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Instand gesetzt

geschrieben im März 2016

Reparieren, tüfteln, basteln: Im Reparatur Café in Adendorf wird einmal im Monat defekten Gegenständen kostenlos neues Leben eingehaucht

Sie zieht, ruckelt und zerrt, doch Frauke Nitsch­ke kann den Reißverschluss nicht bewegen. Das Seidentuch sitzt zu fest. Es ist eingeklemmt im Zipper eines neuen Mantels, der nun nicht mehr einsatzbereit scheint. Selbst herausschneiden ließe sich das Tuch nicht, zu fest sitzt die Seide zwischen den Zähnen des Reißverschlusses. Missmutig sehen sich Frauke Nitschke und die Besitzerin des Mantels an. Die junge Frau hat den Weg zum Reparatur Café in Adendorf gefunden, um sich in diesem verzwickten Fall helfen zu lassen.

Tüftlertreffs eine der Nähexpertinnen. Zerrissene Hosenbeine, defekte Knöpfe oder löchrige Sweatshirts? Alles kein Problem für sie. Doch diesmal muss auch sie passen. Geduld hat den festsitzenden Reißverschluss nicht gelockert. „Soll ich es versuchen?“, fragt ein kräftiger Mann, der bei einer Tasse Kaffee darauf wartet, dass ihm zwei abgerissene Ärmel angenäht werden. Beherzt greift er den Reißverschluss und zieht ihn mit Kraft herunter. Ratsch! Der Mantel ist wieder offen und der Schal hat nur ein kleines Löchlein, das rasch zugenäht wird. Das Ergebnis der gemeinsamen Arbeit lässt sich sehen.
Nichts muss weggeworfen werden, Reparaturen kosten nichts und Menschen kommen sich bei einer sinnvollen Tätigkeit näher: Mit diesen wenigen Worten lässt sich die Philosophie des Reparatur Cafés erklären. Jeden ersten Mittwoch im Monat können Menschen so ziemlich alles, was be­schädigt ist, in den Gemeindesaal der Emmaus-Kirchen­gemeinde bringen. Dort wartet ein rund zehnköpfiges ehrenamtliches Team aus Tüftlern und Kreativen auf kaputte Radios, Fahrräder, Toaster, Computer, Spielzeug, und, und, und. Selbst Körbe können dort repariert werden. „Allerdings nur auf Anfrage, da unsere Korbflechterin nicht jeden Monat da ist“, erklärt Manfred Nitschke

Er ist einer der Organisatoren des Reparatur Cafés und hatte die Idee vor gut einem Jahr. „Unser Plattenspieler war kaputt. Wir haben überlegt, wo man ihn reparieren lassen kann.“ Nitschke informierte sich im Internet über eine Idee aus Holland, die derzeit um die Welt geht: Reparatur Cafés. Dort treffen sich Ehrenamtliche mit verschiedenen Talenten, um anderen unentgeltlich zu helfen. Die Idee faszinierte Nitschke: „Es ist ökologisch, nachhaltig und sozial“, stellte der pensionierte Lehrer fest. Dennoch ist er auf keiner politischen Mission. „Die Begegnung steht im Mittelpunkt“, erklärt der dreifache Familien­vater, weshalb neben Schraubenzieher und Lötkolben auch Kaffee und Kuchen zum Café-Betrieb gehören. „Wer möchte, kann auch nur auf eine Tasse Kaffee vorbeikommen“, betont Frauke Nitschke. Jeder ist im Reparatur Café willkommen – auch wenn er kein nicht funktionierendes Radio dabei hat. Dieses zu reparieren ist allerdings immer ein besonders gemeinschaftliches Erlebnis. „Wenn aus einem antiquierten Radio plötzlich wieder Musik kommt, wird ordentlich Beifall gespendet“, freuen sich Nitschkes. Die Atmosphäre im Reparatur Café ist jedoch nicht nur dann eine überaus lebendige. „Kunde“ und Reparateur sitzen gemeinsam am Tisch und fachsimplen über den Defekt. Die Reparatur-Kenntnisse sollen immer auch weitergetragen werden – vor allem auch an junge Leute. Mittler­weile waren schon Kinder von der Grundschule Adendorf zu Gast, mit der Aufforderung, etwas Kaputtes mitzubringen, das im Reparatur Café wieder heil gemacht werden kann. Manch ein Kuscheltier erhielt bei diesem Besuch ein zweites Leben, und die Generationen tauschten sich aus. Der älteste Tüftler im Café ist über 70 Jahre alt und fand den Besuch der Kinder richtig schön. „Hätten sich Kinder und Erwachsene einfach nur bei einer Tasse Kakao zusammengesetzt, wäre der Kontakt nicht so rege gewesen“, weiß auch Frauke Nitschke, die selbst früher an der Grundschule in Adendorf unterrichtete und weitere Schülergruppen eingeladen hat. All dies wird auch durch den Einsatz der Kirchengemeinde und der anderen Organisatoren möglich. Das Ehepaar Heidrun und Werner Zeletzki stellten vor gut einem Jahr den Kontakt zur Emmaus-Gemeinde in Adendorf her. Die Pastoren öffneten den Gemeindesaal fürs Café. Er besitzt genau die richtige Größe für Reparaturen und Kaffeeklatsch. Nur eines hat im ersten Jahr Reparatur ­Café allerdings noch nicht geklappt: Der alte Plattenspieler von Nitschkes läuft immer noch nicht. Jeden Monat kommen rund 50 Gäste ins Café, da blieb fürs alte „Schätzchen“ keine Zeit. Das nächstes Reparatur Café-Treffen im Bültenweg 18, Adendorf: jeweils Mittwoch, 2. März und 6. April, 15.00 bis 18.00 Uhr.(mh)

Fotos: Enno Friedrich

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