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Plattdeutsch für alle

geschrieben von André Pluskwa im Februar 2014

Dass die plattdeutsche Sprache sich in Lüneburg als fester Bestandteil der städtischen Kulturlandschaft etabliert, dafür setzt sich der Verein „Lüneplatt“ mit viel Engagement ein

Mien Grootvadder hett jo jümmers seggt, dat ik’n Dröönbüddel bün. Dor hett he woll recht hatt, seggt mien Frau. Un he hett ok seggt, dat ik mit mien Dummtüch-Sabbeln woll blots Pastoor warden/weern künn, aver dor hett he nich recht hatt. Liekerveel verdeen ik nu mit Sabbeln un Schrieven mien Pieselotten, aver statts vun’n gollen Preekstohl dat Blaue vun’n Heven to verspräken, sitt ik hier in mien bannig koole Butz un bring för’n Keesblatt naams „Quadrat“ mien Gedöns för’n Appel un’n Ei to Popier.
Und weil alle Leser auch verstehen können sollen, was sie hier zu lesen bekommen, sehe ich mich genötigt, ins Hochdeutsche zurückzukehren — schade eigentlich. Nicht nur, weil es hier um den Verein „Lüneplatt“ geht, sondern auch, weil die Tatsache, dass Teile der Leserschaft, obwohl im norddeutschen Raum aufgewachsen, nicht plattdeutsch-firm sind, die Notwendigkeit von Netzwerken wie „Lüneplatt“ erschreckend deutlich macht und damit folgende Frage aufwirft: Wenn es bereits einer vermehrt organisierten Pflege einer Mundart/Sprache/Volkskultur bedarf, hat ihr Verschwinden aus dem Alltag dann nicht bereits begonnen? Wieso reichen natürliche Tradierungsprozesse, die ja Wesen und Kern einer jeden gesprochenen Sprache ausmachen sollten, nicht mehr aus?
Wie bei den anderen „großen“ deutschen Mundarten, beispielsweise der „Berliner Schnauze“, asso­ziiert man auch mit dem Plattdeutschen eine gewisse, von entsprechenden Archetypen repräsentierte Mentalität: Ein Beispiel sei der trotz aller Küstennähe eher trockene, mitunter lakonische Humor, verbunden mit einem Understatement, das uns „Nordlichter“ für den Rest der Republik mitunter als sture, ungehobelte harte Brocken erscheinen lässt. Dabei sollte man doch eigentlich besser an den berühmten Fels in der Brandung denken, denn allen Stürmen des Lebens zum Trotz lässt man sich dort, wo Platt geschnackt wird, das Recht auf einen eigenen Standpunkt und vor allem die Ruhe nicht nehmen – was nicht heißt, dass wir nicht auch bannig grimmig drauf sein können –, aber das ist eine andere Geschichte. Lange Rede, kurzer Sinn: Plattdeutsch, so möchte man meinen, ist das Aufbegehren gegen alles Preußische, eine Unbeugsamkeit, eine Subversion also, eine ungebrochene Haltung.
Ohne allerdings bloß eines „Volkes Stimme“ zu sein, lässt sich das Plattdeutsche gut als Folklore betrachten und ist mit seiner Vielzahl an regionalen Unterarten und Einfärbungen, die offenbar nicht nur von Dorf zu Dorf sondern sogar von Familie zu Familie unterschiedliche Eigentümlichkeiten aufweisen, in seiner sprachlichen Entwicklung stets frei geblieben. Bis heute gibt es keine offiziell gültige Orthografie, vielmehr erscheint die Schriftsprache als Resultat lautmalerischer Abzüge des gesprochenen Wortes. Dieses wiederum lässt sich sprachhistorisch und etymologisch weit in die menschliche Geschichte zurückverfolgen – eine hoch spannende Exkursion, die hier alle Rahmen sprengen würde. Daher nun endlich zu „Lüneplatt“, einem jungen Verein, der sich im November 2012 gründete.

Bis heute gibt es keine offiziell gültige Orthografie, viel mehr erscheint die Schriftsprache als Resultat lautmalerischer Abzüge des gesprochenen Wortes.

Erstaunlicherweise treffe ich auf der Vorstandssitzung fast ausschließlich auf Lehrer und Studenten — von akademischem Habitus oder gar verstaubter Antiquiertheit aber keine Spur, im Gegenteil: Die „jungen Deerns“ überwiegen leicht, und selten bin ich innerhalb von Vereinsstrukturen, gerade auf Vorstandsebene, auf soviel Unverkrampftheit, Freude und Warmherzigkeit gestoßen, selten bin ich so angenehm eines Besseren belehrt worden: Gerade die jüngeren Semester sprechen mir — nur war mir dies bis zu diesem Abend gar nicht bewusst — geradezu aus dem Herzen, als sie davon erzählen, dass Plattdeutsch für sie gleichsam Geborgenheit ist, ein Stück Familie und Heimat, die sich überall da findet, wo Menschen zusammenkommen, die Platt sprechen. Ob Jung, ob Alt, ob beim Einproben oder Aufführen eines Theaterstückes, den regelmäßig stattfindenden Stammtischen überall im Landkreis oder auf den zahlreichen Veranstaltungen, die das Lüneplatt-Team rund um den ehrenamtlich arbeitenden Plattdeutsch-Beauftragten des Landkreises und der Hansestadt, Günther Wagener, initiiert. „Plattdeutsch muss den Leuten begegnen“ sagt er, und damit ist tatsächlich schon die wichtigste Triebfeder des Vereins benannt. Und eben diese Begegnungen sind es, die dank Lüneplatt e.V. möglich gemacht werden — für alle, ob sie im Platt bereits zu Hause sind oder aber dies gerade für sich neu entdecken, oder — so wie ich an diesem Abend — wiederfinden; und plötzlich muss ich nicht nur an meine Kindheit denken, sondern daran, wie schön es für alle war, als wir vor ziemlich genau zwei Jahren gemeinsam auf einer Hochzeit „Dat du mien Leevsten büst“ gesungen haben, auf Wunsch des Brautpaares — meiner Frau und mir.
Und vielleicht habe ich im Laufe des Abends auch deswegen immer wieder den Gedanken, dass der Erhalt und die Pflege dieses Kulturguts, dieser Mentalität, dieser Lebensart, besser Lebensgefühls – das wohl ein jeder, der jemals zum Klön­schnack bei Kaffee und Kuchen in plattdeutschen Welten verweilte, wenigstens einmal hat spüren können – von genau so ungeheurer Wichtigkeit wie der Erhalt von Elbtalaue, Lüneburger Heide, Hünen­gräbern, traditioneller Handwerkskunst oder altem Gartenwissen ist. Damit nicht zu Vergangenem wird, was auch in Zukunft gegenwärtig sein sollte, um das Leben unserer Kinder zu bereichern.

Un wokeen seggt, nu weet wi wat dien Grotvadder mit „Dröönbüddel“ meent hett, den kann ik getrost seggen: Wat glöövst du, vun wen ik dat all heff? Ik glööv, wenn he dat hier noch all harr lesen kunnt, künn he richtig stolt sien op mi un all dat Quackeln hier, aver as ik em kennen doo, seggt he gornix un grient blots mien Grootmudder an un seggt: „Goot, dat de Jung keen Pastoor worrn is – sünst harr ik noch Sündagsmorrns fröh opstahn müsst för sien Sabbelee – aver so kann ik dat schön hier op’n Kanapee in’ne Stuuv schmökern, ahn dat ik dorto noch’n Heiermann in den Klingelbüddel steken mutt. – Hier, mien Jung, nimm du man, geihst mit dien Döchter mol schön in’ne Stadt to’n Kaffee un Koken, musst jo keeneen seggen, dat de Dalers vun mi sünd.“(ap)

Fotos: Enno Friedrich

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