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Ich bin ein dicklicher Brillenträger!

geschrieben von Hansi Hoffmann im November 2014

Neue „Backstage-Erinnerungen“ von Hansi Hoffmann, PR-Manager zahlreicher Bühnenstars und Größen aus dem Musikbusiness

Im eiskalten Februar 1973 lockte mich der einstige EMI-Marketingboss John Reid nach London. „Du musst diesen Typen live erleben“, hatte er behauptet und mich nach Croydon, einem südlichen Stadtteil von London, in das „Palladium“ geschleppt. Über 1.000 junge Engländer waren in einem verqualmten Ballsaal versammelt — trinkend, rauchend, grölend, auf einem Podest ein Konzertflügel mit geschlossenem Deckel. Ein einzelner Spot strahlte auf den Klavierschemel, aus dem Nichts hopste plötzlich ein molliger Clown auf die kleine Bühne: bestickte Hot Pants, Batman-­T-Shirt, eine Kreissäge mit buntem Hutband auf dem Kopf und eine überdimensionale ­Brille mit Scheibenwischern auf der Nase. ­Elton John in Person! Schon hockte der Klamotten-Kasper am Flügel, knallte ein paar schroffe Piano-Akkorde in den Saal. Das Publikum johlte, als der pummelige Pianist mit seiner Falsett-Stimme zu singen begann, erst den „Crocodile Rock“ in die Tasten hämmerte, dann „Your Song“, „Good Bye Yellow Brick Road“. Wie ein Flummi sprang Elton John auf den Klavierdeckel, dirigierte das Publikum, legte sich unter den Flügel und hämmerte weiter den „Rocket Man“ in die Tasten. Der Saal wurde zu einem Tollhaus, einige tanzten, andere brüllten die Texte mit; knapp zwei Stunden eine turbulente One-Man-Show, ohne dass der Akteur die geringste Ermüdung zeigte.

Weit nach Mitternacht schleppte mich John Reid, der jetzt Manager von Elton John und Direktor der neugegründeten Plattenfirma „Rocket ­Rekords“ war, in den Backstage-Bereich des „Palladiums“. Die kleine Garderobe war überfüllt von einer ganzen Horde junger, aufgebrezelter Bubis; bunte Klamotten waren über Tisch und Stühle verteilt, eine Wolke vom allerbesten Kraut waberte durch den Raum. Vor dem großen Spiegel residierte Elton John in einem altrosafarbenen, seidenen Morgenmantel mit Samtkrägelchen. In der Hocke neben ihm ein wasserstoffblondes Bürschchen, das mit ihm einen dicken Joint teilte, immer wieder auf Elton einredete und dabei nicht vergaß, aus der Whiskeyflasche das Glas des Stars nachzufüllen. Reid schob mich resolut vor seinen Künstler, stellte mich vor. Durch seine starken Brillengläser schenkte John mir einen etwas abwesenden Blick, murmelte ein „Nice to see you“ und quasselte mit seinem Kumpel ungestört weiter. Ende der Vorstellung.

Nach 16 Jahren verschwand der Kokainabhängige 1990 für eine Langzeit-Reha im „Parkside Hospital“ von Chicago.

Cannes, Januar 1983: Seit 1966 trifft sich die internationale Musikbranche an der Côte d’Azur sieben Tage zum „Midem“ (Marché international de l’édition musical). Seit Beginn dieser weltgrößten Messe war ich der Sprecher der „section allemande“, betreute die angereisten deutschen Fachjournalisten, die Aussteller der Verlage und Plattenfirmen, organisierte Pressekonferenzen für die allabendlich auftretenden Superstars. 1983 gab sich Elton John die Ehre, im Palais de Festival ein Konzert zu geben. Einen Tag zuvor wollte er im Hinblick auf eine bevorstehende große Deutschlandtournee ein Pressemeeting für die knapp drei Dutzend deutschen Medienvertreter abhalten. John Reid, immer noch Berater des Stars, hatte ein Vorgespräch mit Elton John vorgeschlagen. Wir trafen uns am frühen Nachmittag auf der großen Terrasse des Carlton-Hotels, einem Fünf-Sterne-Kasten aus der Jahrhundertwende. Elton nuckelte an einem Milchshake und unterhielt sich mit seinem französischen Plattenboss Eddy Barclay. Auf der berühmten Croisette, dem Prachtboulevard von Cannes, unterhalb der Carlton-Terrasse, lärmte der Festivalverkehr. Eine ruhige Unterhaltung war anstrengend. Kurzerhand entschied John, das Gespräch in seinem Haus in Nizza fortzusetzen, und im silbernen Bentley-Luxusschlitten chauffierte uns ein Fahrer ins Hotel, eine dreistöckige Traumvilla über der Bucht von Nizza – ein großer Park voller mannshoher Skulpturen, ein riesiger Swimmingpool und überall kleine Nischen mit kuscheligen Sitzecken. Das ganze Haus war voll mit erlesener Kunst – echte Andy Warhols und Eric Fischls — und stilvollen Möbeln eingerichtet, eine Floristin versah täglich alle Räume mit geschmackvollem Blumenschmuck. Auf der großen Terrasse servierte ein junger, südländisch aussehender Hausangesteller eiskalten Rosé. Elton verschwand für kurze Zeit, kam im bunten Freizeitlook, mit glänzenden Augen und aufgedreht tänzelnd an unseren Tisch zurück. Der eigentliche Grund für den Ausflug nach Nizza war für den Paradiesvogel nicht nur die bevorstehende Pressekonferenz. Er wollte unbedingt noch für den nächsten Tag ein neues „Press sheet“ – eine Kurzbiografie – haben, da der „bullshit“ seiner Plattenfirma ihm nicht gerecht wurde.

Knapp, präzise und „only professional facts“ verlangte Elton. Ich notierte: 25. März 1947 als Reginal Kenneth Dwight in der Kleinstadt Pinner/Middlesex geboren, mit zwölf Jahren Kaffeehaus-Pianist, 1963 Student für Klavier und Komposition an der Royal Academy of Arts in London. Während des Studiums drei Jobs: Bar-Pianist im Northwood Hills Hotel, Bürobote in einem Musikverlag und „Tastenmann“ auf einem E-Piano für die Band „Bluesology“ unter dem Künstlernamen „Elton Hercules John“. Im Musikverlag 1967 erstes Treffen mit Textdichter Bernie Taupin, zwei Jahre später der erste gemeinsame Erfolg mit „Lady Samantha“, dann das erste John/Taupin-Album „Empty Sky“, danach die LP „Elton John“ und „Tumplewood Connection“. 1970 explodierte in den USA die Karriere, fünf Alben kamen auf dem Markt, dreimal Gold. Das legendäre Konzert im „Troubador“ von L. A. macht John zur „overnight sensation“. 1971 schreiben Elton und Ernie die Musik für den Film „Friends“, mit seiner Band nimmt er das Album „17-11-70“ auf. In England und Europa hapert es mit dem Erfolg, dennoch gründen die Singer/Songwriter ihre eigene Plattenfirma „Rocket Rekords“. Endlich gelang 1974 mit den Produktionen „Don’t Shoot Me I’m Only The Piano Player“ und „Goodbye Yellow Brick Road“ der Durchbruch in Europa, beide Alben erreichten die Top 10 in elf europäischen Ländern. Die USA-Tournee bricht alle Rekorde und Elton John wird zum Superstar.

Der „Salon de Press“ im Festival-Palais war brechend voll. Nicht nur deutsche Journalisten, auch Medienvertreter aus ganz Europa, den USA und Asien drängten sich vor dem erhöhten Podium. Beifall, als Elton John mit Manager John Reid und mir Platz nahm. Elton war — wie gewohnt — bunt wie ein Papagei gekleidet: grasgrüne Hose, ein Hemd mit kleinen schwarz-gelben Quadraten, pinkfarbene Boxerschuhe, knallrote Riesenbrille und die obligatorische Kreissäge mit bunten Bändern auf dem Kopf. Ich konnte noch nicht einmal, wie üblich, in deutscher, französischer und englischer Sprache das Meeting eröffnen, da prasselten schon die Fragen auf den Künstler ein. „Haben Sie auch einen normalen Anzug im Schrank?“ „Kann sein“, antwortete Elton. „Aber ich bin eben kein David Bowie oder Mick Jagger, keiner von den hübschen Jungs, bei denen die Ladies schon in Ohnmacht fallen, wenn sie auf die Bühne kommen. Ich bin ein dicklicher Brillenträger, der hinter seinem Piano festgenagelt ist, ziehe Donald Duck-­Kostüme an, springe auf meinen Flügel, benehme mich wie ein Wahnsinniger und versuche so mein Publikum zu fesseln.“ Ein zierliche Japanerin fragt aufegregt: „Haben Sie mit diesen Klamotten auch in Amerika Erfolg?“ „Auch in Australien, in ganz Europa und in den USA belege in seit Jahren den Platz 1 in der Liste der am schlechtesten angezogenen Männer. Aber meine Fans stört es nicht. Im New Yorker Madison Square Garden habe ich in sieben aufeinander folgenden Tagen vor insgesamt 155.000 Menschen gesungen!“ Manfred Sack von der „Zeit“ micht sich ein: „Was kostet Sie Ihr Hobby mit der Fußballmannschaft FC Watford?“ „1976 waren sie in der dritten Liga, jetzt sind sie schon in der zweiten. Ich bin der Präsident und will sie bald in der ‚Premier League‘ sehen, mit neuen, teuren Spielern. Das kos­tet schon soviel wie ein echter Picasso!“ Nach rund drei anstrengenden Stunden, einem turbulenten Foto-Shooting und zwei TV-Interviews befand sich Elton John wieder auf dem Weg zu seiner Villa in Nizza. Zum Abschied und als Dank umarmte er mich und drückte mir einen vergoldeten Montblanc-Füller in die Hand.

Wie ein Phönix aus der Asche startete ein energiegeladener Tasten-Maniac 1992 mit seinem 35. Album „The One“ eine Tournee mit über 100 Konzerten.

Drei ganze Jahre war Sendepause um das Enfant terrible der Popmusik. Nach 16 Jahren, in denen er keinen Exzess ausließ, im Rausch die deutsche Tontechnikerin Renate Blauen aus München/Gauting in Australien heiratete, um sich nach vier Jahren wieder scheiden zu lassen, verschwand der Kokainabhängige 1990 für eine Langzeit-Reha im „Parkside Hospital“ von Chicago. Wie ein Phönix aus der Asche startete Elton 1992 mit seinem 35. Album „The One“, das sich 16 Millionen Mal weltweit verkaufte, eine Tournee mit über 100 Konzerten und zeigte einen frischen, fröhlichen und energiegeladenen Tasten-Maniac. Die riesige Festhalle in Frankfurt war brechend voll, über 8.000 Fans bejubelten an diesem Märzabend 1993 den neugeborenen Elton, der über zwei Stunden in einem perfekten Timing, mit traumhafter Sicherheit und natürlich mit jeder Menge Routine seine erstklassige Band immer wieder unter Volldampf setzte. Mit Designerjeans, einem hellblauen Seiden­hemd und modischer Jacke präsentierte der Tastenwüterich seine unzähligen Pop-Perlen. Die ausgeflippten Klamotten, Brillen, Stiefel, seine Sammlung von Art Deco und massenhaft Zierrat hatte Sotheby’s in London für über acht Millionen Dollar versteigerte. Hinter der Bühne totale Hektik: Unzählige Flightcases wurden für die Nachtfahrt nach München gepackt – der nächsten Konzertstation –, und auf Mega-Trucks verladen. Im Catering-Bereich bedienten sich Musiker, das Produktionsteam und einige Gäste von der großen Menüauswahl; mittendrin mein alter Freund John Reid. Fast unbemerkt hockte plötzlich ­Elton John bei uns, frisch geduscht, Jeans, Rollkragenpulli, Basecap auf dem Kopf. John erinnerte ihn an unser Treffen in Cannes und Nizza, an „Midem“. Johns Augen blitzten mich durch die dicken Brillengläser an, er lächelte und entblößte sein Markenzeichen: seine weltberühmten Zahnlücke. „Ich bin gerade dabei eine „Elton John Aids Foundation“ zu gründen“, erzählte er spontan; „der Tod meines Freundes Freddie Mercury hat mich dazu bewogen. Alle Einnahmen aus meinen Tourneen fließen in diese Stiftung, darüber kannst Du berichten. Und ich schleppe keine peinlichen Erinnerungen an die alten Zeiten mit mir rum. Ich laufe unbeschwert durchs Leben, meine ganze Sichtweise hat sich geändert. Ich lebe anders, habe andere Interessen, sammle Fotografien und Kunst, setze mich mit den schönen Dingen des Lebens auseinander“. Zum Abschied eine flüchtige Umarmung, die Limousine wartete, die ihn zum Flughafen fuhr. Mit Sondergenehmigung wegen des Nachflugverbotes konnte er – wie nach jedem europäischen Konzert – mit seinem Learjet nach London fliegen, um in seinem eigenen Bett zu schlafen.

Sieben Jahre vergingen, bis mich Sir Elton John und sein junger Lebensgefährte David Furnisch am Eingang von „Woodside-Park“ – unweit des Schlosses Windsor – begrüßten. Die Philips-Direktorin Lin Poelzer von ­Eltons Plattenfirma hatte mich als „Begleitung“ zu dieser alljährlichen Spendenparty für Johns Aids-Foundation mitgenommen. Das Staraufgebot war beinahe unüberschaubar: Politiker, Londons High Society, Models und Künstler — über 600 Gäste waren laut Dresscode komplett in Weiß gekleidet. Im 15-Hektar Megapark standen Skulpturen zwischen kleinen Pavillons, ein Blumenmeer ergoss sich zwischen zwei idyllischen Seen, sogar ein Hundefriedhof war auf diesem riesenhaften Grundstück angelegt worden. Das weitläufige Herrschaftshaus prangte im wechselnden Farbenspiel unzähliger Scheinwerfer. Im Speisezelt, ein großes „Art Deco Gewächshaus“, traf ich John Reid gemeinsam mit dem genialen Textdichter Bernie Taupin; am Nebentisch Liz Hurley, Paul McCartney, Kate Moss und Giorgio Armani. Taupin, der über 1.300 Songs für Elton getextet hat, berichtete von der Oscar-Verleihung für Johns Musik zum Musical „König der Löwen“. „Heute kamen neue Verkaufszahlen von „Candle in the Wind“, von mir zu Lady Di’s Tod umgetextet: exakt 45 Millionen Stück und damit die erfolgreichste Single aller Zeiten“, berichtete er stolz. „In den 30 Jahren unserer Zusammenarbeit haben wir bis zum heutigen Tag über 700 Millionen Platten verkauft. Das schafften nicht Elvis, nicht die Beatles und auch nicht die Stones!“ Ein Grund für die britische Königin Elisabeth II., den kleinen, ganz großen Musiker Elton John 1998 im ­Buckingham ­Palace als Knight Bachelor zum Ritter zu schlagen. Sir Elton John, Commander of the Order of the British Empire, die dritte Stufe des ­britischen Ritterordens! ¶

Foto: Hansi Hoffmann

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