Magazin über das Leben in Lüneburg
Themen
Alle Themen und Artikel

Wo „Mann“ zur Sache kam

geschrieben von Irene Lange im Dezember 2014

wurde nicht gefördert und eben so wenig legalisiert, immerhin aber geduldet

Die Prostitution ist als das älteste Gewerbe der Welt bekannt. Bereits in der Antike wurde die käufliche Liebe von der Obrigkeit weitestgehend geduldet, so auch noch im Mittelalter. Obwohl die Kirche Lust und Sinnlichkeit als Sünde betrachtete, hatten dennoch Dirnen einen festen Platz in der mittelalterlichen Gesellschaft. Es stand – allerdings vornehmlich unverheirateten – Männern frei, ihre sexuellen Bedürfnisse bei Pros­tituierten zu befriedigen; die Obrigkeit der Städte machte sich die pragmatische Auffassung der Kirchenlehre zu eigen. Auch in Lüneburg sah man in der käuflichen Liebe ein unvermeidbares Übel („ad maiora mala vitanda“), das man, um schlimmere Gefahren für das Seelenheil abzuwenden, in Kauf nehmen müsste. Bereits im frühen 14. Jahrhundert wird in den Archiven ein Frauenhaus (Vrowenbude) in Lüneburg erwähnt, das sich in einer Gasse in der Nähe der Saline befand. Der Gebäudekomplex bestand aus neun einzelnen „Buden“ mit je zwei übereinanderliegenden Einzimmerwohnungen sowie je einer Diele und spitzbogigem Portal. Seine Bewohnerinnen hatten dem Rat eine jährliche Abgabe zu entrichten. Im Jahre 1910 wurden die Häuschen abgerissen, obwohl diese einen der seltenen noch erhaltenen zusammenhängenden gotischen Straßenzüge bildeten. Doch auch an verschiedenen anderen Orten der Stadt gab es Häuser, in denen Lust und Laster zu Hause waren.
Als „Wonnekenbruk“ wurde im Mittelalter diese unkeusche Örtlichkeit bezeichnet, wobei die Zusam­mensetzung des Wortes auf „Wunne“, also Wonne, und „brok“ nicht im Sinne von Bruch zu verstehen ist. Vielmehr bezieht sich der Begriff auf die Geldbuße, die an die Obrigkeit gezahlt werden musste. Und diese wiederum kassierte gern und reichlich. In der damaligen Gesellschaft bot sich nicht allen Frauen die Möglichkeit einer Eheschließung und Familiengründung. Hinzu kam, dass dafür strengste Jungfräulichkeit gefordert war. Der Weg in die Pros­titution war oft sexuelles Fehlverhalten oder Ehebruch, vielfach war es aber auch die Armut, die die Frauen dazu trieb.
Wie in vielen anderen Städten auch waren Straßen, die den Namen „Rosenstraße“ tragen, oftmals Orte der Prostitution. So wurde die Lüneburger Rosen­straße in der Nähe des Marktes im 15. Jahrhundert auch „vicus rosarium alias in fornificulorum platea“ genannt, was „Rosengasse“ oder auch „Dirnenstraße“ bedeutet. Ein weiteres Indiz für die Nutzung der Rosenstraße sind Straßennamen der Umgebung. So zweigt von der Rosenstraße die heutige Koltmannstraße ab. Im Mittelalter hieß sie „Tittentasterschenstraten“, ein Straßenname, der in Lübeck und anderen Orten Norddeutschlands wie Wismar ebenfalls für das dort angesiedelte „horizontale Gewerbe“ stand.
Vergeblich sucht man in den Lüneburger Archiv­unterlagen nach einer vom Magistrat der Stadt angeordneten Kleiderordnung für Prostituierte in jener Zeit. Während es für andere Berufsstände wie Mägde, Knechte oder Brautleute genaue Richt­linien gab, ist lediglich bekannt, dass die „Käuflichen“ an ihrer Kleidung deutlich erkennbar sein mussten. So variierte die Kleidervorschrift von Region zu Region. Beispielsweise trugen sie in Hamburg rote Mützen oder Kappen, in anderen Städten gelbe Armbinden oder Bänder. Die Kleidung der Dirnen, auch „Hübschlerinnen“ genannt, war gekennzeichnet durch die Farben Rot, Gelb oder Grün, die als „Schandfarben“ galten. Ehrbare und anständige Frauen durften sich nicht herausputzen. Im Laufe des Mittelalters wurden Prostituierte immer häufiger als Verbündete des Teufels oder als Hexen gebrandmarkt. Ob das auch in Lüneburg der Fall war, ist nicht überliefert. Überhaupt sind in den städtischen Archiven nur wenige Aufzeichnungen über die Prostitution in mittelalterlichen Zeiten zu finden. Aus ihnen geht hervor, dass später Maßnahmen ergriffen werden mussten, um die Ausbreitung der Syphilis zu unterbinden.

„Alle Frauen oder Mädchen, die in auffallender Weise strichend oder an der Tür stehend getroffen werden, um Freier anzulocken, sind zur Anzeige zu bringen“.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden wöchentlich ärztliche Untersuchungen im alten Krankenhaus für die gewerblich tätigen Prostituierten angeordnet – gegen ein Honorar von 100 Reichstalern jährlich erklärten sich als erste Dr. med. Stieck und Dr. H. Duncker dazu bereit; ersterer wurde 1874 von Dr. med. Bögel abgelöst. Bis dato gab es in Lüneburg keine polizeiliche Anordnung, die die Unzucht in irgendeiner Weise regelte oder gar verbot. Mit den angeordneten ärztlichen Untersuchungen durch die Krankenhausärzte war es 1896 wieder vorbei, danach fanden so genannte sittenärztliche Untersuchungen statt. 1901 bestellte man in Lüneburg einen Dr. med. Hölscher zum „Sittenarzt“.
Mit dem aufstrebenden Nationalsozialismus 1933 wurde das „Dirnenunwesen“ bekämpft. Dies macht deutlich, dass die Damen bis dato recht unbehelligt ihrem Gewerbe nachzugehen pflegten – bis auf die um die Jahrhundertwende angeordneten ärztlichen Untersuchungen, nicht zuletzt, um die Verbreitung von Geschlechtskrankheiten einzudämmen. Ab jetzt sollte Kriminalassistent Preine für Ordnung sorgen, es hieß: „Alle Frauen oder Mädchen, die in auffallender Weise strichend oder an der Tür stehend getroffen werden, um Freier anzulocken, sind zur Anzeige zu bringen“. Die Kontrolle habe sich auch auf Gastwirtschaften zu erstrecken, wo solche „Weiber“ zu verkehren pflegen. Dabei sei besonders das Haus in der Wendischstraße 13 in die Kontrolle einzubeziehen.
Die Zeit der „Hübschlerinnen“ in Rosenstraßen war damit endgültig vorbei. Zwar waren die Prostituierten im Mittelalter gesellschaftlich „randständig“, was bedeutete, sie gehörten zu den untersten Schichten der Gesellschaft, gleichgestellt mit Abdeckern, Henkern, Spielleuten usw; und doch waren sie geduldet und durften vielfach sogar an gesellschaftlichen Ereignissen teilnehmen. Auch heute gehört das „horizontale Gewerbe“ zu Lüneburgs Stadtbild, seinen Standort hat es ein wenig abseits „Hinter der Sülzmauer“, wo dann und wann ein rotes Licht den Weg in das Innere der kleinen, windschiefen Häuschen weist, die vage an die historischen „Vrowen­buden“ im Mittelalter erinnern mögen.(ilg)

Illustration: Jahresbericht des Museumsvereins für das Fürstentum Lüneburg 1896/98, Beitrag August Paulsdorff.

Foto: Enno Friedrich

Anzeige