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Gemeinsam gegen die Sucht

geschrieben von Marietta Hülsmann im Oktober 2015

Die christliche Suchthilfe das „Blaue Kreuz“ feiert ihr 115-jähriges Bestehen in Lüneburg

Erika Scholz rührt keinen Tropfen Alkohol an. Nicht weil er ihr nicht schmecken würde oder sie ihn nicht vertrüge. Die 74-Jährige ist auch keine Alkoholikerin, aber sie weiß um die verheerenden Folgen des Trinkens. Seit über 30 Jahren engagiert sich die Lüneburgerin beim Blauen Kreuz. Die christliche Suchthilfe feiert nun ihr 115- ­jähriges Bestehen in der Heidestadt. Ein Grund zur Freude – auch wenn die Arbeit in der Suchthilfe von vielen Rückschlägen geprägt ist. Jeden Mittwochabend treffen sich Alkoholkranke im Hause der Landeskirchlichen Gemeinschaft, Kefer­steinstraße 2. Rund 15 Betroffene kommen regelmäßig, um zu reden, zu schweigen und zu beten. Die Bibel ist ein zentraler Teil der Arbeit von Erika Scholz. „Ich glaube daran, dass Gott Gebete erhört und in das Leben der Menschen eingreift“, sagt sie. Jedes Gruppentreffen schließt deshalb auch mit einem Vaterunser. Was sonst in den Sitzungen gesprochen wird, soll nicht nach außen dringen. „Was du hier siehst und was du hier hörst, lass es hier“, steht auf einer Tafel, die auf dem eckigen Couchtisch steht, inmitten des Souterrain-Raums mit dem großen Ecksofa. Aber man kann sich vorstellen, worüber manche Verzweifelte sprechen: Über das fast unbändige Verlangen, doch etwas zu trinken; über die Eheprobleme, wenn der Partner die Folgen der Sucht nicht mehr ertragen kann oder über die verlorenen Führerscheine, die nur eine Folge der vielen Verleugnungen beim Alko­holismus sind. „Lügen ist Teil des Krankheitsbildes“, erklärt Erika Scholz. Es geht aber nicht nur darum, sich einzugestehen, dass man betrunken ist und nicht mehr fahren kann. Manchmal sitzen Betroffene mit einer Fahne vor ihr und beteuern, keinen Tropfen angerührt zu haben. Sie ­ver­urteilt dafür niemanden, weiß aber um die Gefahr für andere Betroffene: „Allein der Geruch des ­Alkohols kann wieder in Versuchung führen“, erklärt Erika Scholz.

Doch es gibt auch Erfolgsgeschichten. Eine davon schrieb ihr Mann. Wolfgang Scholz ist seit 32 Jahren trocken. Bis dahin war es ein schwerer Weg. Auch die Ehe der beiden stand auf dem Spiel. „Ich saß schon beim Anwalt, allein der Kinder wegen“, ­erinnert sich die dreifache Mutter. Die Familie oder die Flasche – sie ließ ihrem Mann die Wahl. „Ich entschied mich für das Richtige“, sagt Wolfgang Scholz. Es folgten Entgiftung und Kur in Bremen. Dort stellten sich dann auch verschiedene Selbsthilfegruppen vor. Er ging zum Blauen Kreuz und bekam Hilfe. Deshalb engagiert sich Erika Scholz dort bis heute ehrenamtlich. Viel verändert hat sich im Laufe der Jahre nicht. Sucht kennt keine Moden und Trends. Auch Frauen und Männer seien gleichermaßen betroffen. Viel ist über die Anfänge des Blauen Kreuz nicht bekannt. 1900 wird der Verein erstmals in den Büchern der Stadt Lüneburg erwähnt. Bis zum ­Zweiten Weltkrieg ist der Verein aktiv, dann fehlen Aufzeichnungen. Viele Vorsitzende sind lange im Amt — wie auch Erika Scholz. Doch jetzt fehlt der Nachwuchs. Noch will die fünffache Oma nicht aufhören, obwohl das Amt emotional und körperlich anstrengend ist. „Fünf bis sechs Anrufe bekommt sie von Betroffenen am Tag“, erzählt ihr Mann, nachts steht das Telefon neben ihrem Bett. Erika Scholz will helfen, gerade weil sie überzeugte Christin ist. Das Wort „barmherzig“ fällt im Gespräch mit ihr immer wieder. Sie will es auch gegenüber denen sein, die den Kampf gegen den Alkohol nicht gewinnen. „Ich habe gelernt, dass ich keinen Menschen verändern kann. Ich kann ihm nur einen Weg zeigen“, sagt sie. Etwa ein Drittel schaffe es dauerhaft trocken zu bleiben. Andere werden immer wieder rückfällig; manche bringt der Suff ins Grab. Erika Scholz nimmt in den Arm, redet oder betet aber mit allen Hilfesuchenden. Sie hat beim Blauen Kreuz viele Schulungen besucht, die sie auf ihr schwieriges Ehrenamt vorbereiten. Die in der Schweiz gegründete Organisation hat ihren Hauptsitz in Wuppertal und ist dort ­Ansprechpartner für die vielen ehrenamtlichen Helfer in ganz Deutschland. Sie alle tun dies im Glauben an die Kraft von Chris­tus. „Alkoholabhängig – Jesus hilft“ steht auf einem Werbeaufkleber fürs Blaue Kreuz. Deshalb ist Erika Scholz auch überzeugt, dass nichts an ihrer Arbeit umsonst geschieht – selbst wenn es nicht alle schaffen: Die Betroffenen sind in ihrer Not nicht allein. Viele, die heute noch regelmäßig zu den Treffen kommen, sind schon etliche Jahre trocken. Das ist doch ein Grund auf die vergangenen 115 Jahre stolz zu sein. Die offene Selbsthilfegruppe des Blauen Kreuzes findet mittwochs um 18.30 Uhr in der Kefersteinstraße 2 statt.(mh)

Weitere Informationen: www.blaues-kreuz.de

Fotos: Enno Friedrich

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