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Fränkisch trocken

geschrieben von Rüdiger Albert im November 2014

Die Franken gelten als bedächtig und gemütlich. Bei genauerer Hinsicht kann davon freilich keine Rede sein, denn hier war und ist reichlich was los..Eine kurze Bestandsaufnahme

In Franken stellt sich die Flaschenfrage. Objekt der Begierde: eine Feldflasche. Lange bevor Deutschlands Winzer begannen, bei der Gestaltung ihrer Flaschenformen kreativ zu werden, zogen die Winzer Frankens schon vor den Kadi, des Bocksbeutels wegen. Irgendwann in den 80ern des letzten Jahrhunderts wollten sie Markenschutz – für eine Feldflasche. Das Problem: ein Portugiese namens Matheus Rosé und ein Chilene namens Undurraga. Don Francisco Undurraga reiste Ende des vorletzten Jahrhunderts durch Europa. Ihm gefielen französische Weine und fränkische Flaschenformen. So nahm er fränzösische Architekten (wegen der Weingüter), französische Önologen (wegen der Weinqualität) und die besondere Idee einer Flaschenform mit nach Santiago de Chile, ließ ein prächiges Weingut, einen noch prächtigeren Park und eine schicke Eingangspforte errichten. Auf dieser thronte eine gigantische Feldflasche. Flasche und Pforte existieren immer noch – und die Vina Undurraga bewirtschaftet inzwischen 1.800 Hektar bestes chilenisches Weinland. Das Resultat: Matheus Rosé — weltweit einer der am meisten konsumierten Weine überhaupt — gluckert immer noch aus der Feldflasche. Undurragaweine nicht mehr, aber nicht wegen irgendwelcher Gerichtsurteile, sondern weil das kluge Management von Undurraga festgestellt hat, dass diese spezifische Flaschenform in gehobenen Restaurants — um es zurückhaltend auszudrücken — nicht gemocht wird: Sie ist doppelt so breit wie herkömmliche Flaschen und läßt sich nicht stapeln, kurzum: sie ist unpraktisch.
Tja, seinerzeit hätten sie sich mal in fränkischen Weinstuben mehr um die Inhalt ihrer Flaschen kümmern sollen! Taten sie aber nicht. Stattdessen ließen sich die Winzer vom Main die Wertschätzung ihrer Weinflaschen etwas kosten. Bald konnten sie sich rühmen, die höchsten Weinpreise in Deutschland zu erzielen. Doch Erfolg macht auch übermütig: Mehrere Ernten mit viel zu hohen Erträgen (1989: 150 Hektoliter pro Hektar, 1992: 145 Hektoliter pro Hektar usw.) führten zu riesigen Überschüssen. Die Qualitäten sanken, die Preise auch. Als sich bei vielen Weinen aus dem Jahrgang 1999 viel zu früh deutliche Altersnoten im Wein entwickelten, sank die Nachfrage nach Bocksbeuteln auf ein his­torisches Tief. Das war 2002.
Im Mittelalter wurden hier fast 40.000 Hektar Weinland beackert. Franken war damals das größte Anbaugebiet des Heiligen Römischen Reiches nördlich der Alpen. Die Weinanbaufläche übertraf die der Mosel und der links- oder rechtsrheinischen Gebiete bei Weitem. Sie schrumpfte im 20. Jahrhundert vorübergehend auf etwas über 2.000 ha. Heute werden wieder etwa 6.000 Hektar Weinland gepflegt.

Ursprünglich war der Silvaner die wichtigste Rebsorte Frankens, die erste Pflanzung kann urkundlich für das Jahr 1659 belegt werden.

Ursprünglich war der Silvaner die wichtigste Reb­sorte Frankens und galt als typischer Frankenwein, die erste Pflanzung in Franken kann urkundlich für das Jahr 1659 belegt werden. Um angesichts der klimatischen Schwierigkeiten bessere Erträge zu erzielen, wurden im 20. Jahrhundert große Flächen mit Müller-Thurgau bestockt – die Rebsorte feierte 2013 100-jähriges Bestehen in Franken. Obwohl immer noch die häufigste Sorte, ist der Anteil insgesamt seit einigen Jahren wieder rückläufig. Etwa 19 Prozent der Fläche ist mit Rotwein bepflanzt. Die wichtigsten Rebsorten des Anbaugebiets nach Flächenanteilen: Müller-Thurgau 28,1 %, Silvaner 22,8 %, Bacchus 11,9 %, Riesling 5,3 %, Kerner 3,3 %, Scheurebe 2,2 %, Weißer Burgunder 2,5 %, Domina 5,5 %, Spätburgunder 4,3 %, Schwarzriesling 1,3 %, Portugieser 1,0 %, Regent 2,3 % und schließlichDornfelder 2,4 %.
Eine weitere Besonderheit der Mainwinzer: Weine aus Franken werden häufig recht trocken ausgebaut. Das nennt sich dann: „Fränkisch trocken“. Solche Weine (der Begriff ist bezeichnungsrechtlich nicht zulässig) enthalten maximal vier Gramm pro Liter Restzucker. Zum Vergleich: „Deutsch trockene“ enthalten bis zu neun Gramm pro Liter. Jährlich werden 12.000 bis 14.000 Frankenweine amtlich geprüft, der Anteil der „fränkisch trockenen“ Weine liegt bei 25 %. In Franken gibt es viele Kleinst­winzer, daher auch die hohe Anzahl von Winzergenossenschaften. Notwendige Investitionen lassen sich so in Kellertechnik und Vermarktung deutlich einfacher bewältigen.
Grundsätzlich unterscheidet man drei Bereiche mit unterschiedlichen Bodenformationen (von Ost nach West): Mainviereck, Maindreieck und Steigerwald.
An den Hängen des Steigerwaldes dominieren Gips­keuperböden. Entsprechend stoffig und mineralisch fallen Silvaner und Riesling hier aus, nachzuschmecken zum Beispiel bei Weinen von Michael Dorsch und von Wilhelm Lutz in Iphofen, und auch beim Fürstlich Castell’en Domainenamt. Hier wird seit dem 13. Jahrhundert Weinkultur gepflegt, und hier wurde wahrscheinlich auch der erste Silvaner Frankens angepflanzt. In einer Urkunde ist der Verkauf von 25 „Österreicher Fechser“, einem Synonym für Silvaner, an einen Bauern in Obereisenheim, damals gehörig zur Grafschaft Castell, dokumentiert.
An den teilweise steilen Weinbergen am Maindreieck werden Silvaner angebaut, die zu den besten der Welt zählen. Weinkritiker behaupten, dass diese Gegend das einzige Gebiet Deutschlands sei, in dem der Silvaner bessere Ergebnisse hervorbringe als der Riesling. Auch Rotweine werden inzwischen angebaut. Bekannt ist vor allem die Lage Würzburger Stein; deren Wein ist als „Steinwein“ schon seit Jahrhunderten bekannt.
Aber kommen wir zum Muschelkalk, das heißt zu extraktreichen Weinen mit minerlischen Geschmacks­noten und feinem Säurespiel; zu Weinen vom Weingut Then und Weingut Zehnthof Famile Weickert in Sommerach, zu Kreszensen aus dem Hause Georg Apfelbach und zum Juliusspital in Würzburg, denn hier läßt sich Geschichte schnuppern. Nach mauen vinologischen Jahren wirkten sich Investitionen insbesondere in die Keller­technik qualitätsfördernd aus. Das Juliusspital spielt wieder mit im Konzert der großen Weingüter. Gleiches gelang Divino Nordheim Thüngersheim e.G., ansässig in Nordheim mit ihrem beispielhaften Qualitätsmanagement und der Verpflichtung von Sieghard Vaja, einem Südtiroler (vergl. Quadrat, Oktober 2014).

Rainer Zwang hat nachgewiesen, dass ökologisch ausgebaute Weine auf höchstem Niveau erzeugt werden können.

In Nordheim ist richtig was los. Mit rund sechs Hektar Ertragsfläche in den Lagen Nordheimer Vögelein, Nordheimer Kreuzberg und Sommeracher Rosenberg gehört das Ökoweingut Rainer Zang zu den besonderen Betrieben in Mainfranken. Rainer Zang ist ein Weinpionier: „Wir sind ein ökologisch arbeitendes Weingut und verwenden bei der Herstellung unserer Weine keinerlei chemische Mittel oder andere Zusatzstoffe.“ Bedeutet: keine Mineraldünger, keine Herbizide, keine Insektizide, keine weiteren chemischen Pflanzenschutzmittel, und das bereits seit über 20 Jahren! Zur Erinnerung: Der Ökoboom begann vor 20 Jahren, zu einer Zeit als solche Weine überwiegend fehlerhaft ausgebaut waren oder so schlecht, dass sie nicht mal zur Herstellung einer Sauce taugten. Ökowein aus deutschen Landen – gesund zwar, aber zum Wegschütten? Fischtrankapseln, ge­schrotetes Weizenmehl, ungeschälter Reis und Tofu durften auf keinem Speisezettel der Gesundheitsapostel fehlen. Und so sahen deutsche Winzer prächtige Marktchancen mit Ökoweinen. Oft war der Zusatz „ökologisch“ denn auch eher ökonomischer Natur. Alles, was als „Öko“ firmierte, versprach ungleich höheren Profit. Auf beeindruckende Art und Weise hat Rainer Zwang nachgewiesen, dass ökologisch ausgebaute Weine auf höchstem Niveau erzeugt werden können. Und der Mann scheint noch nicht am Ende seines Weges. Wer wissen möchte, was man mit „Piwis“ (pilzwiderstandsfähigen Rebsorten) anstellen kann, der probiere „2008 Regent, Spätlese, trocken“. Ein Festtagswein!(ra)

Foto: Weingut Hans Wirsching


„Piwis“ = Pilzwiderstandsfähige Rebsorten

Einen eingängigen Kosenamen haben sie schon, aber was versteht man eigentlich unter „Piwis“? Unter „Piwis“ versteht die Fachwelt Rebsorten, die nicht oder nur in geringem Umfang mit Pflanzenschutzmitteln behandelt werden müssen. Das hehre Ziel konnte bislang nicht ganz erreicht werden. Meist sind diese Weine zwar nicht resistent, der Pflanzenschutz kann jedoch auf ein Minimum begrenzt werden. Daher bezeichnet die Fachwelt diese Reben oft auch lediglich als „pilzfest“ beziehungsweise „pilzwiderstandsfähig“. Gerade diese Eigenschaften prädestinieren solche Reben für den ökologischen Weinbau.
Regent oder auch Johanniter fehlt es nicht an Qualität, sondern an Bekanntheit und damit an Reputation und Legendenbildung. Freilich lässt sich eine interessante Entwicklungsgeschichte nachweisen. Früher nannte man solche Sorten Hybridreben.
Einer der ersten, der sich mit der Züchtung solcher Hybriden beschäftigte, war Albert Seidel. Der französische Arzt züchtete pilzwiderstandsfähige Reben schon Ende des 19. Jahrhunderts. Die Reblaus war gerade erst so richtig in Frankreich heimisch geworden und hatte innerhalb weniger Jahre einen erheblichen Anteil der französischen Rebfläche verzehrt. Seibel hoffte mit dem Einkreuzen von reblausresistenten Arten aus Nordamerika reblausresistente Sorten in Europa zu erhalten — was ihm auch gelang. Allein die Qualität der Weine im Glas ließ doch viele Wünsche offen. Um 1960 verbot das französische Landwirtschaftsministerium kurzerhand den An- und Ausbau solcher Weine. Von da an waren interspezifische Weinreben verpönt. Einige, vor allem deutsche, Rebenforscher in Freiburg und Geisenheim haben jedoch, unter anderem auch mit einigen Kreuzungen von Seibel, weiter gegründelt. Es gelang ihnen, die Weinqualität der Hybriden deutlich zu steigern. Resultat: Die neuen Sorten hielten Einzug in die Sortenliste der Vitis vinifera beim Bundessortenamt.

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