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700 Jahre Rettmer

geschrieben von Irene Lange im Juli 2014

Rückschau: Am 26. Juli blickt Rettmer, der lebendige Ortsteil Lüneburgs, auf eine bewegte Geschichte zurück

Bereits in grauer Vorzeit – lange vor Christi Geburt – siedelten Menschen in der Gegend des heutigen Lüneburger Ortsteils Rettmer; davon zeugen nicht nur die zahlreichen Hügel­gräber mit Grabbeigaben aus der Jungstein- und Bronzezeit, sondern auch Funde wie Öfen, die zur Herstellung von Eisen „für den Hausgebrauch“ bestimmt waren. Es existierten, so die Vermutung, vor 2.000 Jahren bereits zwei bis drei Gehöfte, die von Großfamilien bewohnt wurden, die Ackerbau betrieben.
In einem Urkundenbuch der Bischöfe und des Domkapitels von Verden an der Aller wurde bereits der Name Rettmer erwähnt. Allerdings in der ursprünglichen Bezeichnung „Rotmere, Rathmere oder Rethmere“; Namen, die sich möglicherweise von dem Begriff „Ried“ (Schilfmoor) und „Mar, mere, mari“ (Meer) ableiteten. Dies deutet darauf hin, dass Rettmer von sumpfigem Land oder Moor umgeben war. Noch heute deuten mehrere kleine Teiche, der Bach und die Weide in der Ortsmitte auf frühe Feuchtgebiete hin.
So ist dann auch unter dem Namen „Rethmere“ im Jahr 1314 eine erste konkrete Erwähnung Rettmers durch den Knappen Eberhard von Öhm zu verzeichnen. Dieser hatte für seinen Hof, den er als Lehen vom Kloster St. Michaelis erhielt, jährlich zwei „Wichhimten“ (etwa sechs Zentner) Weizen als Zins zu liefern. Erst 1450 taucht Rettmer im Winsener Schatzregister mit vier verzeichneten Höfen und dazugehörigen Namen auf: Rose, De Meyger (sie unterstanden der Gutsherrschaft des St. Michaelis-Klosters) sowie Dithmars und Luteke Meyger, die dem adligen Gut von Möller in Heili­gen­thal unterstanden, die auch noch 1540 in einer Steuerliste von Herzog Ernst dem Bekenner verzeichnet sind. 1555 ist die Errichtung eines Zweiständer-Bauernhauses erwähnt, dessen Besitzer bis 1628 die Familie Stegen war. 1562 fielen die Besitztümer außerhalb der Stadt Lüneburg an Herzog Ernst, darunter auch Rettmer.
Auch seinerzeit werden hier vier Höfe im Unter­tanenverzeichnis von Wilhelm, Sohn von Herzog Ernst, geführt. Diese Höfe findet man auch in einer weiteren Quelle, dem Gogericht, verzeichnet, ein freies Volksgericht, das autorisiert war, die Todesstrafen zu verhängen. Dieses kam zweimal im Jahr vor dem „Oldenbrugger Dore“, dem heutigen Alten­brücker Tor, zusammen, wobei die Goherren abwechselnd vom Landesfürsten und dem Abt zu St. Michaelis gestellt wurden. Von den ersten vier namentlich erwähnten Hofbesitzern wurde Rose später durch Betke, dann Bergmann und danach durch Heins abgelöst. De Meyger – später Meyer – war noch bis ins 18. Jahrhundert Hofeigner. Dithmars wurde später zu Fuhrhop, und Luteke Meygers wurde abgelöst durch Breloh, Abben und später Hartmann.
In der Zeit des Dreißigjährigen Krieges (1618 bis 1648) litten die Bauern aus Rettmer, wie auch die übrige Bevölkerung, große Not. Es waren nicht nur hohe Kriegssteuern zu zahlen, auch Einquartierungen, Belagerungen, Verwüs­tungen und Plünderungen hinterließen ihre Spuren. Aus den Wäldern durfte man lediglich das Unterholz für den eigenen Bedarf holen. Auch die jagdliche Nutzung oblag den Obrigkeiten wie Kloster, Herzog und dem Gut in Heiligenthal und war streng reglementiert. Zusätzlich hatten die Bauern noch einen Zehntherrn an Verden abzugeben, und selbst vom Vieh wurde noch der Zehnte „gezogen“. Und damit nicht genug: Auch der Pfarrherr musste mit Fleisch und Getreide mitversorgt werden. Wen wundert es da, dass es immer wieder zu Aufständen kam, blieb den Bauern ja kaum noch etwas für den eigenen Bedarf. Selbst beim Bierbrauen ging es streng reglementiert zu. Die Qualität wurde von einem amtlichen Kontrolleur untersucht, der Strafe erhob, wenn das Bier für den Eigenbedarf zu gut gelungen war.

1314 findet sich eine erste konkrete Erwähnung Rettmers durch den Knappen Eberhard von Öhm.

Ab 1679 ging der „Zehnt“ der vier Hausstellen an das Haus-Braunschweig-­Lüneburg. Für die Nutzung von Grund und Boden wurden jährliche Pacht­zinsen in Form von Naturalien, aber auch Geld sowie Dienstleistungen gefordert. Die Bedingungen wurden in einem sogenannten „Meier-Brief“ festgelegt, an den eine ganze Familiengeneration gebunden war. Wie die anderen Höfe in Rettmer gehörte auch der Brelohsche Hof zu den Meier-­Höfen. Für jede Veränderung, sei es Verlobung, Heirat, Hofübergabe, Abfindung der Geschwister, Wiederheirat, Todesfall des Hofinhabers, kassierte der Gutsherr eine Abgabe.
Das frühe 19. Jahrhundert stand ganz unter dem Zeichen des napoleonischen Zeitalters. Lüneburg wurde dem Königreich Westfalen, das unter französischer Herrschaft stand, zugeteilt. Nun nannte man eine Gemeinde „Commune“, Bürgermeisterei eine „Mairie“, den Kreis einen „Canton“. Zudem waren die Forderungen anlässlich des Russland-Feldzugs des Napoleonischen Heeres schier unerträglich. Es wurde alles requiriert, angefangen beim Vieh bis zu Lebens- und Futtermitteln. Erst 1838 erhielten auch die Bauern in Rettmer, wie in den anderen Heidedörfern, die ihnen zugewiesenen Grundstücke zur eigenen Nutzung. Landfläche wurde überdies auch zur gemeinsamen Nutzung ausgewiesen, und noch einige Jahre später – 1856 – wurden sie auch von sonstigen Diensten und Abgaben befreit. Bis 1885 unterstand Rettmer der Hausvogtei des Amtes Lüne, bevor es im gleichen Jahr an den Landkreis Lüne­burg angeschlossen wurde. Zwei Firmengründungen am Ende des 19. Jahrhunderts waren für die Entwicklung des Ortes von Bedeutung: die Ziegelei und eine Sägerei. Durch die Einführung eines Gemeindeprotokollbuches im Jahre 1892 sind ab diesem Zeitpunkt Angelegenheiten niedergeschrieben, die das Gemeinschaftsleben betrafen. Diese enden jedoch mit der Eingemeindung in die Stadt Lüneburg im Jahre 1974.
Bis in die 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts existierten die vier Höfe in Rettmer, bis vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges grundlegende Veränderungen durch Aufsiedlung des Klosterhofes vorgenommen wurden. Mit der Einrichtung eines Truppenübungsplatzes südlich von Soltau wurden ganze Dörfer umgesiedelt. Die verdrängten Familien wurden unter Anderem in Rettmer untergebracht, die Landflächen aufgeteilt. Rettmer wuchs um weitere acht Hofstellen an.

­Lüneburg wurde dem Königreich Westfalen zugeteilt. Eine Gemeinde hieß nun „Commune“, die Bürgermeisterei „Mairie“, den Kreis „Canton“.

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs setzte zunächst die englische Besatzungsmacht Hans Eggersglüß als Bürgermeister ein. Er blieb auch nach der ersten Kommunalwahl 1946 im Amt. Am 1. März 1974 erfolgte die Eingemeindung Rettmers in die Stadt Lüneburg – immer noch unter Bürgermeister Hans Eggersglüß. Um weiterhin die Belange des Ortes gegenüber der Stadtverwaltung zu vertreten, wurde Eggersglüß als ehrenamtlicher Ortsvorsteher berufen. Es folgten Willy Brandenburger, danach Irmgard Hillmer. Derzeitige Ortsvorsteherin und gleichzeitig Ratsmitglied ist Carmen Maria Bendorf.
Bereits zu Beginn der 1960er Jahre setzte in Rettmer eine rege private Bautätigkeit ein, während zeitgleich Gelände für Firmengründungen wie Garbersbau, J. G. Scharff und R. Peters zur Verfügung gestellt wurden. Sogar die Eisenbahnlinie Lüneburg-Soltau, auf der die Heidebahn unterwegs war, führte seit ihrer Einrichtung im Jahre 1913 bis zu ihrer Einstellung 1977 durch Rettmer mit eigenem Haltepunkt. Das Bahnhofsgebäude existiert noch heute. Neben weiteren Gewerbebetrieben haben seit den 1990er Jahren viele Familien im Ortsteil Rettmer und den neu erschlossenen Baugebieten, beispielsweise am Pilgerpfad, ihr neues Zuhause gefunden.(ilg)

Fotos: Enno Friedrich

Auf Bitten der Ortsvorsteherin Carmen Maria Bendorf verfassten Dietmar Koltzenburg und Christian Smarsly eine umfassende Chronik über den Ortsteil Rettmer. Grundlagen für ihre Recherchen fanden sie in der Schulchronik Häcklingen aus deren Jubiläumsjahr 1992, in Gesprächen mit Einwohnern und in Unterlagen und Dokumenten des Stadtarchivs.

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