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Kleider für Bücher

geschrieben von Natascha Mester im März 2014

Das Buchbinderhandwerk blickt auf eine lange Historie zurück. Friedemann Rost ist einer der wenigen, der diese Tradition in eigener Werkstatt in Bardowick fortführt

Die Kunst des Buchbindens entwickelte sich dort, wo Bücher geschrieben wurden – in den Kirchen und Klöstern also. Und so war es einst das Handwerk der Mönche, das dazu diente, die unzähligen handschriftlich beschriebenen Pergamentbögen zusammenzufassen. Doch bis das Buchbinden zu einem Beruf wurde, sollten wieder Jahrhunderte vergehen. Erst Ende des 15. Jahrhunderts, als Bücher nicht mehr ausschließlich für den Eigenbedarf sondern auch als Auftragsarbeiten angefertigt wurden, wurde das Einbinden und Reparieren von Schriften zu einem geachteten Beruf. Und heute – im Zeitalter von E-Book & Co.? Hat der Fortschritt wieder einmal ein Handwerk auf dem Gewissen? Nicht ganz, denn da gibt es immer noch vereinzelt jene Gläubigen, die diese alten Traditionen fortführen und an deren Wert in unserer heutigen Welt glauben. Und so verwundert es nicht, dass sich ausgerechnet im Schatten eines Gotteshauses, des Bardowicker Doms, Friedemann Rost mit seiner Buchbinderei niedergelassen hat. Auch er gehört zu jenen, die in Bücher vernarrt sind, die die Haptik des Materials schätzen — etwas Greifbares, nicht Virtuelles in den Händen zu halten. Das hat mit der Wahrhaftigkeit der Dinge zu tun, und das diese weiterlebt, dafür sorgt Friedemann Rost.
Heute herrscht Hochbetrieb; die Türglocke schellt ununterbrochen, am anderen Ende der großen Werkstatt klingelt das Telefon: Ein Kunde möchte ein altes Kinderbuch abholen, das der Buchbinder vor dem Ableben gerettet hat. Eine junge Studentin schaut sich Vorsatzpapiere an, um ihrer Abschlussarbeit ein persönliches Gesicht zu geben. Kurz darauf erscheint eine ältere Dame, die sich für einen der zahlreichen Hobbykurse anmelden möchte, die Rost gemeinsam mit seiner Frau – ebenfalls Buchbindermeisterin und Betriebswirtin – anbietet. Und ja, all dies im Zeitalter von E-Book und Co.! Tatsächlich mag dieser Beruf so gar nicht zur Schnelllebigkeit des 21. Jahrhunderts passen. Das Beziehen der Buchdeckel wie auch das Re­parieren bibliophiler Schätze will gewissenhaft durchgeführt werden, der Leim braucht Zeit zum Trocknen, das Prägen und das Punzieren von Ledereinbänden – alle diese Handgriffe halten zur Entschleunigung an. Gut ist das und wirkt wie ein Ruhepol im Chaos des Alltags.
Gottlob ginge es hier nicht immer zu wie im Tauben­schlag, stöhnt Friedemann Rost, sonst würde er nicht zum Arbeiten kommen, und dies sei ja schließlich sein eigentliches Anliegen. Es ist schon so etwas wie eine Passion, sagt er, während er den Pinsel in den Leim tunkt und über den zu beziehenden Buchdeckel streicht. Dass es dieser Beruf werden sollte, das wusste er schon früh und erlernte ihn schließlich im Niedersächsischen Staatsarchiv Wolfenbüttel, war Geselle in Rohrsheim und erhielt seinen Meisterbrief im Jahr 2005, der nun gleich neben der Einganstür an der Wand in einem Rahmen zu finden ist. Ein wenig weiter, an einem Schrank mit Klebestreifen befestigt ein bunter Dankesbrief in Kinderschrift: „Danke, dass Du mein ‚Hanni und Nanni‘-Buch wieder heil gemacht hast.“
Sechs Jahre lang arbeitete er anschließend für die Buchbinderei der Stadtverwaltung Herten mit dem Schwerpunkt Einzel- und Sonderfertigung, bis er sich 2009 zusammen mit seiner Frau Sabine den Traum einer eigenen Werkstatt – jene in der Domstraße 6a in Bardowick — erfüllte.

Am Bardowicker Dom hat sich die Buchbinderei eingerichtet. Mit ihr besetzt Friedemann Rost eine Nische, die kein anderer in der Region bedient.

Dort haben sich die Rosts eingerichtet, bedienen mit ihrem Angebot eine Nische, die in diesem Umfang kein anderer in der Region bedient. Mit dem Buchbinden alleine lässt sich heute keine Familie mit zwei kleinen Kindern versorgen, weiß Friedemann Rost. Also hat er sein Profil geschärft, das Portfolio erweitert und fertigt nun wunderschöne individuelle Kalenderbücher, Foto- und Hochzeits­alben mit geprägten Titeln an, bindet Fachschriften, Speisekarten und Abschlussarbeiten, baut Produktmuster für Werbeagenturen, Schachteln und Aufbewahrungen jeder Art und beklebt diese zum Teil mit selbstgeschöpftem Papier. Er rettet zerlesene Hand- und Gesangsbücher vor dem Verfall oder gibt liebgewonnener Lektüre aus Kindertagen einen neuen Einband. Die Unternehmensphilosophie ist so simpel wie stimmig: „Was diese Werkstatt verlässt, soll sich optisch als auch haptisch durch eine hohe Qualität auszeichnen und gleichzeitig einen großen Nutzwert haben.“ Darum gibt es hier auch kein „Nippes“ sondern bezahlbare Einzelstücke, die täglich genutzt werden können.
Die Maschinen, an denen all dies in sorgfältiger Handwerksarbeit entsteht, sind an die 100 Jahre alt und funktionieren einwandfrei. Historische Herstellungsverfahren für zeitgemäße Produkte. Dass sich diese nicht nur das betuchte Publikum leisten will, weiß der Buchbinder aus langjähriger Erfahrung. Zu ihm kommen alle, die das Buch und das Besondere schätzen – Studenten, Ärzte, Werbeagenturen, der Ottonormalverbraucher und viele mehr. Doch jetzt muss er wieder an die Arbeit, halbfertige Aufträge warten auf ihre Fertigstellung, und schon wieder schellt das Telefon.
Wer mehr erfahren möchte, ist in der Meisterwerkstatt von Friedemann Rost herzlich willkommen. Die nächsten Kurse zur Herstellung eines Stift­kastens oder eines Skizzenbuchs finden am 22. März und 26. April statt, eine Anmeldung ist unter (04131) 2217717 möglich. Weitere Kurse und viele Informationen finden Sie auf der Internet­seite unter www.buchbinderei-rost.de.(nm)

Fotos: Enno Friedrich

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