Ewig jung – die Vespa rollt noch immer!
geschrieben von Irene Lange im Juli 2015Anlass für die Gründung des Vespa-Clubs Lüneburg war 1959 der Wunsch, am Bundestreffen des Kult-Rollers in Bremen teilzunehmen. Der Club existiert bis heute
Im heutigen Straßenverkehr fallen die flotten „Vespa“-Flitzer immer noch auf, zur Zeit erleben sie geradezu eine Renaissance. In vielen Städten Deutschlands haben sich die stolzen Besitzer der Roller in Clubs zusammengeschlossen. Auch in Lüneburg existiert seit 1959 der Vespa-Club Lüneburg e.V.; derzeit zählt er 42 Mitglieder, von denen die meisten bereits seit vielen Jahren dabei sind.
Zum Beginn der 50er Jahre erwuchs aus der Trümmerwüste des Zweiten Weltkriegs das Wirtschaftswunder; man konnte sich wieder etwas leisten und sogar vom Urlaub im sonnigen Süden träumen. Das bevorzugte Sehnsuchtsziel war das Land, wo die Zitronen blüh’n — also Italien, und wer sich keinen Urlaub leisten konnte aber dennoch „en vogue“ sein wollte fuhr eben einen Motorroller der Marke „Vespa“ (ital. für Wespe). Das Konzept für den Motorroller war schon 1946 mit dem ersten Modell Spitzname „Paperino“ (Entchen) aus dem Hause Piaggio mit 98 ccm auf den Markt gekommen. Ab 1950 baute dann Jakob Oswald Hoffmann nach Abschluss eines Lizenzvertrages mit Piaggio im rheinischen Lintorf Vespas für den deutschen Markt, bis man sich 1954 nach Meinungsverschiedenheiten wieder entzweite. In den nachfolgenden Jahren entstanden über 140 Modelle und Weiterentwicklungen, die bis in die heutige Zeit reichen, darunter auch die motorisierte Verwandte der „Wespe“ mit Namen „Ape“ (Biene), ein Dreiradtransporter, der besonders beliebt in Regionen rund ums Mittelmeer ist. Dieser, wie auch der Prototyp, die Vespa, erfreuen sich nach wie vor an ihrem Kultstatus.
Weder in den 50ern noch in den 60ern gab es eine Helmpflicht für Zweiradfahrer. Das Motorradfahren in entsprechender Kluft galt in Vespa-Kreisen als grobschlächtig; stattdessen saß man beim Fahren in kerzengerader Haltung so weit wie möglich auf dem Sattel nach vorn gerückt, möglichst „schnieke“ gekleidet, mit Anzug und Krawatte. Auf dem Soziussitz dahinter — ähnlich dem Damensitz beim Reiten — hatte die Freundin oder Ehefrau ihren Platz; Hosen waren damals noch Männersache, als Dame favorisierte man weite, schwingende Röcke, darunter Petticoats, die beim Fahren hervorblitzten und anmutig im Winde wehten.
Auch für die junge Generation Lüneburgs gehörte in den 50ern die Vespa bald zum begehrten Lieblingsfahrzeug, das einige stolze Besitzer bereits ihr Eigen nannten, während viele nur davon träumen konnten. Zu ihnen zählte auch Volker Tretschk. Für den jungen Braunschweiger und damaligen Lehrling war der Roller auch zu der Zeit noch nahezu unerschwinglich teuer. Das Modell GS 4 kostete 1.600 Mark. Hinzu kamen das Zubehör wie Gepäckträger, vorn und hinten Sturzbügel usw. mit knapp 800 Mark. „Für mich blieb es ein Traum“, erzählt der mittlerweile 70-Jährige. Damals reichte es dann für ein Moped, eine „NSU-Quickly“. Mittlerweile stehen drei Vespas und auch ein Oldtimer-Motorrad in seiner Garage, darunter ein wahres Schätzchen: eine Vespa aus dem Jahre 1965. Sie nimmt sich allerdings neben den heutigen Modellen relativ klein und bescheiden aus — so ganz ohne Blinker, weit ausladenden „Pobacken“ und mit kleinen Reifen. Seine motorisierten „Lieblinge“ hat Tretschk liebevoll mit Namen bedacht: Gina heißt seine „Erste“, es folgen Giulia und Lucy.
In späteren Jahren und auch während seiner Dienstzeit als technischer Stabsoffizier bei der Bundeswehr hatte er seinen Jugendtraum zwar nicht aus dem Gedächtnis verbannt, aber die Lebensumstände verhinderten es, eine Vespa zu fahren. „Am 4. März 2010 schenkte ich mir selbst zu meinem 65. Geburtstag eine Vespa, und zwar mit allem, was es an Zubehör gibt!“, erzählt er mit immer noch glänzenden Augen. Morgens um 10 Uhr hatte mir der Händler den Roller vor die Tür gestellt. Dies war der Moment, als er in den hiesigen Vespa-Club Lüneburg e.V. eintrat.
Anlass für die Gründung des Clubs war im Jahre 1959 der Wunsch der Lüneburger Vespa-Fahrer, am Bundestreffen des Kult-Rollers in Bremen teilzunehmen, was wiederum nur den Mitgliedern der schon bestehenden Vespa-Clubs in Deutschland gestattet war. So schloss man sich hier flugs zu einem Club zusammen und fuhr dann mit 13 Mitgliedern auf sieben motorisierten „Wespen“ zum Bundestreffen. Auch dabei: der heute 78-Jährige Gerhard Lüllau. Als Mitbegründer des heutigen Vereins war er von 1965 bis 2015 Vorsitzender, also 50 Jahre lang. Unlängst wurde der nach wie vor begeisterte Vespa-Fahrer zum Ehrenvorsitzenden ernannt. Bis auf weiteres hat Volker Tretschk nun seine Aufgaben übernommen, so lange, bis sich ein neuer Kandidat für den Vorsitz gefunden hat. „Leider fehlt es bei uns an jüngerem Nachwuchs“, bedauert er.
Über all die Jahre treffen sich die Clubmitglieder einmal wöchentlich zum Clubabend in der Arenskule 9. Bei diesen Zusammenkünften wird „Benzin“ gesprochen, was bedeutet, dass ordentlich über alle erdenklichen Themen rund um die Vespa gefachsimpelt wird. Geplant werden dabei auch gemeinsame Touren. „Früher ging es noch häufiger auf weite Fahrten bis nach Norwegen oder Italien“, berichtet Volker Tretschk. Da aber inzwischen die meisten Mitglieder heute schon zu den Senioren zählen, beschränkt man sich doch vorwiegend auf die nähere Umgebung und knattert gemeinsam an die Elbe oder zum Jazz-Frühschoppen in die Horster Mühle. Einige wenige Mitglieder treibt dennoch das Fernweh. So sind in diesem Jahr noch einige interessante Ausflüge und Fahrten geplant. Auch an den Bundes-, Europa- oder gar Welttreffen, das in diesem Jahr in Kroatien stattfindet, nehmen einige Mitglieder teil. Viel Anklang fand der im Mai zum zweiten Mal stattfindende Vespa-Basar, auf dem Vespa-Begeisterte Roller, Ersatzteile und Zubehör finden. Das sogenannte „Anrollern“ findet jedes Jahr im Frühjahr statt, wenn es nach den langen Wintermonaten endlich wieder heißt: „Vespa roll!“(ilg)
Fotos: Enno Friedrich
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