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Vampire im Landkreis!

geschrieben von Irene Lange im Mai 2016

Ihr Ruf ist besser als man denkt

Seit über 70 Millionen Jahren bevölkern Fledermäuse unseren Planeten. Sie haben die Dinosaurier, Eiszeiten und unzählige Klima­wechsel überlebt, doch sind heute viele Arten vom Aussterben bedroht und stehen daher unter strengem Artenschutz. Nicht nur Fressfeinde wie Marder, Eulen, Eichhörnchen und Katzen sorgen für die Dezimierung der nachtaktiven Tiere, auch die vom Menschen verursachte Beeinträchtigung des Lebensraums und der Nahrungskette sind große Störfaktoren, dazu zählen insbesondere der Einsatz von Chemie in der Landwirtschaft, die Zerstörung von Biotopen – auch im Raum Lüneburg – und nicht zu vergessen die Gefahr durch Wind­krafträder, von Schützern sarkastisch als „Fledermausschredderanlagen“ bezeichnet. Inzwischen sind jedoch Bemühungen des Gesetzgebers vorgesehen, diese Gefahr weiter einzudämmen.
Im Lüneburger Raum setzen sich NABU und der Landkreis besonders für den Schutz der einzigen flugfähigen Säugetiere ein. Beim Fachdienst „Umwelt“ ist es Hinrich Jacobi vom Landschaftspflege­trupp, der sich mit dem Erhalt der Fledermausarten im heimischen Raum bereits seit Jahren befasst. Zu seinen Aufgaben gehört es auch, die die Besetzung der Überwinterungs-Quartiere zu dokumentieren; seine Erfahrungswerte belegen, dass allein im Bereich des Kreises Lüneburg inzwischen elf Quartiere von Populationen verschiedener Arten genutzt werden. In der Dämmerung sind es meist die kleinen Zwergfledermäuse, die ihren Erkundungs­flug beginnen und bevorzugt auf den warmen Dachböden der Häuser überwintern. Aber auch Wasser- und Fransenfledermäuse, das Braune Langohr oder der Großer Abendsegler sind in unseren Breitengreden zu Hause.
Es gibt triftige Gründe, sich für den Schutz der Fledermäuse einzusetzen, beispielsweise weil sie zu den nützlichen Insektenvertilgern zählen — die 4 bis 5 cm winzige Zwergfledermaus frisst in einer Nacht schon einmal bis zu 3.000 Mücken. Die stark gefährdete Mopsfledermaus bevorzugt hingegen Nachtfalter, deren Raupen sich zu dem auch für den Menschen gefährlichen Eichenprozessionsspinner entwickeln.

Neben aller Nützlichkeit und ihrem Beitrag zum Erhalt des ökologischen Gleichgewichts zählen die kleinen Flugkünstler zu den faszinierendsten Tieren der heimischen Fauna. Dennoch gibt es immer noch Menschen, die Fledermäusen gegenüber eine gewisse Abneigung hegen; möglich, dass da die Legen­den, die sich um die blutrünstigen Vampire ranken, eine nicht unerhebliche Rolle spielen. Blutsaugende Vampirfledermäuse, denen das Blut von großen Säugetieren, Echsen oder auch Vögeln als Nahrungsquelle dient, gibt es zwar in Südamerika. Der Mensch hat jedoch Fledermäuse nicht zu fürchten.
Die Anatomie der fliegenden Säugetiere unterscheidet sich von denen der Vögel, denn sie ver­fügen weder über einen Körperbau, der das aufrechte Sitzen ermöglicht, noch über Flügel im eigentliche Sinne. Vielmehr sind es verlängerte Fingerknochen, die durch eine Flughaut miteinander verbunden sind. Rasten können die Tiere, indem sie sich kopfüber an rauen Flächen oder Ästen festkrallen. Der Sehsinn der Fledermäuse ist nicht sehr ausgeprägt, sie können lediglich schwarz/weiß sehen. Dafür verfügen sie über einen Magnetsinn und orten ihre Beute sowie Hindernisse durch Ultraschalllaute.
Ihre Wohnstatt sind in der Regel Höhlen und alte Bäume. Auch kommt es vor, dass die nachtaktiven Jäger Unterschlupf in Dachstühlen von Häusern, Spalten oder Nischen finden. Noch vor der Winterpause beginnt die Paarungszeit, doch erst im Frühjahr reifen die Eizellen der Weibchen heran und werden von Spermien, die den Winter in ihrem Körper überdauert haben, befruchtet. Nach durchschnittlich zwei Monaten kommt in der Regel nur ein Junges zur Welt. Die trächtigen Weibchen und jungen Mütter bilden im Frühjahr Kolonien, in denen auch die Jungen aufgezogen werden.
Bemerkenswert ist das Sozialverhalten der Fledermäuse. Sie leben meist in Gruppen, wobei es durchaus vorkommt, dass sich unterschiedliche Arten zusammentun. In den Ruhephasen wird ein enger Körperkontakt gepflegt, um einem Verlust der Wärmeenergie entgegenzuwirken. Wer in seinem Dachstuhl eine Fledermaus entdeckt, die dort ihr Winterquartier aufgeschlagen hat, sollte sie nicht stören, denn schon das einmalige Aufwachen kann sie stark schwächen.
Zu einer Expertin für das Verhalten der Fledermäuse hat sich auch Katharina Hottenbach aus Wendisch Evern entwickelt. Sie päppelt mit viel Einsatz und Geduld schwache und verletzte Tiere auf, um sie anschließend wieder auswildern zu können.
Sie teilt die Befürchtung gemeinsam mit Hinrich Jacobi um die weitere Existenz „ihrer“ Fleder­mäuse. Große Probleme für die Zukunft der Populationen sei das Fehlen der Nahrung, sprich Insekten. Deren Population könnte nämlich durch den Menschen mit chemischen Mitteln bald weitgehend vernichtet sein und damit nicht nur Fledermäuse, sondern auch Vögel ihrer Nahrung berauben, bemerkt Hinrich Jacobi. Auch die NABU warne vor einem dramatischen Insektensterben in Deutschland. Das falle wohl inzwischen jedem Autofahrer auf, der nach einer längeren Fahrt in früheren Zeiten eine Unmenge toter Insekten von der Windschutzscheibe entfernen musste. „Wenn wir in der Lage sind, all diese Tiere zu verdrängen, dann haben wir nichts mehr auf dieser Erde zu suchen“, drückt Jacobi seine Besorgnis aus.
Dennoch könne jeder helfen, die vom Aussterben bedrohten Fledermäuse zu schützen, sei es, durch eine natürliche und vielfältige Flora und Fauna im hauseigenen Garten für den Erhalt einer gesunden Insektenwelt zu sorgen oder den Tieren passende Quartiermöglichkeiten zu bieten.
Für Fragen rund um die Fledermaus und ihre Unterbringung steht Hinrich Jacobi vom Landkreis Lüneburg telefonisch unter (04131) 261259 oder mobil unter (0171) 3293368 zur Verfügung.(ilg)

Foto: Enno Friedrich

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