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Sax mit Charlotte

geschrieben von Natascha Mester im Dezember 2014

Gute Saxophonistinnen sind in der Jazz-Landschaftnach wie vor unterrepräsentiert. Zu dieser raren Spezies zählt auch die Lüneburgerin Charlotte Greve, die in New York ihr zweites Zuhause fand

Nur vier Töne für die Klangprobe und einen kurzen Moment des Innehaltens braucht es, bis Charlotte Greve den musikalischen Dialog mit ihren drei Musikern des Lisbeth-Quartetts aufnimmt. Völlig unangestrengt lässt sie die improvisierten Töne über das Thema – die Basis des Stücks — gleiten; in einer Weise, die gleichermaßen mächtig wie zart klingt, niemals dominant; selbst dort, wo der Klangteppich dichter wird, das Tempo Fahrt aufnimmt und sie in den solistischen Mittelpunkt rückt. Die Stücke des dritten Albums der Berlin-New Yorker Jazzformation stammen allesamt aus Charlotte Greves Feder: urbaner, reifer Jazz, der den Aufbruch in eine neue generationsübergreifende Ära zu markieren scheint, eine, die sich spielerisch und lustvoll über musikalische Dogmen hinwegsetzt. Am Altsaxophon Charlotte Greve – Alt-Lüneburgerin, Wahl-New Yorkerin, 26 Jahre jung und frisch gebackene Absolventin der New York University. Bis dorthin war es zwar ein weiter Weg, in dessen Verlauf immer wieder namentlich die Musikschule Lüneburg als Ausbildungsstätte für fundierten Querflöten- und Saxophonunterricht genannt wird. Nach der Blockflöte folgten zehn Jahre klassischer Querflötenunterricht – der Beginn einer Musikerkarriere. Doch juckte es sie bald in den Fingern, es mit der Improvisation zu ver­suchen. Es gelang, wurde Triebfeder und Initialzündung für den späteren Wechsel von der Quer­flöte zum Saxophon.

Improvisationen sind Unikate

en Jazz entdeckte sie mit zwölf – nicht ganz unschuldig daran war ihr Bruder, der die Jüngere musikalisch mit Standards, aber auch mit Anspruchsvoll-Experimentellem versorgte. Das formte schließlich ihr Gehör. Und ausschließlich nach Gehör spielte Charlotte dann auch jahrelang ihre Improvisationen. Ihr Musiklehrer hielt sie an, doch wenig­stens einmal die Dreiklänge zu lernen. Ein Drama sei dies gewesen, lacht sie, weil sie das freie Spiel lange nicht mit dem analytischen Denken in Einklang bringen konnte. Die Freiheit, die die Improvisation ihr biete, strenge sie weitaus weniger an, als sich exakt an die Noten der klassischen Werke zu halten. In der Improvisation entsteht etwas Einmaliges, ein musikalisches Unikat, das sich in gleicher Form nicht reproduzieren lässt. Das fasziniert sie – auch heute noch.
Das stille Kämmerlein war schon zur Schulzeit nichts für Charlotte, sie fühlte sich in der Gesellschaft Gleichgesinnter wohl, musizierte in der Jazz-­AG der Wilhelm-Raabe-Schule, war als Flötistin in der Schulbigband verpflichtet und spielte in verschiedenen „Jazz-Combos“. Und weshalb der Wechsel von der Querflöte zum Saxophon, mag nun der Eine oder Andere geneigte Leser fragen. Die Antwort komt prompt: „Die Querflöte, die ist mir irgendwann zu leise gewesen.“

New York – Eine ambivalente Liebe

Honoriert wurde ihr Können schon früh bei Wettbewerben wie „Jugend musiziert“ und „Jugend jazzt“. Später, 2010, wurde Greve mit dem JazzBaltica-Förderpreis ausgezeichnet, 2012 folgte für sie und ihre Lisbeth-Quartett der „Echo Jazz“.
Nach dem Abi studierte sie erst in Berlin, wechselte dann mit einem Stipendium für ein Masterstudium nach New York, dass sie im Mai dieses Jahres abschloss. Noch bis Mai 2015 hat ihr Visum Gültigkeit. Ob sie dieses verlängern wird? Da ist sie noch unsicher; zwei Herzen schlagen da in ihrer Brust. Manchmal ist es eben dieser Blick über den kontinentalen Tellerrand, der Heimat wieder in ein strahlenderes Licht rückt. Mit New York, genauer mit Brooklyn, verbindet die Jazz-Musikerin eine ambivalente Liebe, eine, die sie über alle Maßen begeistert und manchmal auch an ihre Grenzen bringt, die ihr anhand der unüberschaubaren Jazz-­Szene aufzeigt, dass sie nur eines von vielen ausgezeichneten Talenten ist. Das macht demütig, sagt sie, und es spornt gleichzeitig an. Es gibt hier eine Dringlichkeit, sich weiter zu entwickeln.
Drei CDs hat sie mittlerweile mit dem Lisbeth-­Quartett herausgebracht. „Framed Frequencies“ heißt das aktuelle Album. Die Kompositionen wie auch das Spiel der Musiker, die über viele Jahre zusammenarbeiten, machen eine erstaunliche musikalische Evolution hörbar. Am 6. Oktober 2014 gab sie erst mit ihren drei Spitzen­musikern nach zehn Tourtagen quer durch Deutschland ein Heimspiel in der Musikschule Lüne­burg. Im Januar kommt sie erneut nach Deutschland, am 31.01. in den Kunstraum Tosterglope, dann allerdings mit ihrer neuen New Yorker Band „Wood River“ und frisch gepresster LP (!), auf der elektronische ­Elemente eine sehr viel größere Rolle spielen werden als Jazz. Infos: www.charlottegreve.de(nm)

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