Magazin über das Leben in Lüneburg
Themen
Alle Themen und Artikel

„Ich bin nicht der Calypso-King!“

geschrieben von Hansi Hoffmann im Juli 2014

Harry Belafonte

Neue „Backstage-Erinnerungen“ von Hansi Hoffmann, PR-Manager zahlreicher Bühnenstars und Größen aus dem Musikbusiness

Mit einem leisen Zischen öffnete sich die geteilte Lifttür. Ich war in der fünften Etage des eindrucksvollen, zwölfstöckigen Hauses in der New Yorker Upper Side, unweit des Hudson River. Da stand er nun vor mir, mit einem breiten Grinsen und freudig funkelnden Augen: Harry Belafonte. Wir hatten uns knapp drei Jahre nicht gesehen, doch es kam uns beiden vor, als hätten wir uns erst gestern getrennt. Nach einer herzlichen Umarmung und „Welcome“-Grüßen führte mich Harry durch die Wohnung mit den 21 liebevoll eingerichteten Zimmern. „Als ich vor 20 Jahren diese Wohnung mieten wollte“, erzählte Belafonte, „haben die anderen Mieter des Hauses beschlossen, dass sie keine Schwarzen wollten. Nach zwei Jahren habe ich das Haus dann gekauft, allen Mietern gekündigt, bin hier eingezogen und habe in die freien Wohnungen nur farbige Freunde einziehen lassen.“ An der Hausbar gab es als Sundowner einen echten Jamaika-Rum. Der ganze Raum hatte karibisches Flair, naive Gemälde an den Wänden, bunte Batik-Teppiche, Sitzmöbel aus geflochtenem Rohr und Beistelltische aus Palmenholz und Glas. Wir machten es uns gemütlich und besprachen alle Promotion-Möglichkeiten für die bevorstehende Tournee 1983. Später in seinem Arbeitszimmer, als wir das neue Fotomaterial auswählten, bestaunte ich die gerahmten persönlichen Handschriften von Kennedy, Nelson Mandela, Martin Luther King, Bill Clinton, Muhammed Ali, der Königin von England und anderen Prominen­ten; dazwischen einige Filmplakate und Goldene Schallplatten; auf dem Schreibtisch in schlichten Silberrahmen Fotos seiner Kinder Shari, Adrienne, Gina und David. Julie, Belafontes zweite Frau, eins­tige Tänzerin und Choreographin, die ich in Hamburg schon kennen gelernt hatte, rief uns in die Küche, wo Harry seinen speziellen Karibik-­Salat süss-sauer für das Nudelgericht mischen sollte. An der Wand hinter der Arbeitsplatte entdeckte ich eine Kachel mit den Worten „Julie loves Harry“.
„Weißt Du noch …“. Immer wieder erinnerten wir uns beim Abendessen an die vergangenen über 25 Jahre unserer temporären Zusammenarbeit. „Ich erinnere mich, als Du 1957 nach dem Konzert im Titania-Palast in Berlin Steglitz so überwältigt warst von dem Jubel der Zuschauer“, wusste ich noch, weil ich damals nach Berlin gekommen war, um ein Interview für die amerikanische Soldatenzeitung „Overseas weekly“ mit dem US-Star Belafonte zu machen. „Als mich meine Plattenfirma in den 1950ern auf Europatournee schickte“, erzählte Harry, „reiste ich mit einem gewissen Wider­willen nach Deutschland. Ich kannte die Deutschen nur als unsere Feinde. Als ich dann auf die Bühne des Titania-Palastes trat, überwältigten mich die knapp 2.000 jungen Leute mit langem Beifall. Damals existierte noch keine Mauer, es gab nur den Checkpoint Charlie. Es sollte lediglich ein Konzert im Titania geben, es wurden drei — weil so viele Menschen aus Ostberlin kamen. Später stand ich mit Udo Lindenberg im dortigen „Palast der Republik“ auf der Bühne. Auch hier gab es wieder frenetischen Jubel. Ich nahm bei allen Konzerten im Nachkriegsdeutschland eine große Sehnsucht und eine ungeheure Energie wahr. Dieses junge Publikum vermittelte mir den Eindruck, dass sich etwas bewegte, und dies hat damals meine skeptische Haltung gegenüber Deutschland schlagartig verändert.“

Ein Leben in Armut und Unterdrückung, das waren die ersten Erfahrungen des jungen Belafonte — nicht etwa die Welt des Calypso.

Die riesigen Weinfässer in den Gewölben der Würzburger Winzergenossenschaft beeindruckten den Ehrengast Harry Belafonte. Bürgermeister und Winzerboss hielten Festreden, kredenzten im flackernden Kerzenlicht eine elitäre Weinprobe. Geschenk für den Ehrengast: ein Karton mit zwölf Flaschen des edelsten Bocksbeutels –„Würzburger Stein“, Jahrgang 1972. Auf der Fahrt von der City zum Hotel „Schloss Steinburg“ stand auf der Rückbank der Limousine zwischen Harry und mir der Karton mit den Weinflaschen, als der Sänger eine Flasche entnahm, mich um einem Edding-Filzstift bat und auf alle zwölf Etiketten der bauchigen Bocks­beutelflaschen sein Autogramm schrieb. „Im Hotel machen wir noch ein Foto von mir mit dem Wein“, erklärte Harry, „und dann versteigerst Du sie im Internet für ein deutsches Kinderhilfswerk!“ Bleibt anzumerken: Der ’72er „Würzburger Stein“ war schon 32,00 Deutsche Mark wert, mit Harrys Autogramm kamen 5.478,45 Mark für das „Leuchtfeuer“ in Hamburg zusammen. Einige Jahre später – im Dezember 2002 — trat Belafonte ohne Gage bei der großen „José Carreras Leukämie-Gala“ in der Leipziger Messehalle auf. Moderator Axel Bulthaupt und Klosterschwester Jaqueline aus Maria Lach sprachen auf der Bühne mit dem kleinen Sebastian, der seit zwei Jahren mit geringen Heilungschancen an Kehlkopfkrebs litt.

„Ich wollte diese Gage unbedingt haben, um der Indianer-­Bewegung den Gerichtsprozess zu ermöglichen.“

Harry hatte bereits seinen Auftritt mit drei Songs absolviert, saß nun im Künstlerbereich und verfolgte die Geschichte des krebskranken Sebastian. Belafonte, der vor vielen Jahren selbst eine Krebskrankheit überwunden hatte, setzte sich neben Sebastians Eltern und bat mich zu übersetzen. Wir erfuhren, dass der größte Wunsch des kranken Jungen war, einmal auf einer Nordseeinsel Ferien zu machen, aber das Geld der Familie reichte einfach nicht. Nach der TV-Gala, noch während der After-Show Party, fuhr Harry mit mir zum Hotel, in dem Sebastians Familie logierte. Der Star hockte sich auf die Bettkante des Jungen, ließ mich übersetzen, dass er von seinem Wunsch, einmal auf einer Insel Urlaub zu machen, gehört habe. Er, Harry, möchte ihm diesen Wunsch erfüllen: zusammen mit seinen Eltern vier Wochen auf Belafontes Heimatinsel Jamaika, Hotel mit Pool, „all inklusive“, plus Taschengeld und First Class Flüge. Ich bemerkte die feuchten Augen Belafontes, als Sebastian sich streckte und Harry schluchzend umarmte.
Konzert-Guru Fritz Rau hatte nach dem Konzert in der Frankfurter Festhalle Belafonte, seine zehn Musiker und die Girls vom Backing-Chor in sein uriges Stammlokal „Wasserweibchen“ in Bad Homburg eingeladen. Es war schon nach Mitternacht, nur Rau, Belafonte, Impresario Arne ­Worsoe und ich hockten noch in der Ofenecke. Rau hatte gerade von seinen Anfängen im Tourneegeschäft berichtet, als er, der Jura-Assessor, Kofferträger für Marlene Dietrich war. Mit seiner dunklen, rauen Stimme, mehr ein gebrochenes Wispern, berichtete Harry von seinem Treffen mit „der Dietrich“. „Aber bis es dazu kam, hatte ich als Farbiger, der in Harlem geboren war und seine Kindheit auf Jamaika verbrachte, dann als Junge wieder nach New York kam, viele schmerzliche Erfahrungen durchlebt“, gestand Harold Georg Bellafanti alias Belafonte.

Er litt unter dem alltäglichen Rassismus in Amerika, dem britischen Kolonialismus auf Jamaika, dem Leben seines ­Vaters, der als arbeitsloser Seemann Zuflucht im Alkohol suchte, der Entwürdigung der Mutter, die als schwarze Dienstbotin Schläge der Herrschaft einstecken musste. Ein Leben in Armut und Unterdrückung, das waren die ersten Erfahrungen des jungen Belafonte — nicht die vermeintlich fröhliche, immer singende und tanzende Welt des Calypso.
„Ich hatte großes Glück, dass ich bei dem großen deutschen Filmemacher ­Erwin Piscator, einst nach New York vor den Nazis geflüchtet, an seinem Dramatic-Workshop die Schauspielerei erlernen konnte, zusammen mit Tony Curtis, Marlon Brando, Walter Matthau und Rod Steiger“, erinnerte sich Be­lafonte. „Nebenbei jobbte ich als Fahrstuhlführer und trat als Pausensänger in einem Jazzclub auf, bekam später ein Engagement in dem berühmten „Village Vanguard Nightclub“, wo mich ein Plattenproduzent entdeckte. Doch den Plattenvertrag bei Capitol-­Records unterschrieb ich nicht, weil ich die mir vorgelegten Kommerzschnulzen nicht singen wollte. Erst zwei Jahre später, Anfang 1956, hatte ich mit meinem Album „Calypso“ Erfolg. Der „Banana Boat“-Song wurde der Hit mit meinem unverwechselbaren „Day-O“, der Schrei, mit dem die Bananen-Verlader am Ende der Nachtschicht im Hafen den neuen Morgen begrüßen. Aber der Calypso-­King bin ich nicht! Mit diesem Schrei habe ich übrigens einmal im Leben Werbung gemacht — für einen Kaffee. Ich wollte diese gigantische Gage unbedingt haben, die ich dann an die ­amerikanische Indianer-Bewegung komplett überwies, damit sie einen langen Gerichtsprozess um ihre angestammten Rechte mit teuren Anwälten erfolgreich führen konnten.“
Mit Otto Premingers Blockbuster-Film „Carmen Jones“ schaffte es Belafonte als erster Farbiger in Hollywood Fuß zu fassen. Eine ganze Reihe Filmerfolge wie „Kansas City“ oder „The Player“ machten ihn zum „Vorzeige-Neger von Holly­wood“, wie Soulstar James Brown es formulierte. Mit dem Album „Island in the Sun“ übersprang Belafonte die magische Eine-Million-Verkaufsgrenze. Auf seinen ausgedehnten Tourneen durch Amerika, Kanada und Europa präsentierte er als seine Gäste jeweils die Neulinge Nana Mouskouri, Miriam Makeba, Petula Clark und auch den jungen Bob Dylan. Als Belafonte 1984 Michael Jackson und Lionel Richie seine Idee „USA for Afrika“ erklärte, um in erster Linie Geld für die Opfer der Hungersnot in Äthiopien zu sammeln, engagierten sich massenhaft amerikanische Musiker für den Song „We are the World“, der mit 20 Millionen verkauften Platten die meistverkaufte Single aller Zeiten und mit einem Grammy veredelt wurde. Stars wie Tina Turner, Diana Ross, Bruce Springsteen, Michael Jackson, Bob Dylan, Ray Charles und Steve Wonder – um nur einige von den 62 Interpreten zu nennen – sammelten mit dem Song über 120 Millionen Dollar.

März 2003: Im großen Saal des Hamburger Congress Centrums warteten knapp dreitausend Zuschauer auf den Star, auf Harry Belafonte. Auf der Bühne verharrten lautlos im Schummerlicht schattenhafte Wesen, die Musiker und Background-Sän­gerinnen. Dann die Band, die mit donnerndem Sound feine Staubwolken in die gelben, roten und grünen Spots fegte. Und plötzlich stand er da. Einer wie Belafonte tritt nicht auf, er erscheint einfach. Wie beiläufig schlenderte der graue Kraus­kopf in dunkler Bundfaltenhose und grauem Hemd zum Mikrofon und sang „Jamaica Farewell“. Unpräten­tiös und natürlich vermengte sich der Calypso mit den Textbotschaften von Hunger, Krieg und Unterdrückung zum brausenden „Apocalypso“: „Mathilda“, „Try to remember“, „Island in the Sun“, „Coconut Woman“ — alles Weltbestseller. „Belafonte-Entertainment“ ist das Geheimnis dieser ewig jungen und stets heiseren Sirene, die selbst­sicher und mit unglaublicher Elastizität zwischen hoher Unterhaltungskunst und engagierter Botschaft balancierte. „Day-O“…! Zum Finale tuckerte das „Banana Boat“ nach Kingston Town. 3.000 Fans standen in den Stuhlreihen, tanzten und jubelten, feierten minutenlang einen glücklichen Harry Belafonte. Um Mitternacht saßen wir noch zu einem späten Imbiss in den „Vierländer Stuben“ des Hotels. In den über 40 Jahren meiner Presse- und Promotion-Aktivitäten hatte ich nie einen der unzähligen Stars um ein Autogramm gebeten, mit Ausnahme von Belafonte. Er schrieb auf sein Programmheft „There is no man – like Hoff-mann“. Danke Harry für all die Zeit mit Dir! ¶

Foto: Hansi Hoffmann

Anzeige