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Der Kapitelsaal im Kloster Lüne

geschrieben von Natascha Mester im Mai 2014

Er ist und war ein zentraler Ort der Versammlung: Der Kapitelsaal des Klosters Lüne sieht nach Monaten der Restaurierung seiner Fertigstellung entgegen und mit ihm ein Artefakt, das in seiner Ausführung wohl einzigartig ist: der Lüneburger Äbtissinnenstuhl

Das Kloster Lüne gleicht einem historischen Füllhorn, das immer wieder Neues preisgibt: Als im vergangenen Jahr die großen, steinernen Bodenplatten des Kapitelsaals entfernt wurden, um dort eine Fußbodenheizung zu verlegen, traten zunächst ein unbekannter Kellerraum zu­tage, sowie verkohlte Balken, welche umgehend die Archäologen auf den Plan riefen. Die von einem Feuer versehrten hölzernen Bohlen wurden einer dendrochronologischen Untersuchung unterzogen. Und das Ergebnis überraschte: Aus der zeitlichen Datierung kann man schließen, dass das heutige Kloster nach dem großen Brand im Jahr 1372 nicht etwa – wie bisher vermutet – mehrere Kilometer entfernt vom Ursprungsbau aufgebaut worden war sondern an Ort und Stelle. Damit muss die Geschichte des Klosters neu geschrieben werden – und Geschichte ist in den trutzigen Mauern des ehemaligen Benediktinerinnenklosters allgegenwärtig. Der Kapitelsaal, der einst die Versammlungsstätte der klösterlichen Gemeinschaft war, ist in den letzten Monaten unter den versierten restauratorischen Händen zu neuem Leben erwacht. Hier traf man sich täglich, um die Regeln des Heiligen Benedikt zu lesen; hier wurden die zu verrichtenden Aufgaben verteilt; hier fand auch die Wahl der neuen Äbtissin statt und hier wurden die Verstorbenen aufgebahrt, erzählt Reinhild Freifrau von der Goltz, seit 2007 Äbtissin des Lüner Konvents. Neuwahl und Abschied, Leben und Tod, Vergangenheit und Gegenwart — alles unter den wachsamen Blicken der Äbtissinnenporträts, die in langer Reihe aus ihren Rahmen herabblicken. Eine schöne Symbolik. Zurzeit arbeiten Kirsten Schröder und Joachim Frey im Kapitelsaal. Joachim Frey, Leiter der Restaurierungswerkstatt der Klosterkammer Hannover, ist wie seine Kollegin Kirsten Schröder mit viel Herzblut und Arbeitslust bei der Sache. Er weiß, dass der Erhalt dieser geschichtsträchtigen Gemäuer in dieser Form nur mit der großen Unterstützung der Klosterkammer Hannover möglich ist, und ist dankbar, mit seiner Arbeit die Historie erhalten und erlebbar machen zu dürfen. Für die sechs Klös­ter, die sich im ehemaligen Fürstentum Lüneburg erhalten haben, wird die Leistungsverpflichtung des Landes durch die Klosterkammer Han­nover umgesetzt, dazu gehört auch das 1172 gegründete Benediktinerinnen­kloster Lüne. Gemein­sam mit der Abteilung für Bau-und Kunstpflege und den Archäologen des niedersächsischen Amtes für Denkmalpflege wurden zunächst Untersuchungen durchgeführt, um sich ein ungefähres Bild davon machen zu können, wie der Kapitelsaal in der Vergangenheit ausge­sehen haben könnte. Seine Außenmauern zählen zu den frühesten erhaltenen Bauabschnitten des Klosters aus den Anfängen des 14. Jahrhunderts. In dieser Zeitspanne hat er sein Gesicht häufig verändert.

Der Kapitelsaal ist in den letzten Monaten zu neuem Leben erwacht.

Durch die zahlreichen hohen Fenster des Kapitelsaals fällt Tageslicht auf die Porträts sämtlicher Äbtissinnen, die seit 1562 in langer Reihe die Wände dieses Raumes schmücken. Auch dies sei eine Besonderheit dieses Klosters, wissen die beiden Restauratoren Kirsten Schröder und Joachim Frey; in kaum einem anderen findet sich die vollständige Zahl, längst wurde nicht jede Äbtissin porträtiert.
Zurzeit arbeiten Kirsten Schröder und Joachim Frey an einem weiteren Meisterstück. Dass es sich bei diesem keineswegs um ein profanes Exemplar seiner Gattung handelt, erschließt sich selbst für den Laien auf den ersten Blick. Kein vergleichbares sei in jenen 14 Klöstern zu finden, die von den Res­tauratoren der Klosterkammer betreut werden, weiß der Leiter der Restaurierungswerkstatt. Im Allgemeinen sei der Äbtissinnensitz stets reicher geschmückt und höher als das übliche Gestühl, doch normalerweise wesentlich schlichter als ­dieser, ergänzt Kirsten Schröder. Das Entstehungsjahr des Lüner Äbtissinnenstuhls ist recht genau überliefert; es existiert noch eine Rechnung aus dem Jahr 1708, die der Handwerksbetrieb weiland an das Kloster stellte.

Das Entstehungsjahr des Lüner Äbtissinnenstuhls ist recht genau überliefert; es existiert noch eine Rechnung aus dem Jahr 1708.

Noch farbenfroher, als sich die Bemalung heute zeigt, war sie in ihrer ursprünglichen Fassung. Fehlstellen an den Armlehnen und auf der Rückseite gaben einen Einblick in die eins­tige Bemalung, die das Laub der Zierranken in frischem, kräftigem Grün darstellt, die Blüten in leuchtenden Orange- Rot- und Blautönen. Doch die damalige Äbtissin Margaretha Elisabeth von Harling sorgte nur wenige Jahrzehnte nach seiner Herstellung für die Übermalung des prunkvollen Stuhls, dessen Neugestaltung an einem Seitenteil als Schriftzug bis heute sichtbar ist: „renovatum 1743“ ist dort zu lesen. Offensichtlich war ihr Verständnis von zeitgemäßer Gestaltung ein anderes, vermutlich erschien ihr die ursprüngliche Fassung, die vornehmlich im Stil der Renaissance umgesetzt wurde, überholt. Gemalte Marmorierungen wurden aufgebracht, die Ranken, die den Stuhl umrahmen, erhielten die schlichtere Farbgebung, die für die Zeit des Barock typisch war. Nur das Gemälde, das auf Leinwand gemalt die gesamte Rückenlehne des prunkvollen Stuhls ausfüllt, ist in seiner Ursprungsfassung erhalten worden. Dargestellt ist dort die Salbung des Königs David vor Salomon – ein Thema, dessen Symbolik eng verknüpft ist mit der Bestimmung des Kapitelsaals: Hier darf die Äbtissin erstmals nach ihrer Wahl auf dem ihr zugedachten Stuhl Platz nehmen.
Die handwerkliche Üppigkeit des Stuhles ist auffällig, und vielleicht ist diese als Hinweis auf das Selbstverständnis jener Dame zu verstehen, die das Sitzmöbel als Oberhaupt des Klosters einst in Auftrag gab. An der gegenüberliegenden Stirnseite des Kapitelsaales, dem Äbtissinnenstuhl gegenüber – so ist es in den Aufzeichnungen eines damaligen Zeit­genossen zu lesen — hing das Porträt König Georgs II. im Krönungsornat. Nicht immer erhielten diese verschenkten Herrscherporträts aus freien Stücken ihren Platz an den Wänden der Klöster. Die Äbtissin in Lüne wusste auf den dargestellten Prunk offensichtlich mit einem entsprechenden Stuhl als gestalterisches Statement zum Selbstbewusstsein der Geistlichkeit zu antworten.

Äbtissin Margaretha Elisabeth von Harling sorgte für die Übermalung des prunk­vollen Stuhls: „renovatum 1743“ ist an einem Seitenteil als Schriftzug zu lesen.

Über 270 Jahre überdauerte dieses Kunstwerk, trotzte den wechselnden klimatischen Bedingungen, dem Staub und den zerstörerischen Feldzügen des Holzwurms. Doch hatte der alte Firnis die Farben auf den geschnitzten Holzteilen und auf dem Gemälde stark verfremdet und ihnen ihre Leuchtkraft genommen. Später aufgebrachte Teilübermalungen wie auch die vergilbte Firnisschicht wurden von den Restauratoren abgenommen. Der darunter liegende Farbanstrich ist größtenteils erhalten, so dass die originäre Fassung von 1743 wiederhergestellt werden konnte. Auch die Figuren auf dem „Dach“ des Stuhls hatten für mehrere Monate ihren ursprünglichen Standort verlassen und vorübergehend Quartier in der Restaurierungswerkstatt in Hannover bezogen. Dargestellt sind Bartholomäus, der Patron des Klosters Lüne, ein Engel der sich die Dornenkrone auf das Haupt setzt und ein zweiter, der das Kreuz trägt. Auch das Holz des Sockels war stark angegriffen, damit war die Statik beeinträchtigt. Ein Lüneburger Restaurator sorgte vor Ort für dessen Stabilisierung.
Die Vollendung der Restaurierungsarbeiten des Kapitelsaals steht kurz bevor. Im Frühsommer dieses Jahres wird er von den Konventualinnen des Klos­ters wieder als ein Ort der Begegnung und des Beisammenseins genutzt werden können. Damit wird er – dank der Unterstützung der Klosterkammer Hannover und der hervorragenden Arbeit der Restauratoren und beteiligten Handwerker — zu einem weiteren Teil lebendiger Geschichte im Kloster Lüne.(nm)

Foto: Natascha Mester

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