfannen und Fässer schon längst verdrängt haben, ist hier ein Arbeitsplatz entstanden, in dem der historische Charakter weiterleben darf.(ilg)
Fotos: Enno Friedrich

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