Magazin über das Leben in Lüneburg
Themen
Alle Themen und Artikel

Sensationsfund in Lüneburg

geschrieben von Irene Lange im März 2015

Überreste von Napoleons Pferd an der Großbaustelle Wittenberger Bahn gefunden

Immer wieder neue Überraschungen geben die Grabungen in Lüneburgs Erde preis. An der Großbaustelle Wittenberger Bahn allerdings sind bisher vorwiegend Überbleibsel aus dem 2. Weltkrieg ausgegraben worden. Ein weitaus älteres Vermächtnis wurde nun bei den andauernden Erdarbeiten auf dem Gelände ans Tageslicht befördert: ein vollständig er­haltener Pferdeschädel sowie Teile des Tierskeletts. Nun hätte es sich hier durchaus um ein verendetes Tier handeln können, das noch vor dem Bau des Bahnhofgeländes auf dem Weideland verendet war. Doch hatte Bauleiter Jürgen Langmach den richtigen Riecher, als er Fragmente des Zaumzeugs von Erde befreite, die ihn stutzig machten. Er informierte sowohl die Stadtverwaltung als auch die Stadtarchäologie. Bei Stadtarchäologe Prof. Edgar Ring und Museumsdirektorin Dr. Heike Düselder stießen die tierischen Überreste auf großes Interesse. Auch ohne jegliche restauratorische Maßnahme sind deutlich ein Wappen mit drei stilisierten Bienen erkennbar ist. Die Vermutung liegt nahe, dass es sich um das napoleonische Wappen handeln könnte. Ein weiterer Fund sorgte unterdessen für Aufsehen: Bei der Bergung des Skeletts stieß man auf eine Schatulle, in der sich ein noch gut erhaltenes Dokument, befand, das den Hinweis darauf enthielt, dass es sich bei dem Pferd tatsächlich um den Araberhengst des Franzosenkaisers handele. Weitere Untersuchungen ergaben, dass die Knochen rund 200 Jahre alt seien, also aus der Zeit stammen könnten. „Für Lüneburg ist dies ein Sensationsfund!“, freut sich auch Bürgermeis­ter Eduard Kolle, der dem neu eröffneten Museum Lüne­burg damit ein weiteres Stück Lüneburger Stadtgeschichte zur Verfügung stellt.
Wie aber kam das Pferd Napoleons nach Lüneburg? Zahlreiche Vermutungen deuten darauf hin, dass dies mit der Schlacht an der Göhrde im Jahre 1813 in Verbindung zu bringen ist. Damals fanden dort die Befreiungskriege statt; preußische und russische Truppen hatten sich zu einem Bündnis gegen Frankreich zusammengeschlossen, um dessen Herrschaft in Norddeutschland zu beenden. Am 16. September 1813 kam es auf den Steinker Höhen in der Gemeinde Nahrendorf an der Göhrde zur Schlacht. Gegen Abend gelang es, die französischen Truppen zum Rückzug zu zwingen.
An der siegreichen Schlacht beteiligt war auch das Freikorps der Lützower, das im Juli 1813 das reguläre Armeekorps von General Wallmoden verstärkte. Bereits Ende Juni des gleichen Jahres hatte sich ein gewisser August Renz den Lützowern angeschlossen, um gegen die Franzosen zu kämpfen. Erst nachdem dieser Soldat an der Göhrde schwer verwundet wurde, entdeckte man sein wahres Geschlecht – es war eine Frau. Leider erlag die Soldatin wenig später in Dannenberg an ihren schweren Verletzungen. Es handelte sich dabei um Eleonore Prochaska, die in Männerkleidung in der Armee kämpfte.
Während der unzähligen Scharmützel, die bereits vor der eigentlichen Göhrde-Schlacht stattgefunden hatten, soll auch Napoleon selbst für einige Zeit bei seinen Truppen geweilt haben. Wie stets in Schlachten und Feldzügen ritt er auch hier sein Lieblingspferd mit dem Namen Marengo, einen weißen Araberhengst. Das edle Tier hatte ihn in vielen Schlachten begleitet, unzählige Verletzungen erlitten und schien unsterblich. Doch an der Göhrde wurde es von zwei Musketenkugeln tödlich in den Kopf getroffen. Der Schütze war der Soldat August Renz, alias Eleonore Prochaska. Es wird berichtet, dass Napoleon um sein totes Pferd bittere Tränen weinte.
Der Pferdekadaver wurde Eleonore Prochaska als Kriegsbeute zugesprochen, die ihn nach Lüneburg transportieren ließ, um ihn dort zur Schau stellen zu lassen und dann in Ehren zu begraben. Eben ganz so, wie man einen geschlagenen Feind behandelt. Doch dagegen hatte der damalige Lüneburger Bürgermeister Dr. Georg Wilhelm Krukenberg erhebliche Einwände. „Das Pferd von Napoleon – auf keinen Fall in meiner Stadt!“, soll er kategorisch ausgerufen haben. So blieb Prochaska wohl nichts Anderes übrig, als den Kadaver vor der Stadtmauer zu vergraben. Damals lag das Gelände an der Wittenberger Bahn noch außerhalb des Stadtgebietes.
Dies war, so kann man sagen, ein wenig spektakuläres Ende des edlen Tieres, das dem Kaiser in ­seinen vielen Schlachten ein treuer und mutiger Begleiter war. Umso erfreulicher, dass es rund 200 Jahre nach seinem Ende nun einen ihm gebührenden Platz im neuen Lüneburger Museum erhalten wird.(ilg)

Anzeige