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Die Vergangenheit "Koldemoors"

geschrieben von Irene Lange im September 2014

Kaltenmoor, der größte Stadtteil Lüneburgs, soll seinen Namen von dem nahen „kalten“ oder „kahlen“ Moor erhalten haben

Aus dem frühen „Koldemoor“, Kohlmoor oder auch Kahles Moor“ entwickelte sich der größte Stadtteil im Osten Lüneburgs mit seinen über 9.000 Einwohnern: Kaltenmoor. Auf den ersten Blick mögen die ab Ende der 1960er Jahre entstandenen Wohntürme ins Auge fallen, doch begibt man sich auf einen Streifzug durch diesen Stadtteil, so wird schnell deutlich, dass Kaltenmoor sich auch durch üppige Grün­flächen, hübsche Einfamilien- und Reihenhäuser und eine ausgereiften Infrastruktur auszeichnet.
Auf dem ehemaligen von Bülowschen Land befindet sich heute noch das frühere Gutshaus, das derweil zum Jugendzentrum wurde. Ebenso beherbergt Kaltenmoor seit Ende der 1970er Jahre das ehrwürdige Gymnasium, das Johanneum, das mit seiner 600-jährigen Geschichte zu den ältesten in Deutschland zählt. Trotz seines Rufs als so genannter „Problemstadtteil“ möchte kaum einer der der dort Lebenden „sein“ Kaltenmoor verlassen. Hier lebt noch eine Art Lokalpatriotismus, dem auch ein Lüneburger Politiker aus Überzeugung die Treue hält: Oberbürgermeister Ulrich Mädge.
Wo aber beginnt die Geschichte, wer waren die ­ersten Siedler diesem Gebiet, das im Westen bis zur Ilmenau, im Osten bis zur Ortsumgehung und Neu-Hagen, im Nord-Westen bis zum Schützenplatz und im Süd-Westen bis zum Wilschenbruch reicht? Im Jahre 1530 erwirbt der Lüneburger Sülfmeister, Ratsherr und spätere Bürgermeister Hieronymus von Witzendorff, der aus einem bereits im 10. Jahrhundert erwähnten Adelsgeschlecht stammte, Land von Ludeke Smedeke. Dieser betrieb Ende des 15. Jahrhunderts in einem schoßpflichtigen (abgabepflichtigen) Garten eine Bienenzucht. Später legte Enkel Franz von Witzendorff – nachdem er den Besitz zudem noch erweitert hatte – dort einen Gutshof an. Das Gebäude – ein schlossähnlicher Wohnsitz, so man dem Poeten und lutherischen Theologen Lucas Lossius (1582 in Lüneburg verstorben) Glauben schenken darf — schien zur damaligen Zeit derart prächtig, dass dieser es als das „Schönste weit und breit“ bezeichnete. Erst 1803 verkauften die Witzendorffs das Gut Kaltenmoor schließlich an den Rittmeister Carl von Bülow. Das Schlossgebäude wurde 1836 durch einen Orkan zerstört, später jedoch wieder aufgebaut.

Doch war es den Kräften der Natur auf Dauer nicht gewachsen: Ein Blitzschlag sorgte 1912 schließlich für die endgültige Zerstörung, es brannte vollständig nieder. Lediglich ein Balken mit der eingeprägten Jahreszahl 1707 erinnert in dem später aufgebauten Wohnhaus noch an das alte Gutsgebäude mit seinem großen Tanzsaal. Schließlich übernahm die Stadt Lüneburg am 1. März 1965 sämtliche zu dem Gut gehörenden Ländereien mit Ausnahme des engeren Gutsbezirkes.
Die Bezeichnung„Koldemoor“ durch Lucas Lossius, der den Namen nach der Kälte des benachbarten Moores ableitete, wurde abgelöst durch die Ortsbenennung „Kahl Moor“ im Jahre 1774. Dazu gab es eine „Kurhannoversche Landesaufnahme“ der Offiziere des hannoverschen Ingenieurkorps mit einem entsprechenden Eintrag. Dann wieder zog Prof. Dr. Ernst Strasser, bekannter Autor einiger Bücher über Lüneburg, aus all diesen Deutungen den Schluss, dass Gut und Land „Kahles Moor“ hießen. Die früher mangelnde Be- und Entwässerung bewirkte nämlich einen hohen Wasserstand, der keine Bewaldung entstehen ließ. Allerdings hätte wohl der sicherlich anspruchsvolle, reiche Hieronymus von Witzendorff diese Region nicht erworben, wäre sie tatsächlich kahl und unattraktiv gewesen. Schließlich kaufte er das gesamte Land um das heutige Gebiet von Kaltenmoor auf, um sich und seine Nachkommen darauf niederzulassen – immerhin für rund zwei Jahrhunderte!
Nachdem im Jahre 1965 die Familie von Bülow ihre Ländereien an die Stadt verkauft hatte, entstanden Flächen zur Bebauung. Erst jetzt begann die eigentliche Besiedlung des Stadtteils; einige Hochhäuser wurden bereits Mitte der 60er Jahre errichtet, während weitere durch Investoren Anfang der 70er hinzukamen. Mit dem Wachstum des Stadtteils wuchsen auch die Probleme: Eines davon war die sogenannte „Panzerstraße“, die einst direkt am Rande des Stadtteils zum Übungsgebiet entlang führte. Die Belästigung durch Lärm, Staub und Abgase veranlasste die Bevölkerung immer wieder zu großen Protesten, bis schließlich die Ortsumgehung gebaut wurde.

Eine nicht unerhebliche Geruchsbelästigung wurde auch durch die Firma Scheidemantel verursacht, deren Sitz an der Dahlenburger Landstraße sich in Höhe des jetzigen Handwerker-Bildungszentrums und der kaufmännischen Berufsschule befand. Hier wurde aus Knochen Leim hergestellt. Aus der gesamten Bundesrepublik kamen per Bahn Waggons mit Knochen, die dann häufig am Wochenende auf dem Abstellgleis des Bahnhofs auf ihre Leerung warteten. Man stelle sich an warmen Tagen den Gestank vor! Auswirkungen hatte dies vor allem auf den Gründstücksmarkt: So manche von der Stadt angebotenen Grundstücke konnten aufgrund dessen nicht veräußert werden. Erst nachdem industrielle Klebstoffe auf den Markt kamen, wurde die Produktion des Knochenleims in Lüneburg aufgegeben.
Die nun frei gewordene Fläche rief Investoren auf den Plan. Gegen die Absicht, dort noch zwei Wohntürme zu errichten, folgte heftiger Protest aus der Bürgerschaft. Es wurde schließlich entschieden, auf einem Teil des Geländes die Kaufmännische Berufsschule zu errichten, woraus schließlich das heutige Berufsbildungszentrum für Handwerk und Landwirtschaft entstand. Weiterhin wurden – vielfach in Abstimmung mit den Einwohnern – Grünanlagen, Kinderspielplätze und sogar eine Rodelbahn angelegt. Gewachsen ist in den Jahren ein lebendiger Stadtteil mit all den größeren und kleineren Problemen, die das Zusammenleben von Menschen verschiedener Kulturen und Sozialisationen mit sich bringt.(ilg)


Fotos: Enno Friedrich
Fotos: Sammlung Hajo Boldt

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