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Ein Haus der verborgenen Schätze

geschrieben von Irene Lange im November 2013

Aus dem 19. Jahrhundert stammt eine Panoramatapete, die einst in aufwändigem Handdruckverfahren hergestellt wurde und noch ­immer in einem Patrizierhaus in der Neuen Sülze erhalten ist. Nach der Restaurierung präsentiert sie heute ihr ursprüngliches Gesicht.

Mit dem Kauf des Hauses in der Neuen Sülze haben Rotraut und Professor Dr. Egbert Kahle nicht nur eines der letzten barocken Patriziergebäude Lüneburgs erworben. Vielmehr ist es ihnen ein Anliegen, das Haus zu erhalten und zudem ein Glied in der langen Kette der Eigentümer zu sein. „Dies war bisher eine große Herausforderung“, bekräftigt Rotraut Kahle, die sich mit großer Begeisterung bereits vor zehn Jahren für die Sanierung des Hauses und der im Garten befindlichen Nebengebäude, bestehend aus einer Remise und einem ehemaligen Pferdestall, eingesetzt hatte.
Bereits 1426 ist das Haus in der „Nova Salina II“ (niederdeutsch „Nige Sulte“, hochdeutsch Neue Sülze) erwähnt. Hier wohnten einst viele Generationen von Sülfmeistern. Einer von ihnen ließ 1694 das ursprüngliche Gebäude abreißen und neu errichten. So übernahm es im Jahre 1837 Caroline von Wangenheim, die es wiederum von Grund auf im damals zeitgenössisch-klassizistischen Stil umbauen ließ.

Nachweislich aus dieser Zeit stammt auch die seltene Panoramatapete im großen Saal des Hauses. Hergestellt in aufwändigem Handdruckverfahren zeigt sie fünf Motive von Schweizer Bergkulissen und Vierwaldstätter See. Ein Idyll des Landlebens, das es in der Form zu jener Zeit sicher nicht gab. Mit Sicherheit aber genossen die Gäste der General­leutnantin von Wangenheim bei ihrem Besuch den Anblick der heiteren Szenerie, die auch sie bereits von den Spuren der einquartierten französischen Offiziere in den Jahren von 1803 bis 1813 befreite. Doch der Zahn der Zeit nagte an dem empfindlichen Material, der Verfall war nicht aufzuhalten, die Motive verblassten, einiges wurde notdürftig mit Farbe übermalt. Den einstmals blauen Himmel mit seinen zart-weißen Wolken hatten Vorbesitzer des Hauses übermalen lassen. Patina und Farbschichten ließen ihn in einem schmuddeligen Braun erscheinen. Rotraut und Professor Dr. Egbert Kahle beschlossen die „Rettung“ dieser außergewöhnlichen Wand­dekoration. Sechs Restauratoren befassten sich rund ein Jahr lang mit der Instandsetzung, in der alte Farbschichten Millimeter für Milli­meter mit dem Skalpell abgetragen werden mussten, um das ursprüngliche Motiv wieder frei zu legen. Und nicht nur die Restauratoren widmeten sich dem Kleinod der Wohnkultur aus dem 19. Jahrhundert mit großer Akribie; auch Rotraut Kahle war es ein besonderes Anliegen, sich in die Arbeiten einzubinden.
Mittlerweile können Besucher wieder im mit Biedermeiermöbeln geschmückten Saal, wie in Zeiten der Caroline von Wangenheim den Blick auf die Schweizer Bergwelt richten, die einst, so ließ sich recherchieren, der französische Künstler Pierre-­Antoine Mongin schuf. Abgesehen von einem Teilbereich, wo vormals ein Kachelofen stand. Dort wurde im Jahre 1946 eine Ergänzung notwendig, die der bekannte Lüneburger Kunstmaler Leonhard Aschenbrenner vornahm.

Mittlerweile können Besucher wieder ihren den Blick auf die Schweizer Bergwelt richten, die einst der französische Künstler Pierre-Antoine Mongin schuf.

Pierre-Antoine Mongin, so heißt es, hatte niemals die Schweiz besucht; ihm dienten Stiche von Landschafts- und Genrebildern als Vorlage. Auf einem der Motive hat er sich selbst in einer Dreiergruppe als Maler verewigt.
Den Wandschmuck bot die renommierte Manu­faktur Zuber aus dem Elsass im Jahre 1815 unter der Bezeichnung „La Grande Helvétie“ erstmals europaweit und auch in Amerika an. Soweit bekannt, sind außer in Lüneburg nur noch zwei Exemplare erhalten, eines in einem Schloss südlich von Dresden, das andere in einer Burg in Schaubach. Im Hause Kahle ist sie mit allen ihren 20 Bahnen, verteilt auf drei Wände, noch vollständig.
Zeitgleich zur Wiederherstellung der kostbaren Tapetenrarität begann auch die Sanierung der Türen und Türrahmen sowie der umlaufenden Holzpaneele (Lambris), um den ursprünglichen Gesamteindruck des Raumes zu erhalten. Heute verbreitet der Saal des stilvollen Patrizierhauses in der Neuen Sülze, wie schon zu Zeiten der Frau von Wangenheim, wieder seine einzigartige Salonatmosphäre.(ilg)

Fotos: Enno Friedrich

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