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Herr über 1.600 ha Stadtwaldfläche

geschrieben von Irene Lange im November 2014

Michael Stall, Leiter des Städtischen Forstamtes — Grenzgänger zwischen Naturschutz und Forstwirtschaft

Die Liebe zur Natur – und insbesondere zum Wald – entdeckte Michael Stall bereits in Kindertagen. Geboren in einem heißen Sommer im Jahr 1959, wuchs er in einem Dorf in der Nähe von Paderborn in Ostwestfalen auf. Mit den Eltern und seiner Schwester ging es auf Campingreisen nach Schweden, Norwegen und Finnland — Urlaube, die ihm bis heute in unvergesslicher Erinnerung sind. „Auch die damaligen Heimatfilme, die in dem kleinen Kino im Nachbardorf liefen, habe ich als Kind begeistert verschlungen“, erinnert er sich schmunzelnd. Die Helden darin waren nämlich häufig Förster. Und dass er den ­Beruf des Försters einmal ausüben würde, daran gab’s eigentlich nie etwas zu rütteln. Als 14-Jähriger freundete er sich mit dem Sohn des hiesigen Försters an und packte in den Schulferien im Wald mit an. Es galt, Weihnachtsbäume zu schlagen oder auch den rot-weißen Schranken einen neuen Anstrich zu geben. Im Gegensatz zu manch anderem Jugendlichen seines Alters interessierte ihn an der Arbeit im Wald nicht die Jagd sondern vielmehr der Schutz der Natur. Tiere in ihrem natürlichen Unfeld zu beobachten ist schließlich so viel reizvoller, als sie zu jagen.

Für ihn gilt es, einen Ausgleich zwischen Ökonomie und Ökologie und einen Einklang zwischen Waldwirtschaft und Natur zu finden.

Nach dem Fachabitur hatte er die Wahl: entweder Biologie studieren oder die Forstwirtschaft, für welche er sich letztlich nach kurzer Überlegung entschied. Als Förster, so stellte er sich vor, könne er hauptsächlich in der Natur arbeiten und praktischen Naturschutz betreiben. Unvergessen ist ihm ein Briefwechsel mit dem bekannten Diplomaten und Schriftsteller Hans-Otto Meissner, der damals schon über 70 Jahre zählte. Ihm verdankt er eine seiner Lebensdevisen: „Wenn du etwas wirklich willst, dann schaffst du es auch“. So gelang es ihm schließlich, sich durch Eigen­initiative seine ersten Praktikantenstellen zu verschaffen: ein halbjähriger Aufenthalt im Wildlife-­Department in Kanada und in der Nationalparkverwaltung Nordschwedens. Um Naturschutz ging es schließlich auch in seiner Diplomarbeit während des ­Studiums der Forstwirtschaft in Göttingen. Das Thema lautete „Die Bedrohung des Birkwildes in den Hochmoorlebensräumen Niedersachsens“.

Schon seit 1977 war er zudem Mitglied der „Arbeitsgemeinschaft Naturgemäße Waldwirtschaft (ANW)“. Die Mitglieder dieser Gemeinschaft widmen sich insbesondere der Aufgabe, den Wald mit und nicht gegen die Kräfte der Natur zu bewirtschaften. „Ich betrachte mich von jeher als Grenzgänger zwischen Naturschutz und Forstwirtschaft“, stellt Michael Stall fest. Für ihn gilt es, einen Ausgleich zwischen Ökonomie und Ökologie und einen Einklang zwischen Waldwirtschaft und Natur zu finden.

Zielstrebig ging Stall schon mit 24 Jahren seinen Weg. Nach dem Abschluss des Studiums und seiner Auslandspraktika ging es darum, sich endgültig für einen Beruf zu entscheiden. Er fand zunächst eine Stelle im damaligen Landesforstamt Busschewald in Lüneburg. Doch die Tätigkeit, mit der er hier betraut war, entsprach nicht seinen Vorstellungen. So wurde er auf eigenen Wunsch nach Göttingen zur Forstlichen Versuchsanstalt versetzt. Von dort aus reiste er in Sachen „Waldschadenbeurteilung“ durch norddeutsche Lande und erhielt so Kontakte zu vielen Forstämtern und Forstbetrieben, in denen er sich eine berufliche Zukunft vorstellen konnte.

Reisen in Länder und Regionen, wo Mensch und Natur keine Gegensätze bilden, faszinieren ihn und seine Frau sehr.

Ein Glücksfall sorgte schließlich dafür, dass es Lüneburg wurde. Beim Stadtforst Lüneburg war eine Stelle ausgeschrieben. Er bekam die Zusage. Für ihn ein Traumjob, denn hier wurde seit 1977 naturgemäße Waldwirtschaft praktiziert. Noch heute liebt er es, im Forsthaus am Rande von Lüne­burg in der Natur zu leben und zu arbeiten. Dabei ist seine Arbeit keineswegs die eines „Eigenbrödlers“ – oft kommt er mit Spaziergängern und interessierten Menschen ins Gespräch, auch dies ist für ihn das Reizvolle an seiner Profession.

Seit 2005 bekleidet der 54-Jährige nun das Amt des Stadtforstamtsleiters, damit ist er „Herr“ über 1.600 Hektar Stadtwaldfläche, der sechstgrößten Kommunalwaldfläche in Niedersachsen. Es ist ein relativ kleines Team, das um und mit ihm arbeitet: ein weiterer Förster, vier Forstwirte und nicht zu vergessen: seine treue Begleiterin, die fünfjährige Jagdhündin Ronja, ein Deutsch-Langhaar.

Die Liebe zur Natur spielt auch in Michael Stalls Privatleben eine große Rolle, ebenso wie der Sport. Ein großes Abenteuer war für ihn in jüngeren Jahren eine Fahrradtour durch Costa Rica. Noch vor wenigen Jahren zog es ihn auf Touren durch Südfrankreich, die Provence und schließlich vor zwei Jahren auch nach Spanien in die Extremadura. Auch Ost-Polen bis zur Weiß-­Russischen Grenze erkundete er per Fahrrad. Bei seinen Kajak-­Fahrten begleitet ihn inzwischen auch seine Ehefrau Katharina, mit der er eine Patchworkfamilie gegründet hat. Sie brachte zwei Töchter mit in die Ehe, von denen die eine in diesem Jahr ihr Abitur gemacht hat und die andere zur Ergotherapeutin ausgebildet wird. Reisen in Länder oder Regionen, wo Mensch und Natur keine Gegensätze bilden, faszinieren ihn und seine Frau sehr. Und irgendwann – in fernerer Zukunft – möchte er einmal in seinem aktiven Ruhestand gemeinsam mit seiner Frau zwischen dem Lüneburger Forsthaus und dem Haus an der schwedischen Schärenküste, das er 1977 kaufte, wunderschöne, nur noch selbstbestimmte Zeit verbringen.(ilg)

Foto: Enno Friedrich

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