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Die Opfer der Pelz-Industrie

geschrieben von Irene Lange im Juli 2019

Schon von jeher ist die Verbreitung von Tier- und Pflanzenarten als ein Teil des natürlichen Evolutionsprozesses zu betrachten. Jedoch wird dieser zunehmend vom Menschen beeinflusst und beschleunigt, beispielsweise durch Handel, Verkehr oder Landwirtschaft. Finden die tierischen „Neubürger“ (Neozoen) hier geeignete Lebensumstände vor, so können sie sich ausbreiten und neue Gebiete besiedeln. Willkommen sind sie nicht überall – weiß Irene Lange zu berichten

o ergeht es auch insbesondere den Waschbären, Marderhunden und Minken, die sich in unserer Landschaft angesiedelt haben. Wegen der ähnlichen Gesichtszeichnung werden Waschbären und Marderhunde häufig verwechselt. Mit einer Kopf-Rumpf-Länge von 40 bis 70 cm erreicht der Waschbär ungefähr die Größe eines Rotfuchses. Sein dichtes, langhaariges Fell ist hauptsächlich grau. Auffällig sind die schwarze Gesichtsmaske, die dunklen Knopfaugen und der schwarz-weiß geringelte Schwanz.
Ursprünglich ist er im südlichen Kanada und den Vereinigten Staaten bis hin nach Mittelamerika beheimatet. Inzwischen hat er sich über Mitteleuropa und Teile der ehemaligen Sowjetunion verbreitet. Erste Ansiedlungen in Deutschland erfolgten schon in den 1930er-Jahren in der Nähe des Edersees, bevor immer wieder weitere Tiere aus Pelztierzucht­farmen entwichen und sich erste Freilandpopula­tio­nen bildeten. Wegen seines schönen Fells wird er heute noch in manchen Ländern, hauptsächlich ­China, gezüchtet – oft unter schlimmsten Bedingungen –, denn Echtpelz scheint wieder gefragt zu sein. In Deutschland hingegen gilt seit einigen Jahren das sogenannte Tiererzeugnisse-Handels-Verbotsgesetz.
Der Kleinbär gilt als Räuber, der gern die Nester von boden- und baumbrütenden Vogelarten ausraubt. Dabei macht er auch nicht Halt vor Spechten, die in Baumhöhlen brüten. Zudem verschmäht er kleine Säugetiere und Amphibien nicht. Die Befürchtung, er könne den Bestand des in Europa selten ge­wordenen Auer-, Birk- und Haselhuhns dezimieren, hat sich jedoch nicht bestätigt, wohl aber ist sein

negativer Einfluss auf die Sumpfschildkröte in verschiedenen Studien nachgewiesen.
Wie der Marderhund steht der Waschbär auf der EU-Unionsliste der invasiven Arten. Dies bedeutet, dass negative Auswirkungen auf die heimische ­Flora und Fauna durch diese Tiere bestehen. So sind die Mitgliedsstaaten aufgefordert, sie intensiv zu be­jagen und ihre Ausbreitung zurückzudrängen. Aufgrund der Klassifizierung als invasive Art fordern das ebenso die Behörden in Deutschland. Das ist seither geschehen, denn die Jagdstreckenzahlen sind von Jahr zu Jahr kontinuierlich gestiegen. Waren es beispielsweise 2001 in Niedersachsen noch knapp 900, sind inzwischen pro Jahr weit über 10.000 ­Tiere erlegt worden.
Obwohl der Waschbär sich in der Nähe menschlicher Ansiedlungen wohlfühlt und er seine Lebensräume gern in Vorstädten, Gärten und Parks sucht, ist es dennoch nicht so leicht, ihn zu Gesicht zu bekommen, denn seine Aktivitäten entwickelt er mit Vorliebe nachts, manchmal auch in menschlichen Behausungen.

Nicht verwechseln!
Zudem wird er häufig mit dem Marderhund – Enok – verwechselt, der zur Familie der hundeartigen Raubtiere zählt (Canidae). Dessen Gesichtszeichnung ist dem Waschbären ähnlich, jedoch ist die Kopfmitte zwischen den Augen bis zur Nase hell und nicht schwarz gefärbt. Sein Pelz mit langen zottigen Haaren ist bräunlich-grau gefärbt, während Hals, Rücken und Schwanz schwarz sind. Er bevorzugt im Gegensatz zum Waschbären allerdings feuchte Wälder mit viel Unterholz oder sumpfige Wiesen mit Gebüsch, aber auch bewachsene Fluss- und Seeufer. Auch er ist nachtaktiv. Daher zieht er sich tagsüber und zur Winterruhe in selbst gegrabene Erdbauten zurück. Verlassene Fuchs- und Dachsbaue besiedelt er ebenfalls.
Er ist ein Allesfresser: Würmer, Schnecken, Insekten, Fische, Frösche. Zur tierischen Kost gehören ebenso Jungtiere von bodenbrütenden Vögeln sowie kleine Säugetiere. Aas wird auch nicht verschmäht. Dass er durch seine Lebensweise bestimmte Tierarten bedroht, ist bisher wissenschaftlich noch nicht erwiesen. In den Herbstmonaten steigt er ohnehin meist auf Pflanzenkost um. Da gibt es Steinobst, Rüben, Wurzeln, Gräser, Maiskolben usw. In seinen Ansprüchen an das Nahrungsangebot ist er somit sehr flexibel.
Wie beim Waschbären wird auch der Marderhund wegen seines schönen dichten Pelzes immer noch als Felllieferant angesehen, allerdings nicht unter der Bezeichnung „Marderhundfell“. Vielmehr bezeichnet es der Pelzhandel als „Seefuchs“ oder „Tanuki“. Besonders in China blüht der Handel. Die Tiere werden zumeist unter schlimmsten Bedingungen gehalten und oft bei lebendigem Leibe gehäutet.
Zur Gewinnung von Pelzen wurde ein weiterer kleiner Räuber in Europa eingeführt: der Mink oder Amerikanischer Nerz, eine Marderart. Immer wieder entwischten diese Tiere aus Pelzfarmen und verbreiteten sich in vielen Ländern. In seiner ursprünglichen Heimat Nordamerika ist er fast ausgestorben. Nun kommt er auch in unserer Region vor und besetzt zunehmend die Position des vorher sehr seltenen oder auch lokal ausgestorbenen Europäischen Nerzes. Schon seit 2001 kann der Mink bejagt werden.
Er ist ein Einzelgänger, der an Seen, Flüssen und Sümpfen lebt, wobei er Gewässer mit dichtem Uferbewuchs bevorzugt. Durch angedeutete Schwimmhäute zwischen den Zehen ist er ein geschickter Schwimmer. Als reiner Fleischfresser ernährt er sich vorwiegend von Wirbellosen, aber auch Vögeln und kleinen Säugetieren. Dazu können auch Bisamratten, Mäuse, Wiesel, Iltisse und sogar Feldhasen gehören, ebenso Frösche, Krebse, Fische und Wasservögel. Er gräbt sich seine Baue selbst oder nistet sich in anderen wie z. B. der Bisamratte ein. Wo diese vorkommt, ist der Mink oft nicht weit – und seine Anwesenheit am Geruch zu erkennen, denn er stinkt aus seiner Analdrüse bestialisch, schlimmer als jedes Stinktier. Er wird als absoluter Fressfeind betrachtet und soll angeblich in einigen Ländern Europas die Bestände der See- und Wasservögel drastisch reduziert haben.
Der Einfluss auf Mensch und Natur durch das Vorkommen invasiver Arten wird kontrovers unter Wissenschaftlern, Naturschützern, Jägern, Fischern und Landwirten diskutiert. Da reichen die Meinungen von völliger Akzeptanz bis hin zu totaler Ablehnung. Auf alle Fälle waren die zuvor aufgeführten Neozoen befähigt, sich dem neuen Lebensraum anzupassen. Das bedeutet aber nicht, dass deren Eindringen nicht auch kritisch und wachsam betrachtet werden sollte, wenn sie einheimische Arten zu verdrängen drohen.

Foto: 123rf.com © anolis01

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