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Echte Typen auf vier Hufen

geschrieben von Irene Lange im März 2016

Kaltblut-Pferde: beeindruckende Kraft, Gelassenheit und starke Charaktere

Aus dem Stadtbild Lüneburgs sind die Kutsch­fahrten von Andreas Gensch nicht wegzudenken. Das Getrappel der schweren Pferdehufe des Kaltblut-Zweiergespanns vor dem Wagen ist zu einem vertrauten Klang in der Innenstadt geworden. Wer einmal vom Kutschbock aus die sich in ruhigem Takt bewegenden, ausladenden Hinterteile der Pferde betrachten konnte, fühlt die Gelassenheit und Kraft, die von diesen Tieren ausgeht, die sich weder vom Straßenlärm, noch von kläffenden Hunde oder begeisterten Kindern aus der Ruhe bringen lassen.
Die irrige Bezeichnung „Kaltblut“ bezieht sich übrigens nicht auf die Körpertemperatur dieser Pferderasse, sondern auf das schwere Körpergewicht – manche wiegen bis zu einer Tonne — und das ­ruhige Temperament. Bei ihr wird das große Leis­tungsvermögen und nicht zuletzt die Gutmütigkeit geschätzt. Doch haben diese Tiere für ihren massigen Körperbau ein relativ kleines Herz — für den schnellen Sprint sind sie daher weniger geeignet. Dank ihrer Charakterfestigkeit und Geduld werden viele Kaltblüter-Rassen auch als Therapie­pferde eingesetzt, besonders für autistische oder an ­ADHS erkrankte Kinder. Bei multipler Sklerose verschreiben Ärzte zum Teil Reitstunden auf Kaltblütern, da sich die ruhige Gangart dieser Tiere positiv auf Körper und Geist der Reiter auswirkt.
Schon seit dem frühen Mittelalter wurden Kaltblüter als Arbeitspferde eingesetzt, wobei ihre Ursprünge vermutlich bis in die Antike zurückreichen. Zu Ritterzeiten stammten die meisten von ihnen aus edelsten Zuchten, mussten sie doch schwer gepanzerte Reiter durch die Schlachten tragen. Vor allem im Dreißigjährigen Krieg erlangten auch die Pferde von Kriegsherren wie Albrecht von Wallenstein und König Gustav II. Adolf von Schweden Berühmtheit.

Ein Pferdesportereignis, das jährlich im Juni unzählige Kaltblüter-Fans begeistert: „Titanen der Rennbahn“, das Rennen der Kaltblüter in Brück.

Diese Zeiten gehören der Vergangenheit an, wie auch jene, als man diese zuverlässigen Tiere als Arbeitspferde einsetzte, die nicht nur willig und geduldig ihre Aufgaben erfüllten, sondern zudem noch recht genügsam waren. Inzwischen verrichten fast überall Maschinen die Feld- und Waldarbeit. Nur in wenigen Waldgebieten werden zum Schutz der Natur noch die sogenannten „Rückepferde“ eingesetzt. Auch die Bierwagen, die früher Teil des Stadtbildes vieler Städte waren, kommen nur noch bei besonderen Anlässen zum Einsatz.
Obwohl einige Rassen, darunter auch das Schleswiger oder Altmärker Kaltblut, mittlerweile auf der Roten Liste der gefährdeten einheimischen Nutztierrassen stehen, gibt es doch Hoffnung, dass diese beeindruckenden Pferde auch weiterhin zu unserem Kulturkreises dazugehören. Durch eine Kreuzung aus Kaltblütern und Vollblütern entstand beispielsweise das Belgische oder Rheinische Kaltblut, mit dem Andreas Gensch aus ­Mechtersen vorzugsweise arbeitet. Zurzeit hat er fünf von ihnen im Einsatz: Hannes, Nero, Zigeuner, Benjamin und Gutsherrn, allesamt Wallache. Inzwischen sind noch zwei Pferde dazugekommen, bisher ohne Namen. Obwohl die Pferde äußerst robust sind, bedürfen sie dennoch sorg­fältiger Pflege und Aufmerksamkeit. Abgesehen von zwei täglichen Fütterungen müssen sie regelmäßig gepflegt und gestriegelt werden. Die so attraktiven Behänge an den Fesseln sind ein willkommenes Nest für Milbenbesatz, der das gefürchtete Ekzem „Mauke“ hervorrufen kann. Ohne­hin legt Andreas Gensch Wert darauf, dass seine Pferde artgerecht gehalten werden. „Wenn einzelne Tiere nicht mehr belastbar sind, gehen sie aus dem Betrieb“, sagt er. Doch einige von ihnen würden bis zu 20 Jahre treu und brav ihre Dienste verrichten.
Übrigens: Wie beliebt sie sind, zeigt die hohe ­Besucherzahl bei einem Pferdesportereignis der besonderen Art, das erstmals im Jahre 2002 viele Schaulustige anzog: das alljährlich Ende Juni stattfindende Rennen der Kaltblüter „Titanen der Rennbahn“.(ilg)
Fotos: Enno Friedrich

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