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Der letzte „Herr“ des Wasserturms

geschrieben im Januar 2016

Als Wassermeister nahm Johann Gross den Lüneburger Wasserturm im Jahr 1985 außer Betrieb

Den Wasserhahn aufzudrehen und frisches Wasser zu entnehmen ist heute ganz selbstverständlich geworden. Spätestens wenn die Wasser­versorgung — zum Beispiel wegen notwendig gewordener Reparaturen an der Leitung — kurzzeitig unterbrochen ist, weiß man den großen Wert dieser Versorgungssicherheit zu schätzen. Dass diese gegeben war, dafür war jahrelang der Lüneburger Wassermeister Johann Gross mitverantwortlich, den das Thema Wasser auch in seinem Ruhestand nicht loslässt. Obwohl er bei seiner Berufswahl anfangs eher mit dem Tätigkeitsfeld des Elektrikers gelieb­äugelt hatte, ist er schließlich der Faszination des flüssigen Elementes erlegen, die ihn ein Leben lang nicht losließ.

In den Aufgabenbereich des Wassermeisters fällt die Wasser­gewinnung, die -aufbereitung und -speicherung.

Für ihn ist das Lüneburger Wasser ein ganz besonderes, „es schmeckt außer­gewöhnlich frisch, hat keinen fremden Beigeschmack“, charakterisiert der 78-Jährige das kostbare Nass, das in der Hansestadt aus den Leitungen sprudelt. Er muss es wissen, hat er doch von 1957 bis zu seinem Ruhestand im Jahr 1996 beruflich mit der Wasserversorgung Lüneburgs zu tun gehabt. Auch im Urlaub kann er es daher nicht lassen, das Lüneburger Trinkwasser mit dem zu vergleichen, das in anderen Städten oder Ländern aus dem Hahn kommt. „Lüneburg“, so sagt er, „schneidet beim Geschmackstest grundsätzlich am besten ab.“ Die Brunnen, aus denen heute das Rohwasser gewonnen wird, liegen im Urstromtal der Ilmenau. Natürliche Bestandteile wie Eisen, Mangan, Schwefelwasserstoff und überschüssige Kohlensäure müssen reduziert werden, um das Wasser zu der Köstlichkeit zu machen, die heute allen Lüneburgern rund um die Uhr zuverlässig zur Verfügung steht.
Geologie, Maschinenkunde, Chemie und Physik seien nur einige der 18 Fächer gewesen, mit denen man sich intensiv beschäftigen musste, um alles über die Aufbereitung von Trinkwasser zu erfahren. „Auf der Ingenieursschule in Hamburg habe ich meine Ausbildung zum so genannten Wassermeister gemacht“, erinnert sich Gross, ein Beruf, in welchem der Zuständige für die gleichbleibende Qualität des Trinkwassers und die Versorgung der Einwohner die Verantwortung trägt. In seinen Aufgabenbereich fällt die Wassergewinnung, Wasseraufbereitung und die Wasserspeicherung, sein Arbeitsplatz sind die Wasserwerke oder Wasserversorgungsunternehmen. Dies entspricht auch dem Aufgabenfeld von Johann Gross, der quasi als „Herr des Wasserturms“ die meiste Zeit seines Berufslebens für das markante Lüneburger Wahr­zeichen zuständig war.
„Der Turm wurde im Jahr 1907 in Betrieb genommen“, berichtet er aus der Geschichte des Bauwerks. Mit seinen 56 Metern überragte der Turm die bisherigen Wasserversorgungssysteme der Abtswasser- und Ratswasser­kunst. „Damit war dieses Bauwerk in der Lage, genügend Druck aufzubauen, um auch die höher liegenden Stadtteile gut zu versorgen“, erläutert der Wassermeister. In den Jahren zuvor waren neben dem schon bestehen­den Wasserleitungssystem der wachsenden Stadt auch Quellen unweit der Roten Bleiche erschlossen worden. Gesellschaften wie die Schier- und Spillbrunnengesellschaft waren bis dahin hauptsächlich für die Wasserversorgung zuständig gewesen, doch immer wieder habe es Klagen über die teilweise besorgniserregende Wasserqualität gegeben, so der Fachmann.

„Im Sommer fuhren wir mit einem Megaphon durch die Stadt und baten die Bewohner, das Rasensprengen einzustellen.“

Damit hatte man durch den Hochbehälter ein Frischwasserreservoir von 500 Kubikmetern zur Verfügung. „Seit voriger Woche rauschet, brauset und zischt es im neuen Wasserturm am Roten Wall. Von dem himmelanstrebenden Turm flatterten die Fahnen, ein besonderes Ereignis andeutend“, schrieben damals die „Lünerburgischen Anzeigen“. Mit einer eigenen Filteranlage ausgestattet war der Turm damals ein wahres Wunderwerk der Technik. Doch gelangte selbst dieses vor allem in der warmen Jahreszeit zeitweise an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit. „Im Hochsommer fuhren wir schon einmal mit einem Megaphon durch die Stadt und baten die Bewohner, das Rasensprengen einzustellen, da wir mit der Wasserversorgung Probleme bekamen.“ Eine echte Herausforderung sei dies gewesen. Schließlich, 1985, hatte selbst ein monumentales Bauwerk wie der Wasserturm ausgedient. Johann Gross blickt ein wenig wehmütig auf den 30. April zurück, als er den Wasserturm nach rund 70 Jahren außer Betrieb nahm. „Alles musste umprogrammiert werden, um einen reibungslosen Übergang zu schaffen“, erinnert er sich an die spannenden und arbeitsreichen Tage. Eine Ära ging damit zu Ende, das Schicksal des Wasserturms war erst einmal ungewiss. Doch schließlich habe man sich entschieden, das Gebäude als Aussichts- und Ausstellungsgebäude zu neuem Leben zu erwecken, freut sich der einstige Wassermeister.
Rund 90.000 Gäste pro Jahr genießen seither die außergewöhnliche Architektur und die einmalige Aussicht über Lüneburg. Der Stolz auf dieses Bauwerk ist Johann Gross auch heute noch ins Gesicht geschrieben. Denn wenn auch die Wasserversorgung inzwischen weiter automatisiert und modernisiert wurde und der Turm als Zentrum für die Wasserversorgung der Stadt längst Geschichte ist, fühlt er sich dem beeindruckenden Gebäude im Schatten der Johanniskirche nach wie vor verbunden und zählt zu seinen treuesten Besuchern.(cb)
Fotos: Archiv Johann Gross, Enno Friedrich

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