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Das neue Gesicht am Dirigentenpult

geschrieben von Natascha Fouquet im November 2015

Robin Davis übernahm mit Beginn der neuen Spielzeit als Nachfolger von Stephan Zilias die Position des 1. Kapellmeisters am Theater Lüneburg

Very British klingt lediglich sein Name, die sprichwörtlich angelsächsische Reserviertheit mag zu Robin Davis nicht passen, sie offenbart sich gerade noch in den kultivierten Umgangsformen, die er auf sehr sympathische Art pflegt. Vor allem scheint er aber überaus relaxt, als er in legerem T-Shirt und Jeans zum Interview erscheint — und das, obwohl die musikalischen Proben auf Hochtouren laufen und zu Hause zwei kleine Kinder gern um 5.00 Uhr morgens die noch unbekannte Umgebung erkunden, die seit August die neue Heimat der Familie ist. Viel Schlaf ist für den 33-Jährigen derzeit also nicht drin. Nach nur wenigen Probenwochen sprang Davis auf der großen Eröffnungsgala zum Spielzeitbeginn ins kalte Wasser, dirigierte mit viel Verve Auszüge aus „Anatevka“ und dem Musical „Kiss Me, Kate“, das am 14. November seine Premiere auf der Lüne­burger Bühne feiert. Für ihn wird es das erste Mal sein, dass er diese beflügelnde Musik aus der Feder des großen Cole Porter in vollem Umfang dirigiert. Mit ihr gilt es gleich die erste Hürde zu meistern, denn man hat sich für eine neue, deutlich jazzigere Version entschieden, die dem Dirigenten lediglich als Klavierauszug vorliegt und nicht, wie üblich, als Partitur. Ungewohnt für Davis, aber auch für das Lüneburger Orchester, das nach Klassiker wie Fidelio und Anatevka einen Genresprung vollzieht und sich nun den markanten Drive, der dieser Musik innewohnt, aneignet. Eine Inszenierung, verrät Robin Davis, die nicht nur von der mitreißenden Musik leben wird, sondern auch von der sehr sehenswerten und humoristischen Inszenierung.

Nach dem Abitur entschied er sich für das Studium der Mathematik an der Cambridge University; zu groß war die Angst, die Freude an der Musik zu verlieren.

Dirigieren wird der gebürtige Brite neben Musikdirektor Thomas Dorsch vor allem also die großen Stücke, die auf dem Spielplan stehen. Doch wird er sich auch einem weiteren Scherpunkt widmen: den Kinder- beziehungsweise Familienkonzerten, die in der Musikschule Lüneburg zur Aufführung kommen. Eine Konzertreihe des Lüneburger Theaters, die sich — der Name sagt es — an die ganze Familie richtet, die aber vor allem Kinder unterschiedlicher Altersstufen für das große Thema ­Musik begeistern will. Wie dies mit der großen klassischen Musikliteratur gelingen mag, weiß der Dirigent genau, sein eigener Nachwuchs ist da ein wunderbarer Gradmesser. „Bereits für Vierjährige konzipieren wir diese Konzerte und sprechen mit Themen, die dem jeweiligen Alter entsprechen, junge Zuschauer bis 15 Jahre an. Ich möchte, dass Kinder die Scheu vor Musik verlieren; das gelingt, indem wir einerseits darauf achten, dass die Stücke, die gespielt werden, eine dem Alter entsprechende Länge haben — bei den ganz Kleinen sind es beispielsweise drei Minuten, bevor wir etwas zu den Instrumenten erzählen. Dies kann auch mal in einem kindgerechten Frage- und Antwortspiel mit einem Musiker münden, in einem Mitsingen oder in der Möglichkeit, auf der Bühne etwas auszuprobieren. Wir nähern uns der Musik also auf eine ganz praktische und mitunter sogar haptische Weise.“ Kleine und große Zuschauer ab acht Jahren sind bei dem nächsten Familienkonzert am 29. November um 11.30 Uhr herzlich willkommen. „Pult an Pult“ werden dann die Lüneburger Symphoniker mit den jungen Orchestermusikern der Musikschule die Sinfonie No. 9 e-Moll op. 95 von Antonín Dvorák spielen. Zu kompliziert für Kinder­ohren? Keinesfalls, sagt Robin Davis, der schon in Oldenburg das Jugendorchester leitete und die Vorlieben der kleinen Nachwuchsmusiker kennt. Dvoráks Komposition erschließe sich jedem, weil sie auf direktem Wege das Herz berühre; dafür müsse man sich ihr nicht auf dem akademischen Wege nähern. Der charmante Akzent, der die lebhaften Ausführungen des in Exeter, im Südwesten Englands, Geborenen begleitet, ist so minimal, dass nachgefragt werden muss. Er lacht, als er antwortet: „Ich bin seit 2009 in Deutschland. Meine Frau Angela ist hier geboren und äußerst streng mit mir, was die korrekte Aussprache betrifft. Ich revanchiere mich, wenn wir in England zu Besuch sind.“

Foto: Enno Friedrich

Auf Dortmund folgte das Staatstheater Oldenburg, wo er bis 2015 als Kapellmeister und Assistent des Generalmusikdirektors verpflichtet war.

Davis’ eigener musikalischer Werdegang führte ihn erst über verschiedene Instrumente zum Piano — „und zu einer richtig tollen Klavierlehrerin, die mir zeigte, wie viel Spaß das Musizieren machen kann.“ Dort, so vermutet er, habe wohl seine Liebe zur Musik ihren Anfang genommen, eine Leidenschaft, die ihn seither begleitete. Überraschend dann die Tatsache, dass er sich nach dem Abitur für das Fach Mathematik an der Cambridge University einschrieb; zu groß war die Angst, durch Leistungsdruck die Freude am Musizieren zu verlieren. Nach erfolgreichem Abschluss folgte erst einmal eine Weltreise, anschließend arbeitete er ein Jahr als Computertechniker. Dieses Drängen aber, die Musik doch noch zum beruflichen Lebensmittelpunkt zu machen, ließ ihn immer wieder hadern. Ein Auslandssemester in Freiburg, wo er Solo-Klavier studierte und zeitgleich seine spätere Frau Angela kennenlernte, verhalf ihm zu einer endgültigen Entscheidung. In London folgte ein Studium der Klavierbegleitung und der Kammermusik sowie eine einjährige Anstellung als Lehrbeauftragter. Anschließend erhielten sowohl Angela Davis als ausgebildete Sopranistin als auch Robin als Repetitor ein zweijähriges Engagement am Opernhaus in Dortmund. Auf Dortmund folgte das Staatstheater Oldenburg, wo er bis 2015 als Kapellmeis­ter und Assistent des Generalmusikdirektors verpflichtet war. Und jetzt also Lüneburg – als erster Kapellmeister, dem es spielend gelingt, seine Profession und seine Liebe zur Materie Musikern wie Publikum zu vermitteln. Auf „Kiss Me, Kate“ darf man sich freuen, auf die künftigen Familienkonzerte und natürlich auf „Im Weißen Rössl“ im kommenden Juni. Und wer das erste Theatercafé der Spielzeit besucht hat, konnte sich auch von Robin Davis Qualitäten als hervorragender Pianist überzeugen, als der er bereits mehrfach ausgezeichnet wurde. Man wird also, soviel ist sicher, von diesem jungen Mann noch einiges zu hören bekommen.(nf)

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