Plaudereien rund um das Salz (2)
geschrieben von Rüdiger Schulz im Februar 2015Durch das Salz ist Lüneburg berühmt und mächtig geworden.
Die prächtigen Häuser unserer Altstadt, die jährlich Tausende Besucher anziehen, wären ohne das „Weiße Gold“ undenkbar.
Für den 1. Vorsitzender des Bürgervereins Lüneburg e.V.
Anlass genug, sich mit der einst so kostbaren Substanz zu beschäftigen – von Rüdiger Schulz
Salz ist für Lebewesen zwar unverzichtbar, doch auch gefährlich, wenn man von ihm zu große Mengen zu sich nimmt. Es ist eben doch alles eine Frage der Dosis, wie schon Paracelsus wusste. Hier ein leider wahres und erschütterndes Beispiel: Im März 2004 wurde für die vierjährige Angelina der Albtraum jeder Hausfrau Wirklichkeit. Sie holte sich einen 200-Gramm Becher Schokoladenpudding mit Sahne aus dem Kühlschrank. Ersichtlich um den Pudding zusätzlich zu süßen, wie sie es zuvor bei Erwachsenen im Umgang mit Joghurt beobachtet hatte, wollte sie nun noch etwas Zucker darüber streuen, nahm stattdessen aber irrtümlich Salz und rührte rund 32 Gramm Kochsalz in die Süßspeise. Gleich beim ersten Kosten bemerkte sie, dass der Pudding ungenießbar war und ließ ihn stehen. Als nunmehr Angelinas Stiefmutter in die Küche kam und die auf dem Boden liegende Salzpackung sowie den ungegessenen Pudding sah, stellte sie Angelina zur Rede, die ihr bedeutete, dass der Pudding „widerwärtig“ schmecke und sie ihn nicht essen wolle. Die Stiefmutter wurde zornig. Obgleich sie richtig folgerte, dass das Mädchen versehentlich Salz in die Süßspeise eingerührt hatte, veranlasste sie das sich sträubende Kind zu dessen Erziehung und Bestrafung, die Schokoladencreme vollständig auszulöffeln. Sie nahm dabei zumindest billigend in Kauf, dass der Konsum dieser Speise bei dem Mädchen zu Magenverstimmungen, Bauchschmerzen und Unwohlsein führen würde. Jedoch wusste sie weder, wie viel Salz genau die Süßspeise enthielt, noch war ihr bekannt, dass die Aufnahme von 0,5 bis 1 g Kochsalz pro Kilogramm Körpergewicht (Angelina wog 15 kg) in aller Regel zum Tode führt (Haben Sie es gewusst?). Wenig später klagte Angelina über Übelkeit und mußte erbrechen; auch setzte bei ihr alsbald starker Durchfall ein. Als sich der Zustand des
Kindes im Verlauf der nächsten halben Stunde zusehends verschlechterte und es schließlich kaum mehr Reaktionen zeigte, brachte die Stiefmutter das Mädchen ins Krankenhaus. Dort wurde sogleich eine extreme Kochsalzintoxikation festgestellt. Trotz Notfallbehandlung verstarb das Mädchen 34 Stunden später.
Die strafrechtliche Bewertung dieses Falles ist schwieriger als man denkt. Neben Mord, so die ursprüngliche Anklage, kommt eine Strafbarkeit wegen Körperverletzung mit Todesfolge, gefährlicher Körperverletzung oder auch nur einfacher Körperverletzung in Betracht – so das Urteil des Landgerichts. In letzter Instanz mußte der Bundesgerichtshof (BGH) diesen Fall entscheiden. Eine Strafbarkeit wegen Mordes oder Körperverletzung mit Todesfolge schloß der BHG aus, denn dafür wäre die Vorhersehbarkeit des Todes des Mädchens erforderlich gewesen. Die Stiefmutter habe nicht gewußt, dass bereits geringe Mengen Kochsalz bei einem Kleinkind lebensgefährliche Vergiftungserscheinungen hervorrufen können, „denn das Wissen hierum sei wenig verbreitet und gehöre keinesfalls zu jener medizinischen Sachkenntnis, welche sich fast jede Mutter über kurz oder lang aneignet“, führte der BGH aus.
die Aufnahme von 0,5 bis 1 g Kochsalz pro Kilogramm Körpergewicht führt in aller Regel zum Tode.
Entgegen der Meinung des Landgerichts kam der BGH sodann zum Ergebnis, dass sich die Stiefmutter der gefährlichen Körperverletzung schuldig gemacht hat. Eine gefährliche Körperverletzung begeht unter anderem, wer die Verletzung durch Beibringen von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen mittels einer Waffe oder eines gefährlichen Werkzeugs zufügt. Die entscheidende Rechtsfrage ist also, ob Salz ein Gift oder ein anderer gesundheitsschädlicher Stoff ist. Erforderlich, aber auch genügend ist, dass die Substanz nach ihrer Art und dem konkreten Einsatz zur erheblichen Gesundheitsschädigung geeignet ist. Damit werden – so der BGH – auch an sich unschädliche Stoffe des täglichen Bedarfs erfasst, wenn ihre Beibringung nach der Art ihrer Anwendung oder Zuführung des Stoffes, seiner Menge oder Konzentration, ebenso aber auch nach dem Alter und der Konstitution des Opfers mit der konkreten Gefahr einer erheblichen Schädigung im Einzelfall verbunden ist. Der BGH zieht ausdrücklich eine Parallele zum gefährlichen Werkzeug, für das auch jeder beliebige Gegenstand in Betracht kommt, wie z.B. ein Büstenhalter, wenn ihn denn der Täter um den Hals des Opfers schlingt und kräftig zuzieht.
Die Stiefmutter habe nicht nur eine erhebliche Beeinträchtigung des physischen Wohlbefindens des Mädchens in Kauf genommen, sondern auch weitergehende gesundheitliche Schädigungen in Gestalt von Bauchschmerzen und Übelkeit. Ein solcher Zustand könne, zumal bei einem kleinen Kind, auch pathologischer Art sein und damit den Begriff der Gesundheitsschädigung entsprechen. Unerheblich sei, daß dieser Zustand nach den Vorstellungen der Stiefmutter nur vorübergehender Art sein sollte.
Die Quittung für den Tod der kleinen Angelina: 14 Monate Freiheitsstrafe auf Bewährung.
Foto: 123r.com © Vince Clements
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