Monsterjagd
geschrieben von katarine Engstfeld im September 2016Familienzusammenführung: Kinder, Eltern, Großeltern rund um den Globus finden sich bei „Pokémon Go“ nach nicht vorhandenen Tierchen suchend wieder
Von der Suche zur Sucht im Nullkommanix, sagen die Steinzeitmenschen (zu denen ich mich zähle). Vom Spiel zu neuen Realitäten zu neuen Möglichkeiten, sagen die Fortschrittsgläubigen (die unsere Welt verändern). Letztere sprechen auch von „Augmented Reality“ als Vertiefung des menschlichen Erfahrungshorizonts; die anderen reden von Realitätsverlust. Natürlich lässt sich trefflich darüber streiten, was Wirklichkeit ist. Man kann sich allerdings fragen, ob eine Welt, in der Menschen historische Gedenkstätten wie das Holocaust-Mahnmal in Berlin als Spielfeld für irreale Monster nutzen, in harmloser oder gefährlicher Weise eine Horizonterweiterung erfährt.
Die Gefahr, dass viele Menschen die virtuelle mit der analogen Welt tatsächlich verwechseln, ist wohl gering. „Pokémon Go“ fördert jenseits des Suchtverhaltens eher andere Probleme der Technisierung zutage, eine Umkehrung der Verfügungsgewalt über den öffentlichen Raum zum Beispiel. Wenn Militärgelände, Bahnschienen, Gedenkorte oder politische Institutionen beim Hersteller eines Spiels gemeldet werden müssen, damit dieser das Spiel nachträglich (!) anpasst, bestimmt ein Wirtschaftsunternehmen de facto neu, was öffentlich ist und was nicht.
Eine Horizonterweiterung für Google ist es allemal – das Unternehmen braucht im Nahen Osten und Asien kein Street-View-Fahrzeug mehr einzusetzen, es erhält Bilder der Umgebung, von Land und Leuten, frei Haus über die Spiel-App, und zwar vielfältiger, umfassender und intimer als jemals zuvor. Man könnte nun sagen: 1. das sei ein geringer Preis für das neue Gefühl der Gemeinschaftlichkeit, das die Spieler vernetzt; 2. ein in Kauf zu nehmendes Übel, bedenkt man, wie groß der Benefit für die an Langeweile zugrundegehenden Zivilisationen ist; 3. wie großartig, die Rückkehr der Couchpotatoes in die Natur! Ästheten bemäkeln vielleicht die Haltung der Affen mit der Nase am Smartphone, aber diese Lappalie wird mit Sicherheit bald durch die Google-Brille behoben.(ke)
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