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Der Gipsbrennofen am Kalkberg

geschrieben von Irene Lange im April 2016

Unter den historischen Bauten Lüneburgs nimmt sich ein kleines Gebäude mit einer ausgefallenen Dachform an der Seite des Kalkberges recht bescheiden aus. Bei näherem Hinsehen jedoch entpuppt es sich als ein in seiner Bauweise einmaliger historischer Gipsbrennofen. Schon im Mittelalter war sein Standort, der Kalkberg, ein ständiger Zank­apfel zwischen den seit 1106 regierenden Welfen und der Stadt. Zwar hatte man den Abbau weitestgehend der Stadt zur Befestigung überlassen; diese hatte den Hügel jedoch an einen Bürger verpfändet. Später gab es einen anderen Pächter, der wiederum nach Belieben dort Kalk brechen konnte, allerdings mit der Auflage, dass dieser „zum Behuf der Stadt, des Michaelis­klosters oder des Landes“ verwendet wurde. So ging es mit der Pfandschaft hin und her, bis im Jahre 1391 der Rat die Verwaltung des Berges ihrem Diener Curt Wittenmeyer übertrug — und wieder gab es Auseinandersetzungen. Die Welfen residierten bis 1371 in ihrer Burg auf dem Kalkberg, der damals noch rund 80 Meter in die Höhe ragte, bis sie im Erbfolgekrieg im Februar des gleichen Jahres vollkommen zerstört wurde. Der Kalkberg jedoch wurde in den kommenden Jahrhunderten ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für die Stadt. Weshalb aber wird das alte Gemäuer mit der haubenförmigen Dachkonstruktion, einem so genanntes Bohlenbinderdach, als Gipsbrennofen bezeichnet? Der Grund ist, dass der Kalkberg nicht aus Kalk besteht, sondern aus Anhydrit, dass sich durch Wassereinlagerung in Gips verwandelt, der wiederum als Mörtel verwendet wurde; ein Grund, weswegen man

Häuser in Lüneburg bereits seit dem 14. Jahrhundert mit Hilfe von Kalkbergmörtel bzw. -gips errichtete. Dieser wurde bis ins Jahr 1922 am Kalkberg abgebaut. Heute erinnert nur noch der alte Gipsbrennofen aus dem Jahre 1819 an diesen neben dem Salz wichtigen Wirtschaftszweig Lüneburgs. Der Ofen funktionierte wie ein offener Meiler, in dem das geschichtete Material, bestehend aus Gipsgestein, Eichen-, Buchen- und Birkenholz, durchgeglüht wurde. Zugröhren sorgten für die nötige Sauerstoff­zufuhr. So ein Brand dauerte vier Tage, während der Ofen dann etwa zehn Tage benötigte, um abzukühlen. Der eigentliche Ofen wurde 1877 entfernt und der Boden des Gebäudes etwa zwei Meter aufgeschüttet. Anschließend stand es lange leer, bis es vom Arbeitskreis Lüneburger Altstadt (ALA) 1990 restauriert wurde. Seither stellt es ein einzigartiges Industriedenkmal dieser Bauweise in Deutschland dar. Im Rahmen kleiner Ausstellungen und Projekte wird es heute vom BUND genutzt. Der Kalkberg jedoch ist eines der ältesten, wertvollsten botanischen Schutzgebiete im norddeutschen Flachland geworden, Lebensraum für seltene Tiere aller Art — und für Spaziergänger bietet er nach wie vor mit seiner heutigen Höhe von über 50 Meter einen herrlichen Blick über die Stadt.(ilg)

Fotos: Sammlung Hajo Boldt, Irene Lange

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