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„Dieser Klang verleiht Flügel“

geschrieben im Oktober 2014

Seit 20 Jahren ist Stefan Metzger-Frey Kantor von St. Nicolai. QUADRAT zeichnet ein kurzes Porträt des Musikers, der seinen Arbeitsplatz „als den schönsten Lüneburgs“ empfindet

Der Weg zu „Lüneburgs schönstem Arbeitsplatz“ führt über eine neugotische Wendeltreppe. Seit nunmehr 20 Jahren steigt ­Stefan Metzger-Frey die steinernen Stufen empor, hoch zu der Orgelbühne in St. Nicolai. Der Kantor liebt nicht nur seinen Beruf, sondern auch den Ort seines Schaffens. Nicht umsonst hält er ihn für „künstlerisch vollkommen“: Von der Orgelbank und seinem Dirigierpult blickt er in das ungewöhnlich hohe Mittelschiff mit dem Sternengewölbe, das dem Himmel entgegen zu streben scheint. „Ich wollte immer schon in einer mittelalterlichen Kirche arbeiten“, sagt der 52-Jährige. So ist er nach Lüneburg gekommen.
Eigentlich ist Metzger-Frey waschechter Westfale, geboren in Recklinghausen, aufgewachsen in Münster. Schon als Jugendlicher interessierte er sich für mittelalterliche Kirchen und wollte deshalb Kunstgeschichte studieren. Doch zeigte er noch für etwas anderes ein großes Talent: die Musik. Mit sechs Jahren saß er bereits am Klavier, lernte ­später Cello und spielte als Teenager in der Kirche die Orgel. Für ihn nichts Ungewöhnliches: Er wuchs in einem Pfarrhaus auf, der Vater war Geistlicher. Fürs Studium verließ Metzger-Frey Münster, ging nach Dortmund und Berlin. Die erste Kantorenstelle trat er dann in Bielefeld an. „Leider war die dortige Kirche ein Betonkasten ohne Charme“, erinnert er sich. Auch bei zeitgenössischen Orgeln fehlt ihm manchmal das gewisse Etwas: „Moderne Orgeln wollen oft bewusst nüchtern sein“, erklärt er; dies sei bei dem historischen Instrument in St. Nicolai ganz anders. „Dieser weiche Klang, diese enorme Tragfähigkeit! Man bekommt als Hörer Flügel“, schwärmt Metzger-Frey.

einige mehrstimmige Chorsätze aus den Evensongs der Britische Kirchenmusik übersetzte er für den deutschen Gottesdienst.

Dies ist auch sein Verdienst. Denn als Metzger-­Frey 1994 in St. Nicolai die Stelle als Kantor übernahm, war die Orgel „nur noch ein Schatten ihrer selbst“, wie er berichtet. Sie wurde über drei Jahre restauriert und der elektrifizierte Spieltisch abgebaut, der auf der Orgelbühne nur noch einen hellen Fleck hinterließ. Jetzt spielt Metzger-Frey wieder auf den originalen Tasten von 1899. „Dank der großen Unterstützung des Orgelbauvereins, inzwischen unter Vorsitz von Eberhard Grohmann, haben wir in St. Nicolai eine der bedeutendsten spätromantischen Orgeln Niedersachsens zurück gewonnen, erklärt Metzger-Frey. Dieses besondere Instrument lockt heute viele internationale Musiker nach Lüneburg und bereichert damit das ohnehin rege Konzertleben an St. Nicolai. Zu rund 40 Konzerten wird im Jahr eingeladen; wichtiger Pfeiler ist die Kantorei mit ihren fast 70 Sängerinnen und Sängern. In diesem Monat steht die Schubert-Messe in G-Dur auf dem Programm. Gleich im Anschluss geht es weiter mit den Proben für den „Evensong“ — am 23. November um 17 Uhr führt Metzger-Frey das gesungene Abendgebet nach englischer Tradition mit seinen Choristen auf. Britische Kirchenmusik ist eines seiner Steckenpferde, einige typische mehrstimmige Chorsätze aus den Evensongs übersetzte er für den deutschen Gottesdienst und veröffentlichte diese in einem Chorbuch. Passen­derweise führt die kommende Chorreise der Kantorei die Sängerinnen und Sänger auch nach Cambridge.

Die Kirche ist für ihn ein Dach unter dem Tradition und Moderne gleichermaßen Platz haben. Diese Offenheit lebt heute in St. Nicolai weiter.

Frankreichs Hauptstadt Paris wäre für Metzger-­Frey ein ebenso lohnendes musikalisches Ziel. Dort, an der St. Clotilde-Kirche, wirkte einer seiner Lieblingskomponisten, César Franck, im 19. Jahrhundert. Spontan nimmt sich der Kantor ein Orgelbuch mit Werken Francks vor, unzählige Zettel mit Registrieranweisungen zeugen von der kontinuierlichen Arbeit. Metzger-Frey wirkt konzentriert und beseelt, als er die Tasten auf der dreimanualigen Orgel anschlägt. Immer wieder betätigt er eines der 48 Register, während die Töne regelrecht zu schweben scheinen. „In jeder Note ist die Reli­giösität von Franck zu hören“, sagt Metzger-Frey, „er ist ein feinsinniger Enthusiast, einer, der mitreißt, weil er seine Überzeugungen und Leidenschaften lebt. Und dazu gehören sein Glaube, die Liebe zur Musik und seine Offenheit: Die Kirche ist für ihn ein Dach, unter dem Tradition und Moderne gleichermaßen Platz haben.“ Diese Offenheit lebt heute in St. Nicolai weiter. Neben Bach und Händel erklingen auch Jazz, Gospel und neue geistliche Lieder. Besonders gern musiziert Stefan Metzger-­Frey auch mit seiner Frau Christiane. Sie ist Flötistin – aber auch seine Laufpartnerin, wenn er sich auf seinen nunmehr fünften Marathon vorbereitet. Trainiert wird im Hasenburger Wald, den er fast so schön findet wie „seine“ St. Nicolai-Kirche.(mh)


Fotos: Enno Friedrich

Tipp: Chorkonzert der Kantorei St. Nicolai mit dem Lüneburger Kammerorchester

Sa. 11. Oktober, 18.00 Uhr; Franz Schubert: Messe G-Dur, Joseph Haydn: Klavierkonzert D-Dur

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