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Wo man Handel trieb

geschrieben von Christiane Bleumer im November 2016

Unter prächtigem Renaissance-Giebel: Das alte Kramerhaus Auf der Altstadt 44 vereint heute Wohnen und Gewerbe

Es ist eines der markantesten Häuser in der westlichen Altstadt. Mit seinem prachtvollen Giebel prägt der große Gebäudekomplex seit seiner behutsamen Restaurierung heute wieder die Kreuzung Auf der Altstadt und Obere Ohlingerstraße.
„Das Einzeldenkmal Auf der Altstadt 44 ist innen und außen geschützt, so dass die Arbeiten mit viel Fingerspitzengefühl vonstatten gehen mussten“, sagt Hana Weissmann, die das Haus im Jahr 2012 von einer Erbengemeinschaft kaufte. Sie selbst wohnt in der westlichen Altstadt und weiß den besonderen Charme dieser Wohnlage zu schätzen. „Wir waren uns der besonderen Herausforderungen durchaus bewusst, die der Umbau eines solchen Hauses mit sich bringt“, so die Eigentümerin. Für Investoren sei ein solches Objekt nicht interessant, „so etwas kann man nur angehen, wenn man Altstadthäuser liebt“.
Das alte Kramerhaus beherbergte bereits vor etwa 200 Jahren Händler, belegt ist dies seit dem 17. Jahrhundert. Der Komplex setzt sich aus einem giebelständigen zweigeschossigen Haupthaus und einem Seitenflügel zusammen, der in mehreren Schritten entstanden ist. „Als wir das Haus kauften, war es völlig verbaut“, erinnert sich Hana Weissmann an die ersten Besichtigungen. Ein neuzeitliches Badezimmer, nachträglich angebrachte Bretter, Verschalungen oder Verputz hatten im Laufe zahlreicher Umbauten den wahren Kern des Hauses unsichtbar gemacht. „Rund 30 Container wertloses Baumaterial haben die Handwerker nach gründlicher Sicherung der historischen Bausubstanz aus dem Haus getragen.“ Die minuziösen Untersuchungen ergaben, dass das im Dachgeschoss des Haupthauses verwendete Eichenholz im Frühjahr 1492 gefällt wurde. „Man kann davon ausgehen, dass zumindest der erste frühe Bauabschnitt aus eben diesem Jahr stammt“, erläutert Diplom Restaurator Markus Tillwick. Das mittelalterliche Gebäude sei als massives Dielenhaus mit einer sehr hohen Decke im Erdgeschoss konzipiert. Das Dachgeschoss habe von Anfang an als Lagerraum gedient.

Heute schmückt wieder ein prächtiger Backsteingiebel aus der Renaissancezeit das Haus, der einen im 16. Jahrhundert abgetragenen mittelalterlichen Giebel ersetzt. Wahrscheinlich wurden diese Umbauarbeiten im Zuge größerer Baumaßnahmen durchgeführt, bei denen dann auch eine auf die Mitte des 16. Jahrhunderts datierte Holzbalkendecke über dem Keller eingebaut wurde. Auch im Inneren des Hauses führte man zu diesem Zeitpunkt vermutlich einige Umbauten durch. Erweitert und maßgeblich verändert wurde das Ursprungsgebäude abermals Ende des 17. Jahrhunderts, als man einen zweigeschossigen Fachwerkeinbau im nordöstlichen Gebäudeteil errichtete und zugleich einen ersten Teil des Seitenflügels an der Oberen Ohlingerstraße anbaute. Diese Veränderungen des Baukörpers wurden im 18. Jahrhundert fortgeführt, indem man ein Zwischengeschoss in das Haupthaus einzog. Etwa im gleichen Jahrhundert wurde der hintere Gebäudeteil des Haupthauses großzügig ausgebaut und die Flügelbauten auf ihre heutige Größe erweitert.
Ein Haus mit viel Historie also, die sich auch in seinem Inneren widerspiegelt. So etwa entdeckten die Restauratoren nach Entfernung der Deckenverkleidung in einem ehemaligen Badezimmer des früheren Zwischengeschosses eine reich be­malte Renaissancedecke, die vermutlich um das Jahr 1550 entstanden ist. Nach erfolgreicher Wiederherstellung der für die damalige Zeit typischen „Grau-in-Grau-Malerei“ ist dieses Element nun prägend für den heutigen, großzügigen Flurbereich.

Sieben Wohneinheiten sind nach Abschluss der Restaurierungsarbeiten im Haupt- und Nebengebäude entstanden, Räume, in denen die Vergangenheit heute wieder sichtbar wird. „Sämtliche Wohnungen sind sehr individuell gestaltet“, erläutert Hana Weissmann. So etwa gibt es ein ehemaliges Waschhaus im Hinterhof, das nun 28 Quadratmeter Wohnraum auf zwei Etagen beherbergt. Herzstück ist allerdings das Schmuckatelier von Goldschmiedin Ulrike Klerner im Haupthaus. „Wir wollten unbedingt den Geschäftscharakter des Gebäudes erhalten“, betont die Eigentümerin, die glücklich ist, damit auch wieder neues Leben in die westliche Altstadt gebracht zu haben. Die beiden historischen Werbeschriftfelder, die am Giebel erst seit kurzem restauriert und nun wieder deutlich zu erkennen sind, stammen etwa aus der Zeit um 1900. Links ist der Namen des Händlers „Friedrich Küster“ zu lesen, dessen Sortiment schließlich an der Wand zur Oberen Ohlingerstraße näher erläutert wird. „Colonial & Fett­waren, Emaille & Hausstandsartikel, Steingut & Porzellan“ standen hier unter anderem zum Verkauf. Das mittlere Schriftfeld direkt über der Eingangstür schmückt die Aufschrift „Kaffee-Rösterei“, was durchaus auch schon einmal für Verwirrung bei Gästen und Einheimischen sorgt, denn statt des erwarteten Kaffees kann man hier heute außergewöhnliche Schmuckkreationen erwerben.
Das Alte Kramerhaus mag heute Zeitzeuge der langen und wechselhaften Geschichte Lüneburgs sein, doch es beweist auch, dass behutsame und kenntnisreiche Restaurierungsarbeiten wahre Schmuckstücke zu Tage fördern können.(cb)

Fotos: Enno Friedrich

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