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„Backstage-Erinnerungen“

geschrieben von Hansi Hoffmann im Februar 2014

Freddy Mercury: „Queen ist mein halbes Leben!“

Der Tumult konnte nicht wilder sein. Freddy Mercury feierte seinen 36. Geburtstag im Münchener „Musicland“-Studio im Arabella­haus. „Queen“-Gitarrenstar Brian May hämmerte in den Bösendorf-Flügel ein furioses „Happy Birthday“, ich schmetterte mit der jubelnden Gästeschar lautstark „He is a very good fellow“. Fassbinder-Muse ­Barbara Valentin überreichte im samtenen Dirndl und tief dekolletiert dem Geburtstagskind die große Geburtstagstorte eines Münchener Kult­bäckers: rosige, runde Pobacken aus Mar­zipan mit einer dicken, flackernden Kerze aus deren Mitte aufragend. Das Gejohle der drei Dutzend Gäste – stramme ­bayerische Kerle und Jüngelchen nebst halbseidener Münchener Schickeria-People — wollte kein Ende nehmen. Freddy hatte Tränen in den Augen, als er begann, seine Gäste zu umarmen. Kaum war das letzte Stück Marzipantorte verdrückt, zog die ganze Geburtstags-Horde in Freddys Stammkneipe, das „Henderson“ der Eheleute Heinz und ­Anni Neumann in der ­Müllerstraße. Champagner und Vodka flossen in Strömen, aus den ­Boxen dröhnten die „Queen“ Hits „Somebody to love“, „We are the Champions“, „Bohemian Rhapsody“. Die letzten ­Gäste torkelten Arm in Arm in den Sonnenschein des warmen Septembermorgens.
1977, London, „Earls Court“: eine riesige Mehrzweckhalle zwischen Chelsea und Kensington. „Queen“ gaben zum 25. Thronjubiläum von Königin Elisabeth zwei Konzerte in der ausverkauften Arena. Ich war nach London geflogen, um für den „Musik Express“ eine Freddy Mercury-Story plus Konzertbericht zu schreiben. Englands größter Konzertveranstalter, Harvey Goldsmith, hatte mir einen feudalen Platz im VIP-Bereich überlassen und organisiert, dass ich am nächsten Nachmittag Freddy Mercury noch 30 Minuten zum Interview im Goldsmith-­Büro am Ashland Place bekam.

ber der gigan­tischen „Earls Court“-Bühne schwebte eine riesige Goldkrone auf und ab, darunter fetzten die „Queen“-Hits „Killer Queen“, „A Night At The Opera“, „Love Of My Life“, „Bohemian Rhapsody“. Da wurde geklotzt: Trockeneis, Lichteffekte, Blitze, Rauchbomben und massive Phonstärken. Mercury tobte an der Bühnenrampe, kraftvoll, tänzelnd, mit dem Mikro­fonständer hantierend, mal als Luftgitarre, Tambourstock, oder Balanciergerät. Er stolzierte zum Song „We Are The Champions“ mit der Union-Jack-Flagge und schritt zum abschließenden „God Save The Queen“ im Hermelinmantel und mit Krone die Bühne ab.
Am folgenden Tag stand am nächsten Nachmittag auf die Minute pünktlich Freddy Mercury im Büro von Goldsmith. Alle Sekretärinnen bekamen ein Küsschen, Harvey eine Umarmung und ich ein Schulterklopfen plus Lächeln. Aus dem vereinbarten 30-Minuten-Interview wurde eine knappe Stunde. Zum Abschied bekam auch ich eine Umarmung. Noch auf dem Rückflug schrieb ich: „Der ‚Queen‘- Mastermind wurde in Stone Town, einem Teil von Sansibar-Stadt, als Farrokh Bulsara geboren. Schon auf dem Internat bekam er den Spitznamen „Freddy“. Mit seinen indischen Eltern Jer und Bomi Bulsara floh der 17-Jährige nach einer Revolution gegen den Sultan Mitte der 60er nach London, studierte Grafikdesign, tingelte als Pianist in unbekannten Bands, bis er den Gitarristen Brian May, den Drummer Roger Taylor und den Bassisten John Deacon traf. „Queen“ – so der Vorschlag von Freddy — wurde gegründet. Um sich finanziell über Wasser zu halten, betrieben sie nebenbei einen Flohmarktstand im Kensington Market. In einem TV-Film über römische Mythologie entdeckte Freddy Bulsara den Götterboten Merkur. Freddy Mercury war geboren. „Der ‚Queen‘- Frontman ist ein total extremer Mensch“, formulierte ich weiter, „mit zahlreichen Neurosen behaftet. Er einerseits extrovertiert und dabei doch gleichzeitig introvertiert, ein Exzentriker, der unheimlich empfindsam ist – eigentlich ein Widerspruch. Mercury ist der lebende Beweis für das Zusammenleben von Genie und Wahnsinn. Die Bühne ist für ihn ein Refugium, wo er sich ausleben kann. Freddy Mercury ist das unumstrittene Zentrum des monströsen Unternehmens Queen, der Institution in Sachen Kunst, Kitsch und Perfektion.“ Eine Übersetzung ins Englische schickte die Redaktion an Goldsmith nach London. Zwei Jahre später traf ich Freddy nach einem Konzert in der Frankfurter Festhalle wieder. Er erinnerte sich, umarmte mich herzlich und küsste mir beide Wangen, stellte mich seiner Band vor und erklärte jedem, dass ich ein „absolutely terrific reporter“ sei.

Mercury tobte an der Bühnenrampe, kraftvoll, tänzelnd, mit dem Mikrofonständer hantierend.

Sommer 1981: Die deutsche Ausgabe des Musikmagazins „Rolling Stone“ wollte von mir eine große „Queen“-Freddy Mercury-Story haben. Wieder musste mein Freund Harvey Goldsmith vermitteln. Das erste Treffen wurde zwei Wochen später im Münchener Gasthof „Deutsche Eiche“ vereinbart. Das Lokal war nachmittags der „Breakfast Meetingpoint“ von Freddy und seiner Clique. Zwischen einer ganzen Garde gutaussehender, kraftstrotzender Kerle residierte der Kultregisseur Rainer Maria Fassbinder. Die höchst kommunikative Wirtin Toni servierte den aufgerüschten Bubis und strammen Bayernbuam die berühmte Bier-Brotsuppe oder den unübertrefflichen Schweinsbraten mit einem Humpen Weizenbier – echte Frühstücksgerichte eben! Und dann kam er, Freddy, begleitet von Barbara ­Valentin und einem schmucken Kleindarsteller aus dem Bayern-Fernsehen. Enge schwarze Lederhose mit Prachtbeule an der Vorderseite, weißes Trachtenhemd mit Enzianstickerei und Flatterärmel, ein unverschämtes Lächeln, mit dem er den ganzen Kneipenraum blitzartig ausfüllte. Als Freddy mich an einem hinteren Tisch entdeckte, stürmte er auf mich zu, umarmte mich kraftvoll und küsste mich – direkt auf den Mund! Wirtin Toni brachte unaufgefordert eine Schale mit Rührei, geröstete Toastscheiben und eine Riesentasse mit der berühmten Bier-Brotsuppe. Die Valentin holte sich einen Toast mit Rührei und hockte sich zu ihrem Lieblingsregisseur Fassbinder.
„Warum produziert ihr nun nach ‚The Game‘ die zweite Platte in einem Münchener Studio, wo ihr euch doch in Montreux ein perfektes, modernes Studio eingerichtet habt?“
„Das liegt hier am Musicland-Studio von Giorgio Moroder. Der Sound ist Spitze und am Mischpult sitzt Reinhold Mack, der Toningenieur, ein Genie. Er ist inzwischen so etwas wie der fünfte Mann der Gruppe. Er tüftelt sehr gern und hat Ideen wie nur wenige auf der Welt.“
Rührei auf Toast, schnell zwei Happen, drei Löffel von Tonis Suppe, dann holt Freddy ein kleines Silberdöschen aus der Hosentasche, reibt sich eine Prise weißes Pulver zwischen seinen farblos lackierten Daumen und Zeigefinger, drückt es sich in die Nase, zieht geräuschvoll hoch – und strahlt! „Nächste Frage“.
„Schon einiges von Bayern und München gesehen – außer den Bars und Kneipen rund um den Gärtnerplatz?“
„Aber ja, mit Brille und Perücke war ich schon im Schloss und Park von Nymphenburg, in der alten Pinakothek, auf Herrenchiemsee, und demnächst fahren wie alle zum Schloss Hohenschwanstein.“
Rührei, Toast, Suppe – unruhiger Blick durch den Gastraum. Plötzlich springt Freddy auf, nuschelt „Pardon“ und stürmt zum Eingang. Ein stämmiger Bayer, mit Wuschelhaaren und Dreitagebart, wird von Freddy stürmisch umarmt, geküsst und an Barbara Valentin weitergereicht. Freddy kommt total aufgedreht zu mir zurück. „Das ist Winnie, der Kirchberger, einer meiner Münchener Freunde“, erklärt er. Noch zwei Bissen Rührei. „Komm nachher mit ins Studio, da reden wir weiter“. Arm in Arm schoben sich Freddy und Winnie aus der Kneipentür. Freddy hatte am Georg-Bräuchle-­Ring ein Luxusappartement gemietet. Barbara kam zu mir: „Wir fahren in drei Stunden ins Studio, kannst mit uns fahren!“

Am Abend des 23. November 1991 ließ der „Queen“-Star in einer internationalen Pressemitteilung verlauten, dass er HIV-infiziert sei.

An der schweren Metalltür klingelte Barbara, sagte ihren Namen in die Sprechanlage. „Queen“ wollte ungestört arbeiten, nur Wenige durften bei den Aufnahmen im Studio sein. Wir saßen in der gemütlichen Pantry des Studios. „Wir möchten nicht, dass uns jemand Ideen klaut, bevor wir mit der Platte fertig sind“, erklärte Freddy. Dann berichtete er mir von der großen Südamerika-Tournee im Februar. „Wir haben als erste Band der Musikgeschichte elf riesige Fußballstadien gefüllt. Ein Konzert übertrug das Fernsehen – knapp 40 Millionen Südamerikaner schauten zu. Im Morumbi-­Stadium von Sao Paolo feierten uns 135.000 Fans. 110 Tonnen Equipment mussten dafür durch den Urwald transportiert werden. Letzte News: Michael Jackson hat mich in sein Neverland eingeladen, wo er mit mir Songs schreiben will und ich bastele gerade an einer Solo-Platte, werde sie wohl „Mr. Bad Guy“ nennen, habe auch schon einen Song geschrieben, „Living on my own“ heißt er, aber darüber darfst Du noch nichts schreiben!“ Reinhold Mack rief Freddy zum Mischpult, wo aus den überdimensionalen Boxen die metallische Extravaganz von Brian Mays Gitarre dröhnte. Dann ging der drahtige Sänger zum Mikrofon. Wenig später perlte aus den Boxen seine Stimme, packend, herrisch, bis zum Falsett: „Body Language“. Sieben Songs waren bereits eingespielt, es fehlten nur noch die Overdubs und Sound-Effekte.
Weit nach Mitternacht landeten wir alle wieder im „Henderson“. Brian, Roger und John zogen bald weiter ins „Sugar Shack“, weil dort die beste Musik lief. Im „Henderson“ traten die „Henderson Folies“ auf, eine Gruppe exzentrischer Travestiekünstler. Freddy war wieder total fasziniert, sprang auf die Bühne und umarmte den Star „Petra Doren“, einen seiner intimen Freunde, den er „Queen Mum of Munich“ nannte. Erste Strahlen der Morgensonne tauchten München in Gold, als wir mit vier Taxen zu Barbara Valentins großer Wohnung unweit der Maximilianstraße zogen. Gin, Vodka, Champagner sorgten für Partystimmung, Manch weiße Linie wurde von dem breiten Glas­tisch aufgesogen. Als der Travestiestar Petra Doren anfing, zur lauten „Big Spender“-Musik und unter Beifall und Pfiffen einen bühnenreifen Striptease hinzulegen, schlenderte ich zum Taxistand vor dem Hotel „Vier Jahreszeiten“. Nach vier Tagen und Nächten mit Freddy Mercury und seiner Münchener Schickeria-Clique flog ich todmüde zurück nach Frankfurt.
1985 zogen Freddy Mercury und Barbara Valentin von München in Mercurys Haus im Londoner Kensington. Zuvor begeisterte „Queen“ beim „Rock in Rio“-Festival, dem größten Musik-Event nach Woodstock, vor 250.000 Zuschauern. Erste Spekulationen über seine HIV-­Infektion geisterten durch die Branche. Am Abend des 23. November 1991 ließ der „Queen“-Star in einer internationalen Pressemitteilung verlauten, dass er HIV-infiziert sei. Barbara Valentin betreute ihren Freund bis zu seinem letzten Atemzug am Tag nach seinem AIDS-Geständnis. Auf seiner Solo-Platte „Mr. Bad Guy“ hatte der Star seiner Münchener Freundin bereits gedankt mit „Special Thanks to Barbara Valentin For Big Tits and Misconduct“.¶

Fotos: Hansi Hoffmann

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