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Äbtissin Caroline von der Wense

geschrieben von Irene Lange im Januar 2017

Sie führte das Kloster Lüne durch unruhige Zeiten und hinterließ detaillierte Aufzeichnungen, die Aufschluss geben über das Klosterleben im beginnenden 19. Jahrhundert – Aus unserer Reihe „Six feet under“

Seit mehr als 800 Jahren leben Frauen in der christlichen Gemeinschaft des Klosters Lüne. 1172 erhielt Hildeswides von Marktboldesdorf die Erlaubnis durch das Kloster Michaelis, eine Frauengemeinschaft zu gründen. Im Mittelalter bot das Klosterleben gerade Frauen immer wieder Schutz und Geborgenheit, aber auch Bildung und das Leben in der Gemeinschaft. Hier war es ihnen möglich, wissenschaftliche Studien zu betreiben und Heil­methoden zu erforschen.
Einen Umbruch brachte die Reformation mit sich. Der Lüneburger Herzog zog die Klostergüter ein und setzte den Probst ab, der bis dahin die Vertretung des Klosters nach außen innehatte. An seiner Stelle übernahm die Vorsteherin des Klosters sämtliche Funktionen zur Führung der Klosterangelegenheiten mit sämtlichen Rechten und Pflichten. Lange Zeit lebten hier katholische und evangelische Frauen, und es sollte noch bis in die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts dauern, bis die evangelische Konfession dominierte. Als erste überzeugte evangelische „Domina“ wurde Dorothea v. Meding ab 1580 genannt. Erst ab 1685 wurde die „Domina“, die Vorsteherin der Lüner Klostergemeinschaft, als „Äbtissin“ be­zeichnet.
Eine detailreiche Biografie ist von Caroline von der Wense bekannt, die als Nachfolgerin der Äbtissin Sophie von Estorff (1759–1790) zum Osterfest 1774 im Kloster Lüne eingeführt wurde. Am 10. August 1752 erblickte sie auf Gut Wense als Tochter des Landrats Christian Ludwig Friedrich von der Wense und seiner Ehefrau Louise Charlotte, geb. Freiin Kameitsky von Elstibors, das Licht der Welt. Es hieß, sie sei ein recht eigenwilliges und verzogenes Kind gewesen. Wissbe­gierig wie sie war, nutzte sie jede Gelegenheit, sich in Bücher zu vertiefen, selbst während der für junge Damen üblichen Arbeit am Spinnrad. Als sie ihr verantwortungsvolles Amt als Nachfolgerin der im Dezember 1798 verstorbenen Äbtissin von Bock übernahm, hatte Caroline von der Wense wohl den Eigensinn aus Kinder­tagen abgelegt, denn im Kloster Lüne herrschte nicht nur Disziplin, sondern auch ein gepflegter Umgangston. Hier versammelten sich die Töchter der ersten Familien des Landes, deren Gesellschaft wie auch die gebildete Konversation das ideale Umfeld boten, um auch die frischgebackene Äbtissin wieder auf den „rechten Weg“ zu führen.
In der bevorstehenden Zeit sollte ihr dies von großem Nutzen sein, denn Ende des 18., Anfang der 19. Jahrhunderts war es vorbei mit der abgeschiedenen und ruhigen Lebensweise – denn auch Norddeutschland blieb von den politischen Unruhen, die aufgrund der Inbesitznahme durch Frank­reich herrschten, nicht verschont. Der Äbtissin Caroline von der Wense sind umfassende Aufzeichnungen zu verdanken, die unter anderem Aufschluss über die Haushaltskosten des Klosters Lüne, den Konvente und die Bediensteten gibt. Über die Einquartierung der Franzosen schrieb sie in ihrer Chronik: „1803 – dieses Jahr ward leider durch die Invasion der Franzosen in unserem Lande sehr merkwürdig. Im April nahmen die ängstlichen Nachrichten ihren Anfang, und im Kloster entstanden große Sorgen und Mutlosigkeit.

Wissbegierig wie sie war, nutzte Caroline von der Wense jede Gelegenheit, sich in Bücher zu vertiefen.

Ich war entschlossen, nicht von meinem mir anvertrauten Kloster zu weichen, in meinen Beruf treu und ruhig zu erwarten, was Gott schickt.“ Ihren Stiftsdamen, den „Chanoinessen“, ließ sie allerdings die freie Wahl, das Kloster zu verlassen; sechs blieben schließlich an der Seite ihrer Äbtissin. Caroline von der Wense — „auf der Höhe ihres Frauentums“ — zeigte sich dieser schwierigen Lage gewachsen. Die französische Besatzungsmacht erwies sich glücklicherweise als „Sauve­garde“ in Person eines zuverlässigen Corporals, der lange Zeit für den Schutz des Klosters sorgte. Im Jahre 1805 quartierte sich kurzzeitig der berühmte französische Marschall Jean Baptiste Bernadotte mit seiner Frau Désiree und Sohn Oscar im Kloster Lüne ein. Auch von deren Liebenswürdigkeit wusste die Äbtissin zu berichten.
Die weiteren Jahre vergingen mit wechselnden Einquartierungen während der Besetzungszeiten durch „Westphalen“ und Franzosen. Caroline von der Wense überstand alles durch ihr umsichtiges Handeln. In ihrer Chronik erwähnt sie allerdings auch, dass unter den Offizieren „sehr gute artige Leute“ waren. Die Preußen jedoch, die mit ihrem „Commissarius“ Heyer Besitz vom Kloster nahmen, kamen weniger gut davon. Mit ihrer Unterschrift musste sie ihre Bereitschaft kundtun, der preußischen Regierung Folge zu leisten. „Es war einer der unglücklichsten Tage meines Lebens“, schreibt sie, doch weit mehr muss es sie getroffen haben, als schließlich 1811 die förmliche Aufhebung des Klosters durch eine französische Kommission erfolgte.

1838 verstarb Caroline von der Wense „bei voller Besinnung an starker Verknöcherung des Herzens“.

Auch sie war, wie alle anderen auch, gezwungen, das Kloster zu verlassen. Eineinhalb Jahre musste sie dem Kloster fern bleiben, erst Mitte März 1813 konnte sie zurückkehren. Bis mit Einführung der alten Landesverfassung wieder die gewohnte kontemplative Ruhe in den Klostermauern einkehrte, sollte es jedoch noch lange dauern.
Den angekündigten Besuch des Königs Ernst August von Hannover am 20. Juli 1838 sollte Caroline von der Wense nicht mehr erleben, denn einen Tag zuvor – am 19. Juli 1838 — verstarb sie „bei voller Besinnung an starker Verknöcherung des Herzens“. Wie die Äbtissinnen, die vor und auch nach ihr das Kloster Lüne führten, ruht sie in der Gruft vor dem Altar in der Barbara-Kapelle. Ihr Porträt ist im Kapitelsaal des Klosters zu sehen. (ilg)

Fotos: Enno Friedrich

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