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Das Fuhrhop-Haus in Rettmer

geschrieben von Irene Lange im Februar 2016

Eine wahre Blütezeit erlebte das sogenannte „Fuhrhop-Haus“ an der Lüneburger Straße in Rettmer Anfang des vorigen Jahrhunderts, als sich Genussfreudige und Feierlaunige im damaligen Gasthaus „Otto Fuhrhop“ trafen. Wirtin Mag­dalene Fuhrhop war weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt, sie sorgte für das leibliche und als interessierte Gesprächspartnerin nicht selten auch für das seelische Wohl ihrer Gäste. Von nah und fern kamen die Ausflügler und genossen den Aufenthalt bei „Mutter Fuhrhop“ im romantischen Garten bei selbstgebackenem Kuchen und Kaffee. Mit dem Beginn des Krieges 1939 schloss das Gasthaus, wurde erst nach Kriegsende wieder eröffnet. „Mutter Fuhrhop“ erlebte die Wiedergeburt nicht mehr, sie starb bereits ein Jahr nach Kriegsbeginn.das Haus heute zurückblicken, das eng mit der über 700-jährigen Historie des Stadtteils Rettmer verbunden ist. Ihren Anfang nahm sie, als Familie Stegen aus Oedeme im Jahre 1555 auf jenem Fleckchen Erde ein so genanntes Zweiständer-Bauernhaus errichten ließ. Aufschluss darüber gab ein gut erhaltener Holzbalken im Innengerüst des Ursprungsbaus, zu dem der heutige Inhaber, Peter Ohlms, eigens dendrochronologische Untersuchungen durchführen ließ. Das Ergebnis: Das Holz war im Jahre 1552 geschlagen worden.
Im Jahre 1628 war es Peter zum Fuhrhop, der sich in Heiligenthal nieder­ließ. Seine Familie lebte bereits seit dem 14. Jahrhundert auf zwei Bauernhöfen nahe Walsrode und war dem Bischof von Minden gegenüber steuer­pflichtig. Umgeben von Kieferwäldern (damals „Fuhren“) lagen die Höfe auf einem Hügel („Hop“). Auf Dauer war es dem Bischof vermutlich zu umständlich, die Namen der jeweiligen Hofbesitzer auseinanderzuhalten, denn am 31. Dezember 1337 ließ er mitteilen, dass der Ort fortan „Fuhrhop“ heißen und die Bewohner den gleichen Namen tragen sollten. Noch heute ist der Familienname im Umkreis von Walsrode recht verbreitet.

Am 2. März 1763 wurde zwischen Margarete Stegen und Jürgen Peter Fuhrhop, vermutlich ein Enkel des ersten Fuhrhop, Vermählung gefeiert. Der frisch gebackene Ehemann ließ sich im Bauernhaus der Familie Stegen in Rettmer nieder. Von diesem Zeitpunkt an wurde es das „Fuhrhop-Haus“ genannt und damit zum Hof Nr. 1, indem das Ehepaar ihr Zweiständehaus auf Vierstände erweitern ließ.
Seit 1634 war der Hof dem Rittergut vom Möller aus Heiligenthal gegenüber lehenspflichtig. Das sollte sich erst 1856 ändern, in dem sich Johann Christoph Fuhrhop für „1.957 Thaler“ freikaufte, wie das noch existente Original eines schriftlichen „Ablösungs-Receß“ vom 30. Januar 1856 belegt. Anschließend hatte der Vollhof gegenüber dem Gutsherrn in Heiligenthal neben Hofzins und sons­tigen Abgaben auch 20 „Hunten Rocken“ und ein Huhn jährlich zu liefern. Darüber hinaus waren Dienste zu erbringen, darunter wöchentlich zwei Tage Arbeit mit zwei Pferden oder das Füttern der Hunde. Dass der damalige Hofbesitzer diese Ablösung bewältigen konnte, war, so liest man, seinem Fleiß und wirtschaftlichen Geschick zu verdanken.
Auch Erweiterungsbauten am Haus fielen in die Lebzeiten des Johann Christoph Fuhrhop. Von seinen beiden Söhnen verunglückte der ältere Hof­erbe tödlich, als er im Haus durch eine Luke stürzte. 1887 gründete dann sein Bruder Otto Heinrich Fuhrhop die Ziegelei in Rettmer.
Nach wie vor lebten die Familienmitglieder in dem geräumigen Fachwerkhaus in Rettmer unter einem Dach. Der Großvater des heutigen Seniors, dem 82-jährigen Otto Fuhrhop, war wohl ein wasch­echter Lebemann, der Wein, Weib und Gesang liebte. Zu seiner Zeit war er in Lüneburg bekannt, weil er häufig mit einem Vierspänner in die Innenstadt fuhr. „Nach dem Heger kommt ein Feger“, so lautet ein altes Sprichwort. Und so musste Land verkauft werden, um schließlich nicht nur den extravaganten Lebenswandel, sondern auch den Bau der Ziegelei zu finanzieren.
Die vier Kinder, die aus der Ehe hervorgingen, waren Elfriede, Helmut, Otto und Ernst. Helmut ging zur Wehrmacht und war als Flieger im Spanischen Bürgerkrieg eingesetzt. Im Zweiten Weltkrieg wurde er als Staffelkapitän an der Westfront abgeschossen. Seine Schwester Elfriede war während des dritten Reiches im „Rassenamt“ in Lüneburg tätig. Sie starb Anfang der 70er-Jahre.

Noch vor dem Zweiten Weltkrieg übernahm Ernst Fuhrhop die Verwaltung der Landwirtschaft mit Gemüseanbau und auch die Gastwirtschaft. Eine Heirat mit einer jungen Frau aus dem Soltauer Raum kam 1936 deswegen nicht zustande, weil ein nicht gerade wohlmeinender Nachbar den Brautwerber als „einen Taugenichts“ bezeichnete. Daraufhin wurde die Hochzeit abgesagt. Später fand sich dann doch noch eine Frau – per Anzeige — Emma aus Castrop-Rauxel. Aus der Ehe ging Sohn Ernst, genannt Bubi, hervor. An der Weiterführung der Gastwirtschaft hatte dieser leider kein Interesse mehr. Er verpachtete das Gebäude, blieb aber wohl selbst der beste Gast. Später erkrankte er schwer, plante, die gesamte Hofstelle per Testament der Kirche zu überschreiben. Wie Otto Fuhrhop heute berichtet, entschied er sich jedoch auf Anraten seines Anwalts, statt dessen die Psychiatrischen Klinik Wienebüttel zu bedenken und ihr das Gebäude auf Leibrente zu überlassen. Wie sich herausstellte, war dies eine Fehlentscheidung mit Folgen. Das gesamte Anwesen ist Jahre später in die Insolvenzmasse der Klinik gefallen und wurde versteigert. So kam es 2006 in den Besitz von Peter Ohlms. Heute steht das Gebäude zwar unter Denkmalschutz, doch ist es seit Jahren unbewohnt und scheint dem Verfall preisgegeben zu sein. Bemühungen seitens Otto Fuhrhop, es wieder zu erwerben, seien schlicht an der Finanzierung gescheitert. „Mir tut es immer noch weh, wenn ich sehe, wie das Haus, in dem so viele Familienmitglieder lebten, verfällt“, klagt der alte Herr und hofft, dass es noch zu seinen Lebzeiten aus seinem Dornröschenschlaf erweckt werden möge.(ilg)

Fotos: Sammlung Hajo Boldt, Enno Friedrich

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