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Hauptsache glücklich

geschrieben von Irene Lange im November 2015

„Grasende Kühe dürfen nicht zum Auslaufmodell werden“: Landwirt Michael Hagemann führt in Scharnebeck mit viel Idealismus seinen Milchviehbetrieb

Noch bis Mitte Oktober heißt es für den Landwirt Michael Hagemann täglich um 5.30 Uhr aufstehen. Dann geht’s ab ins Auto und mit dem Anhänger und dem Alu-Tank darauf in Richtung Weide zum täglichen Melken. Rund fünf Kilometer sind es, meist holprige Feldwege, die bis zum Melkstand führen. Ständiger Begleiter bei diesen Fahrten ist Hund Lupo, ein 5-jähriger Schäferhund-Mischling, der vor zwei Jahren aus dem Tierheim zu den Hagemanns kam. Mitten in der ländlichen Abgeschiedenheit, ganz in der Nähe des Elbeseitenkanals, liegen die 21 Hektar Weideland, auf denen die Hagemann-Kühe von Mai bis etwa Mitte Oktober – je nach Wetterlage — nicht nur Auslauf und Freiheit genießen, sondern auch das kräftige Grünfutter. Zur Melkzeit am Morgen und am späten Nachmittag versammeln sich die derzeit 35 Schwarz- und Rotbunten geduldig wartend am Melkstand, einem Backsteingebäude, das die Familie vor fast 50 Jahren von der Tierärztlichen Hochschule erwarb, die dort seinerzeit noch Milchviehhaltung betrieb. Für das Abmelken bedarf es einiger Vorbereitung: Nach und nach werden die Tiere in die acht Boxen mit den Futtertrögen getrieben. Darin wartet bereits ein ordentlicher Hieb Kraftfutter auf sie. Dann werden die Melkmaschinen angelegt und die Milch in den großen Alu-Behälter geleitet. Nach dem Abmelken geht es wieder hinaus, wobei nicht selten mit einem liebevollen Klaps auf den ausladenden Kuh-Hintern nachgeholfen werden muss. Friedlich geht es hier zu, keines der Tiere ist aufgeregt oder nervös. „Ich kenne sie nicht nur alle mit Namen, ich kenne auch ihre Charaktere“, berichtet Bauer Hagemann. Angelika, die älteste seiner Kühe, ist bereits 13 Jahre alt und hat in ihrem bisherigen Leben rund 80.000 Liter Milch gegeben. „Zwiebel“ möchte beim Verlassen des Melkstandes grundsätzlich noch etwas aus dem Eimer mit dem Kraftfutter naschen, trottet aber nach Aufforderung dann doch hinaus. So hat jede Kuh ihre Eigen­arten, die eine etwas zickig, die andere geduldig und gutmütig.

Dass er als ältester Sohn mit fünf jüngeren Brüdern einmal den Hof übernehmen würde, war Michael Hagemann schon früh klar. „Allerdings habe ich manchmal auch damit geliebäugelt, einen anderen Beruf zu ergreifen; Pastor war da beispiels­weise eine Option“, gibt er zu. Schließlich entschied er sich dann doch für die Landwirtschaft und ließ sich zum Landwirtschaftlichen Betriebswirt ausbilden. Den Hof, den er 2006 von seinem Vater Günter Hagemann übernahm, führt er heute in vierter Generation. Natürlich kann der Haupterwerb des Hofes nicht aus der Milchtierhaltung generier werden. Vielmehr ist diese für den 35-Jährigen eher eine Art Hobby, bei dem eine gute Portion Idealismus mitspielt. Bei einem Grundpreis von derzeit 28 Cent pro Liter Milch kann von Wirtschaftlichkeit keine Rede mehr sein. Hauptsächliche Erwerbszweige des Hofes liegen im Kartoffel-, Mais- und Getreide­anbau, aber auch in der Mastrinderzucht. „Grasen­de Kühe dürfen nicht zum Auslaufmodell werden“, kündigte der niedersächsische Agrarminister Chris­tian Meyer bereits vor einem Jahr ein Förderungsprogramm an. Doch die Mittel daraus fließen noch nicht, weil bisher lediglich Geld für eine Konzeptentwicklung bereitgestellt wurde. Es hört sich viel an, wenn Hagemanns Kühe an einem Tag bis zu 600 Liter Milch produzieren, pro Jahr können es durchschnittlich bis zu 10.000 ­Liter sein. Doch um diese zu gewinnen, ist harte Arbeit und ständiger Einsatz erforderlich. Lediglich sein Vater und gelegentlich Bruder Martin können ihn dabei unterstützen. Dennoch – einmal längere Zeit in Urlaub zu fahren, das ist für Michael Hagemann nicht möglich. Aber er beklagt sich nicht. „Wenn es meinen Tieren gutgeht, bin ich zufrieden“. Und solange es ihm möglich ist, will er Beate, Uschi, Leila, Gloria, Zwiebel, Anna, ­Angelika und den anderen Tieren den Sommer auf der grünen Wiese gönnen. Sein Lohn sind gesunde und „glückliche“ Kühe.(ilg)

Fotos: Enno Friedrich, 123rf.com © arcticphotoworks

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