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Lehre, Tugend und Menschlichkeit

geschrieben von Irene Lange im Januar 2017

600 Jahre Bildungsbetrieb: Das Johanneum ist eine der ältesten Schulen Norddeutschlands

Über dem Haupteingang des Johanneums verkünden große Lettern den lateinischen Leitspruch der Schule: „doctrinae, virtuti, humanitati“. Bis heute stehen diese Begriffe für die Lehre, die Tugend und Menschlichkeit und versinnbildlichen damit den Geist, der hier von jeher herrschte.
Das Johanneum zählt zu den ältesten Bildungsstätten Norddeutschlands und blickt bereits auf eine 600-jährige Geschichte zurück. Dass diese Schule existiert, ist der Eroberung der Feste des Herzogs Magnus auf dem Kalkberg und der Nieder­schlagung seines Überfalls in der „Ursulanacht“ durch die Bürgerwehr der Lüneburger im Jahre 1371 zu verdanken. Nach diesem erfolgreichen Kampf war das Selbstbewusstsein der Lüneburger soweit gestärkt, dass so manche Privilegien errungen werden konnten. So entstand auch der dringende Wunsch des Rates nach einer von ihm gestifteten und beaufsichtigten Schule, zumal am 21. Juli 1406 die Domherren von Verden das ­Patronatsrecht über die Johanniskirche an den ­Lüneburger Rat abgetreten hatten.
Bis dahin besaßen ausschließlich die Benediktiner des Michaelisklosters das vom Herzog verliehene Recht, eine öffentliche Schule für Bürgerkinder betreiben zu dürfen. Jeder Schüler verpflichtete sich, für alle in Michaelis begrabenen Mitglieder des Wel­fen­herzog-Geschlechts die Seelenmesse zu lesen und zu gestalten. Erbitterten Streit gab es, als die Prämonstratenser aus Heiligenthal 1382 nach Lüneburg übersiedelten und ihre öffentliche Schule mitbrachten. Nun konnten die Söhne — Töchtern war seinerzeit der Besuch einer Schule noch verwehrt — gleich an zwei Schulen unterrichtet werden. Ein nicht haltbarer Zustand, befand Bischof Otto von Verden. Als Grund für einen Verbot einer weiteren Schulgründung gab er an, dass Michaelis den Toten der Welfenfamilie und deren Seelenheil verpflichtet sei.

Nach langen Auseinandersetzungen um die Rechtsfragen wurden schließlich Urteile gefällt, bei denen die Prämonstratenser zunächst unterlagen. Der Streit um die Einrichtung einer öffentlichen Schule durch den Rat der Stadt Lüneburg endete schließlich beim Papst Bonifatius, der kurzerhand das Bistum Verden nach Lüneburg verlegte. Schließlich erklärten sich die Benediktiner von St. Michaelis im Jahre 1402 bereit, die Schulangelegenheit den Bürgermeistern und den Ratsherren zu überlassen und verzichteten damit auf ihr Privileg. Doch bis es soweit war, vergingen wiederum drei Jahre. Dann aber brauchten die Herzöge das Geld der Lüneburger, um die hohen Lösegelder für den in Lippe gefangenen Herzog Heinrich zu stellen. Erst am 21. Juli 1406 zeigten sie sich willig, dem Rat das Patronatsrecht über St. Johannis zu übertragen. Die endgültige Entscheidung fiel am 15. September 1406 vor dem Schiedsgericht: Nach ­Einigung mit dem Michaeliskloster durfte der Rat der Stadt Lüneburg eine eigene Schule bei St. Johannis gründen — das Johanneum.
In seiner heute 600-jährigen Geschichte blickt die Institution für Bildung nicht ausschließlich auf glänzende Zeiten zurück. Besonders trostlos war die Lage durch die politischen Ereignisse und die wirtschaftlichen Wandlungen im 17. Jahrhundert durch den Dreißigjährigen Krieg. Damals war Lüneburg geradezu verarmt, mit der sinkenden Einwohnerzahl sank auch die Schülerzahl auf lediglich 50. Neue Schwierigkeiten kamen auf die Lüneburger zu, als man auch von den Napoleonischen Kriegen nicht verschont blieb, die Stadt im Jahre 1803 besetzt und die Schule aus ihrem Gebäude — damals noch nördlich der Johanniskirche — vertrieben wurde, um dort ein Militärhospital zu errichten. Zwölf Jahre musste der Unterricht in den privaten Behausungen der Lehrer stattfinden, und es dauerte lange, bis der Schulbetrieb wieder regulär in das Schulgebäude verlegt werden konnte. Zwischenzeitlich hatte man aufgrund der schlechten finanziellen und personellen Lage bereits daran gedacht, die Schule aufzulösen oder mit der noch bestehenden Michaelisschule zusammen zu legen. Doch langsam besserte sich die Situation, was nicht zuletzt dem Philologen Karl Haage zu verdanken war, der seit 1823 am Johanneum lehrte. 1834 wurde er Direktor und wirkte im Geiste des preußischen Bildungs- und Schulreformers Wilhelm von Humboldt, indem er sowohl neuere Sprachen als auch Mathematik und Naturwissenschaften in den Lehrplan aufnahm; hinzu kam 1830 die Einführung der staatlichen Reifeprüfung. Auch zeigte er sich aufgeschlossen gegenüber der Philosophie, der Dichtung und Musik. Ihm verdankt die Schule auch ihren Leitspruch „doctrinae, virtuti, humaniti“, der zu seiner Zeit über dem Portal der Schule angebracht wurde und bis heute seine Gültigkeit behalten hat.
Im 15. Jahrhundert wurden zunächst Prämonstratenser aus dem Kloster Heiligenthal als Lehrer eingesetzt. Doch bald übernahm der Rat der Stadt Lüne­burg die Schule in ihre Obhut und setzte zumeist Theologen als Lehrer ein. Auch genehmigte er die Schulordnung und hatte das Aufsichts- und Disziplinarrecht über Lehrer und Schüler. Da die Schule jedem offen stehen sollte, mussten weniger betuchte Bürger auch ein geringeres Schulgeld zahlen; Arme erhielten sogar Freiplätze durch Stiftungen.

Der Unterricht wurde über die Jahre in verschiedenen Bauten erteilt. Die ersten Schulstunden fanden im Hause des Ratsherrn van der Mölen statt. Aus noch vorhandenen Handwerkerrechnungen geht hervor, dass das erste Schulgebäude ab 1483 nördlich der Johanniskirche entstanden war. 1580 baute man dort auf den alten Grundmauern neu. Bis 1829 sollte dieses Gebäude nun als Johanneum bestehen bleiben, allerdings wiederum mit Unterbrechungen im Siebenjährigen Krieg (1756–1763) und in napoleonischer Zeit — 1803 bis 1814 — als Lazarett.
Ein Neubau ersetzte schließlich das alte, marode gewordene Gebäude aus dem 16. Jahrhundert. Es wurde am 2. November 1829 eingeweiht und wird heute von der Johannes-Rabeler-Schule genutzt. Dr. Karl Haage konnte die Stadtväter schließlich überzeugen, dass das Johanneum ein repräsentativeres Gebäude benötige: 1872 entstand am Roten Wall — der späteren Haagestraße — ein neues Schulhaus, das heute der Oberschule am Wasser­turm dient. 1913 wurde der Bau um einen Seitenflügel für einen Zeichensaal und naturwissenschaftliche Fachräume erweitert, und bereits 1978 wurde ein komplett neues Gebäude „Am Schierbrunnen“ in der Theodor-Heuss-Straße gebaut.

Wie streng damals die Schulordnung war, belegen Auszüge aus dem Jahr 1774. Disziplin war demnach oberstes Gebot, „das wesentlichste Stück der Schul Ordnung, daher einem jeden Lehrer hiemit vorzüglich aufgegeben wird, über dieselbe nach aller Strenge zu halten, und niemalen auf einige Weise eine Abweichung davon aufkommen zu lassen.“ Auf der anderen Seite heißt es: „Unser Wille ist nicht, daß die Jugend in einer scalvischen Furcht und Abhängigkeit von dem Lehrer erhalten werde …“ Anderseits kann man auch folgendes lesen: „Sollte sich jemand, wie Wir nicht hoffen, schwere Vergehungen, unverschämte Widerspenstigkeit und Bosheit zu Schulden kommen lassen, so soll der Rector, wie bisher, Macht und Gewalt haben, die Carcer Strafe zu erkennen“. Auch Klassenbucheintragungen gab es schon: „Zu dem Ende wird nicht undienlich seyn, wenn für jede Classe ein Buch gemachet wird, worinnen jeglicher Schüler sein Blatt hat, auf welchem an der einen Seite seine lobenswürdige Handlungen, auf der andern aber seine Fehler und Vergehungen niedergeschrieben werden.“
Während das Johanneum ursprünglich ein Gymnasium für Jungen war und Mädchen nur in Ausnahmefällen aufgenommen wurden, begann man 1971 mit der Koedukation. Neben Fremdsprachen wie Englisch, Französisch und Spanisch werden auch Latein und Griechisch gelehrt, wobei es seit 2001 einen bilingualen Zweig in Englisch gibt. Als neue Fächer wie Darstellendes Spiel und Informatik sind hinzugekommen.
In sechs Jahrhunderten brachte das Johanneum eine beachtliche Anzahl prominenter Persönlichkeiten hervor, unter ihnen auch Johann von Stern, Johann Abraham Peter Schulz, Bernhard Riemann, Niklas Luhmann, Edzard Schmidt-Jortzig und Jean Leppin. Noch heute ist die Stadt Lüneburg Träger des Johanneums, das für Eltern sowie Schülerinnen und Schüler bis ins 21. Jahrhundert eine Verbindung aus traditionsreicher Bildungsstätte und zukunftsorientiertem Unterricht von hoher Qualität darstellt.(ilg)

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