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Die Pearly Kings und Queens

geschrieben von Edmund Minhoff im Oktober 2014

London präsentiert sich gern als umtriebige Weltmetropole – und doch gibt es auch hier Menschen, die in Armut leben. Seit über 100 Jahren setzten sich die „Pearly Kings and Queens“ für sie ein.

Unter den vielfältigsten und spannendsten Metropolen der Welt rangiert London sicher an einer der ersten Stellen. In dieser rund acht Millionen Einwohner zählenden Hauptstadt werden durch die ständig wachsende Einwohnerzahl aus den ehemaligen Kolonien, dem Commonwealth, fast 300 Sprachen gesprochen. Immer wieder ist es eine Freude und ein Erlebnis, diese Stadt zu besuchen, in der es immer wieder interessante Dinge zu entdecken gibt – fernab der üblichen touristischen Attraktionen wie Tower, Big Ben, Madam Tussaud oder dem Buckingham Palast.
Mein erster Weg führt mich meist nach Covent ­Garden. Dieses Stadtviertel erhielt seinen Namen während der Regierungszeit von König John Lackland zwischen 1199 und 1256. Es hat die Gestalt eines großen Rechtecks von rund 160.000 m² und diente der Abtei von Sankt Peter in Westminster als Gartenanlage, um deren Bedarf an frischen Lebensmitteln zu decken. Nach diversen Besitzstreitigkeiten zwischen Krone und Geistlichkeit wurde das Gebiet nach dem großen Brand von London 1666 zum wichtigsten Standort der Markthändler; eine Markthalle entstand um 1830, um einen witterungsunabhängigen Marktbetrieb zu gewährleisten. Gegen Ende der 1960er Jahre konnten die kleinen Strassen rund um die Markthallen den Verkehr, der durch das Anliefern der Ware ein immenses Ausmaß angenommen hatte, nicht mehr bewältigen, so dass der Marktplatz 1974 fünf Kilometer westlich eine neue Heimat fand: der heutige New Covent Garden Market. Die alten Markthallen verfielen und wurden schließlich 1980 zu neuem Leben erweckt.

Durch die Ansiedlung von kleinen Läden, Cafés, Res­taurants und zahlreichen Kleinkünstlern, die hier ihr Programm darbieten, ist Covent Garden neben dem Royal Opera House und dem London Transport Museum heute zu einer Touristenattraktion geworden. Hier können Stunden wie im Flug vergehen, während man inmitten des Trubels permanent Neues und Ungewöhnliches entdeckt.
Und ungewöhnlich erschien dann erst einmal auch der Anblick der Männer und Frauen in ihren schwarzen Anzügen und Kleidern, die über und über mit Perlmuttknöpfen unterschiedlicher Größe verziert waren. Die „Pearly Kings and Queens“ sind Londons so genannte Könige der Arbeiterklasse und heute eine anerkannte traditionelle Wohlfahrtsorganisation, deren Wurzeln bis in das Jahr 1875 zurückreichen. Eng verbunden ist mit ihrer Entstehung der Name Henry Croft, der in jenem Jahr das Licht der Welt erblickte und in einem Waisenhaus aufwuchs. Mit 14 Jahren verließ er dieses und begann, auf dem Markt in Somers Town als Straßenkehrer sein eigenes Geld zu verdienen. Die harte Arbeit der Straßenhändler, der Costermongers, der kameradschaftliche Umgang und die Fürsorge, die man füreinander aufbrachte, wenn die Familien krank oder in Not waren, gefielen ihm. Die Costermongers wählten einen Vorstand der Gemeinschaft, den Costermongers-King. Jeder der Händler hatte zur Unterscheidung der Gewerke an seiner Kleidung ein Muster bestehend, aus Perlmuttknöpfen, angenäht.

Wenn ein Knopf verloren ging, sammelte Henry ihn auf, und da er keinen Anzug besaß, nahm er Lumpen und nähte sich eine Kappe und den ersten Anzug für sein geplantes Vorhaben – und so ist es auch heute noch Pflicht bei den „Pearlies“, wie sie liebevoll genannt werden, sich seinen Anzug selbst zu schneidern. Henry nähte nun alle gefundenen Knöpfe an seinen Anzug, bis dieser über und über mit Knöpfen bedeckt war und begann als Londoner Original Geld für die Kinder in den Waisenhäusern zu sammeln. Für seine Spendensammlung gelang es ihm, einige der Costermongers-Familien ins Boot zu holen, aus ihnen entstand die erste „Pearly-Dynastie“. Seiner Beerdigung 1930 wohnten weit mehr als 400 „Pearlies“ bei – natürlich in der gewohnten Kluft. Dieses Ereignis machte erstmals die Medien auf das Wirken aufmerksam, die von da an regelmäßig über die Wohltätigkeitsorganisation berichteten.
Der Titel „Pearly King und Queen“ wird von den Eltern auf die nächste Generation übertragen. Ihre Arbeit hat sich bis heute etabliert, die Organisation arbeitet inzwischen mit der St. Paul’s Church in Covent Garden und St. Martin-in-the-fields, am Trafalgar Square Hand in Hand. Hier, in der Krypta von St. Martin-in-the-fields, wird das Andenken an Henry Croft in Form einer Statue aufrecht erhalten. An jedem Sonntag nach dem Gottesdienst in der St. Paul’s Church trifft man die Pearlies in Covent Garden im Prince of Wales Pub an, wo sie Spenden für die unterschiedlichsten Wohltätigkeitsorganisationen sammeln. Ihre größte Veranstaltung ist das alljährlich stattfindende Harvest Festival im September/ Oktober. Hier wird mit Umzügen und traditionellen Ost-Londener Trinkliedern getanzt und gefeiert. Und wenn sie in London rund um Covent Garden einen „Pearlie“ treffen, spenden sie ruhig etwas. Es ist garantiert für einen guten Zweck!

www.adrianscarbrough.com


Fotos: © adrian scarbrough, Ed Minhoff

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