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Im Stil der niederländischen Renaissance

geschrieben von Irene Lange im Januar 2016

Vom Wohnhaus betuchter Bürger zum königlichen Hauptzollamt: das Bürgerhaus in der Lünertorstraße 21

Noch immer übt das Wasserviertel Lüneburgs mit dem Alten Kaufhaus, dem Kran, der Lüner Mühle und dem Abtwasserturm nicht nur auf Touristen eine große Anziehungskraft in der Stadt aus. Im Wesentlichen ist dieses Bauwerk in seiner Ursprungsform bis heute erhalten. Mit einiger Fantasie lässt sich das rege Treiben vorstellen, das im 15. und 16. Jahrhundert zu seinen Füßen zum Alltag gehörte: Menschen, die auf Karren oder ihren Schultern Waren aller Art beförderten; Schiffe und kleinere Boote, die mit Produkten für den täglichen Bedarf be- und entladen wurden. Allein für den Salz­handel stand eine große Anzahl Schiffe bereit. Und hier, an den Ufern der Ilmenau, befand sich schließlich auch der Fischmarkt der Hansestadt.
Es verwundert also nicht, dass dieser lebendige Handelsplatz schnell zu einem gefragten Wohnort für betuchte Bürger wurde. Das Gebäude in der Lüner­torstraße 21, Ecke Kaufhausstraße, zeugt vom Reichtum seiner einstigen Erbauer. Noch heute prä­sentiert es sich in seiner alten architektonischen Pracht. Es ist nicht die rotgeschlämmte Fassade allein, durch die es sich von der doch eher schlichten Farbgebung seiner Umgebung abhebt. In der Vorderansicht zur Lünertorstraße protzt es geradezu mit vier aufwändig dekorierten Halbsäulen im dorischen Stil aus Sandstein, die auf Postamenten mit Löwenköpfen ruhen. Auch zur Kaufhausstraße hin befinden sich vier Pilaster, die jedoch weitaus schlichter gestaltet sind.
Bauherr des Gebäudekomplexes war Peter Boye oder Boige, ein Mann, der es zu Wohlstand und Ansehen gebracht hatte; er soll der Schwiegersohn des Hamburger Bürgermeisters Vincentius Moller gewesen sein.

Bevor 1574 der Bau nach niederländischem Vorbild im Stil der Renaissance errichtet wurde, hatte es an diesem Standort bereits ein Gebäude aus dem 15. Jahrhundert gegeben, das Boige 1573 erworben hatte. Das Sandsteindekor für sein neues Bauprojekt ließ er eigens in Hamburg anfertigen. Sein Erscheinungsbild ist typisch für ein Renaissance-­Bürgerhauses aus dem 16. Jahrhundert nach niederländischem Vorbild, das heute nicht allein von städtebaulicher Bedeutung ist, sondern mit seinem besonderen Stil auch das Straßenbild maßgeblich prägt. Im Laufe der Jahrhunderte wurden die Innenräume des gesamten Komplexes umfassenden Sanierungs- und Modernisierungsmaßnahmen unterzogen. Im Zuge dessen fanden sich 1933 in einem der Keller zwei Backsteine mit der eingerissenen Jahreszahl 1440 sowie Formsteine und ein Fenster­pfostenstein mit dem Stempel 1440, die wohl noch aus dem Vorgängerhaus stammten.
Über einen langen Zeitraum wurde das Gebäude als Handelshaus genutzt. Ab 1836 zog das königliche Hauptzollamt ein. Bis etwa zur Mitte der 1950er Jahre ist hier dessen Sitz noch in den damaligen Adressbüchern Lüneburgs verzeichnet, die sich heute allesamt im Stadtarchiv befinden.
Ab 1956 wurde das Gebäude zum Sitz des Staatshochbauamtes, das 1969 umfangreiche Umbaumaßnahmen veranlasste und auch den Abriss eines an der Kaufhausstraße befindlichen Nebengebäudes vornehmen und durch einen Neubau ersetzen ließ. Die baulichen Veränderungen bewirkten, dass von der alten Bausubstanz im Inneren so gut wie nichts erhalten blieb. Bis 2002 wurden von hier aus noch die Amtsgeschäfte geführt.
Nach dem Auszug des Staatshochbauamtes ging das Gebäude in Privatbesitz über, die Räumlichkeiten wurden vermietet. Heute befinden sich in den oberen Stockwerken Wohnungen, während es im Erdgeschoss Anwaltskanzleien sind. Nutzungsart und auch Bewohner wechselten im Laufe der Zeit, doch das Gebäude Lünertorstraße 21 besticht nach wie vor mit seinen unverändert reichen Renaissancefassaden niederländischen Stils als städtebauliches Schmuckstück unter all den Sehenswürdigkeiten der Hansestadt.(ilg)

Fotos: Sammlung Hajo Boldt, Enno Friedrich

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