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Lüneburgs Reitende Diener

geschrieben von Irene Lange im Oktober 2015

Vermutlich die früheste „Reihenhausarchitektur“ in der Salzstadt: die Garlop-Häuser in der Reitende-Diener-Straße

Lüneburgs erste Reihenhäuser dienten einst den so genannten Reitenden Dienern — den „ridenden denre“ — und ihren Familien als Unterkunft. Als im Mittelalter das Reisen noch ein Wagnis war und man gut daran tat, den „hohen Herren“ einen Geleitschutz zur Seite zu stellen, unterhielt der Lüneburger Rat eine bewaffnete Truppe zu Pferde, die auch die Sendeboten auf ihren Tagfahrten begleiteten. Zu ihren vielzähligen Aufgaben gehörten auch Kurierfahrten — und waren sie nicht auf Reisen, so standen sie Ratsherren oder dem Bürgermeister auf Festbanketten und weiteren besonderen Feierlichkeiten zur Verfügung. Von Zeit zu Zeit geleiteten sie auch arme Sünder zum Schafott. Diese vielfältigen Aufgaben brachten es mit sich, dass die Reitenden Diener allerlei Kenntnis vom Geschehen innerhalb und außerhalb der Stadt hatten, daher waren sie gern gesehene Gäste, wenn es darum ging, Neuigkeiten zu erfahren. Besoldet wurde die Kompanie vom Sülfmeister, der auch für die Bereitstellung der Pferde zuständig war. Von den Reitenden Dienern wurde verlangt, jederzeit zur Verfügung zu stehen. Eine Unterkunft nahe dem Rathaus wurde gebraucht. Für deren Bau sorgte schließlich der damalige Bürgermeister Hinrik Garlop. Gleich hinter dem Rathaus entstand im 16. Jahrhundert ein neues Zuhause für die Familien dieses Berufsstandes — ein langgestreckter Bau, der in nahezu gleichgroße Segmente unterteilt war und heute an die Anordnung moderne Reihenhäuser erinnert. Die Reitenden Diener gaben der kleinen Straße, die in die Straße Hinter der Bardowicker Mauer und den Marienplatz vor der heutigen Stadtbibliothek mündet, schließlich ihren Namen.

Noch heute sind die neun Häuser ein beeindruckendes Zeugnis der Architektur des 16. Jahrhunderts, sie wurden in den Jahren 1971 und 1977 einer umfassenden Sanierung unterzogen. Hinrik Garlop ließ sechs von ihnen auf städtischem Grund errichten und stellte sie dem Rat als Stiftung zur Verfügung. Nachdem 1558 sein Sohn gleichen Namens und als letzter seines Geschlechts verstarb, ließ Schwiegersohn Franz von Witzendorff die Reihe auf neun Häuser erweitern. Laut Vorgabe der Stiftung hatte der Rat für die bauliche Erhaltung zu sorgen und durfte Boden und Keller für besondere Zwecke nutzen. Gegen ein Entgelt überließ die Stadt diese Räumlichkeiten der Saline bzw. der Sodmeisterei. An der durchgehenden Fassade prangen noch die mit einem Taustein umrundeten Wappenmedaillons der Familie Garlop; die Originale befinden sich mittlerweile im Museum Lüneburg; sie wurden durch Repliken ersetzt, ebenso wie drei bronzenen Schrifttafeln. Auf diesen wird zum Kampf gegen das Unrecht und für die Freiheit der Stadt aufgerufen – und dies in lateinischer Sprache, man wollte damit auf das hohe humanistische Bildungsniveau der Lüneburger Patrizierfamilien aufmerksam machen. Bereits im 18. Jahrhundert hatten die Reitenden Diener ausgedient. Deren Wohnungen in den Garlop-Häusern wurden infolgedessen an städtische Beamte vermietet. Heute sind in den schmucken Reihenhäusern Büros der städtischen Verwaltung untergebracht. Doch der Straßenname „Reitende Diener“ lässt die einst so ehrenvolle Truppe auch im 20. Jahrhundert nicht in Vergessenheit geraten.(ilg)

Foto: Enno Friedrich

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