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Lüneburger Grabsteingeschichten „Six feet under“

geschrieben von Irene Lange im Juli 2016

Sie dienen der Erinnerung an Verstorbene, sind Zeugnisse längst vergangener Zeiten und Kunstepochen: Unsere neue Reihe „Six feet under“ ist den Grabsteinen und ihren Inschriften auf Lüneburgs sieben Friedhöfen gewidmet, die mitunter von einem ereignisvollen Leben erzählen

Älteste, bisher gefundene Gräber werden auf etwa 50.000 vor Christus zurückdatiert. Bereits in vorchristlicher Zeit waren Bestattungsrituale von großer Bedeutung für die menschliche Zivilisation; davon zeugen auch die im Lüneburger Raum vorhandenen Hünengräber aus der Bronzezeit ca. 3.000 v. Chr. In der Jungsteinzeit nach 6.000 v. Chr. wurden Grabmäler in Form von aufrecht stehenden, unbehauenen Steinen errichtet, die wohl auch kultische Bedeutung hatten. Nicht zu vergessen sind die ägyptischen Pyramiden, die den Pharaonen oder hohen Staatsbeamten als Grabstätte vorbehalten waren. Zu den berühmtesten Gräbmalen der Welt zählt sicherlich der Taj Mahal in Indien, ein Anfang des 17. Jahrhunderts erbautes prächtiges Mausoleum zum Andenken an die geliebte, früh verstorbene Frau eines indischen Herrschers.
Totenstätten entstanden üblicherweise vor den Toren der Stadt. Im antiken Rom — aber auch in Athen oder Pompeji — wurden vor den Toren der Stadt ganze Gräberstraßen angelegt. Die Römer waren es schließlich, die ihre Gräber mit Grabsteinen zum Andenken schmückten, meist in Form von Stelen, die mit Inschriften und Reliefdarstellungen versehen waren. Ein Brauch, der später von den Christen übernommen wurde. Ab dem Mittelalter wurde hochgestellten Geistlichen, Stiftern oder dem weltlichen Adel die letzte Ruhe in Gruften und Gewölben in Kirchen, Kapellen und Kreuz­gängen gewährt. Gekennzeichnet wurden diese mit steinernen oder auch bronzenen Grabplatten, deren Inschriften und Reliefabbildungen an den Verstorbenen erinnerten.

Ein Grabstein bewahrt das Andenken an die Verstorbenen, kann aber durchaus auch als Mahnung betrachtet werden: Das Leben ist endlich – nutze die Zeit!

Später wurden diese häufig an Wänden und Pfeilern angebracht, wie es auch in den Lüneburger Kirchen zu sehen ist. Der „einfache“ Bürger wurde auf dem Kirchhof bestattet, die Gräber mit schlichten Grabsteinen ver­sehen, die teilweise an der Kirchenmauer befestigt waren; auch diese sind heute noch unter anderem an der Johanniskirche zu finden. Seit dem 11. Jahrhundert war es insbesondere in Deutschland üblich, die Grabplatte künstlerischer zu gestalten.
Mit Beginn der Neuzeit – also etwa seit dem 16. Jahrhundert – wird auf den Grabmälern die Vergänglichkeit alles Irdischen hervorgehoben und der Schrecken des Todes figürlich dargestellt, beispielsweise in Form des Sensenmannes. Erst ab dem späten 18. Jahrhundert ändert sich die Gestaltungsform: Tröstliche Szenen und Engelsdarstellungen stehen ab jetzt im Vordergrund. Be­stattungen werden nun hauptsächlich auf Friedhöfen vorgenommen, dies gilt auch für Adlige oder Geistliche. Die teilweise überaus aufwändige Gestaltung der Grabmale unterliegt dabei dem Einfluss der jeweiligen Kunstströmung.

Land und von Religion zu Religion. Eines ist allen jedoch gemeinsam: Der Verstorbene soll nicht vergessen werden und sein Andenken soll gewahrt bleiben. Ein Grabmal oder eine Grabplatte trägt dazu bei. Nicht nur Namen und Daten sind darauf verzeichnet, häufig auch Sinnsprüche, die mitunter durchaus humorvoll ausfallen. Ein Beispiel: „Hier ruhen meine Gebeine, ich wollt’, es wären Deine!“
Für viele Menschen hat der Gang über den Friedhof etwas Faszinierendes, er gleicht einer Zeit­reise und lädt zugleich zur Besinnung im Trubel des Alltags ein. Eine große Zahl uralter Grabmäler und Grabplatten in kunstvoller Gestaltung ist auch auf Lüneburgs sieben Friedhöfen zu finden. Wer waren die Menschen, die hier begraben liegen? Wie haben sie gelebt, geliebt, gelitten? Ein Grabstein oder ein Grabmal bewahrt einerseits das Andenken an die Verstorbenen, andererseits kann es durchaus auch als Mahnung betrachtet werden: Das Leben ist endlich – nutze die Zeit!(ilg)
Fotos: Enno Friedrich, Winfried Machel

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