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Kommunalpolitik als Familientradition

geschrieben von Marietta Hülsmann im Januar 2017

Gemeindeoberhaupt in zweiter Generation: Wie schon sein Großvater ist Clemens Leder

Wendisch Evern 1928. Carl Basse wird zum Bürgermeister gewählt; er, dessen große Leidenschaft die Politik war, bleibt es 42 Jahre lang. 88 Jahre später, am 7. November 2016, wird ein neuer Bürgermeister in Wendisch Evern gewählt. Diesmal gewinnt Clemens Leder mit überzeugender Mehrheit – ein Moment, in dem der frischgebackene Dorfchef in ganz besonderer Weise an Carl Basse denkt, denn er war sein Großvater.
Wohl keiner in Deutschland regierte so lang wie der 1970 verstorbene Kommunalpolitiker. In der Weimarer Republik als Parteiloser gewählt, überstand er das Regime der Nationalsozialisten und half nach dem Krieg als konservativer Bürgermeis­ter Flüchtlingen aus den deutschen Ostgebieten in Wendisch Evern Fuß zu fassen. Carl Basse war einer, der das Dorf zusammenhielt. Er war Landwirt und Fleischbeschauer, Verwaltungschef und Standesbeamter. Trauungen wurden im bäuerlichen Bürgermeisterhaus an der Dorfstraße 18 vollzogen. Vor wenigen Wochen kam Clemens Leder mit einem älteren Herrn ins Gespräch: „Wenn Ihr Großvater nicht gewesen wäre, ich würde nicht in Wendisch Evern wohnen“, sagte dieser.
Für alle Menschen ein Ansprechpartner sein, das möchte auch der neue Bürgermeister Clemens Leder, alles, nur kein „hölzerner Parteisoldat“. Und so aktiv, wie er sich politisch engagiert, übernimmt Leder auch den Dienst bei der freiwilligen Feuerwehr oder gratuliert den betagten Jubilaren im Dorf zum runden Geburtstag. Allein 160 Besuche stehen 2017 auf seinem Terminkalender, eine stattliche Zahl, die Zeit fordert. „Wenn es geht, möchte ich allen persönlich gratulieren“, so Leder, der seit Jahren ehrenamtlich in verschiedenen Vereinen des Dorfs tätig ist. Doch auch zahlreiche politische Entscheidungen stehen an: Die Mehrzweckhalle in Wendisch Evern muss saniert werden. Eine besondere Aufgabe für den Bürger­meister, schließlich hatte sein Großvater die Halle in den 60er Jahren bauen lassen — wie auch die Friedhofskapelle und die Grundschule im Dorf. Clemens Leder, seine Schwester und auch sein jüngerer Bruder sind dort ABC-Schützen gewesen.

„Von heute an werden Sie persönlich haftbar gestellt für die Sicherheit und Überwachung der Gedenktafel“ — und Carl Basse nahm seine Aufgabe ernst.

Der Großvater hat Wendisch Evern stark geprägt und damit auch ein Stück deutsche Geschichte geschrieben: 1945 nahm der britische Feldmarshall Montgomery in seinem Zelt auf dem Timeloberg das Schriftstück zur bedingungslosen Kapitulation aller deutschen Luft-, See- und Luftstreitkräfte in Nordwestdeutschland, Dänemark und Holland entgegen. Zum Gedenken errichteten die Siegermächte dort ein Denkmal mit bronzener Tafel. Basse saß zu jener Zeit noch in einem britischen Kriegsgefangenenlager in der Heide. Lediglich in diesem kurzen Zeitraum bekleidete er nicht das Amt des Bürgermeisters der Gemeinde südöstlich von Lüne­burg, denn schon bald nahmen ihn die Briten wieder in die Pflicht als Gemeindedirektor. Major Harper, Kommandant der Lüneburger Militärregierung, ordnete im September 1945 an: „Von heute 16.00 Uhr an werden Sie persönlich haftbar gestellt für die Sicherheit und Überwachung der Gedenk­tafel“ – und Carl Basse, der neue und alte Bürger­meister von Wendisch Evern, nahm seine Aufgabe ernst. Bis 1955 wurde das Denkmal bewacht und gepflegt. „Keep off the grass“ warnte eine Tafel Besucher den gepflegten Rasen um das Denkmal nicht zu zertrampeln, mehrere Männer wurden für die Pflege und den Erhalt bezahlt. Die Aufgabe, ein Denkmal zu schützen, war etwas Besonderes in der Geschichte Deutschlands; der Bürgermeis­ter war der letzte Deutsche unter britischem Kriegsrecht. Erst 1958 wurde das sogenannte Montgomery-Denkmal von Wendisch Evern in eine Militärakademie in Großbritannien gebracht. Noch heute ist Clemens Leder im Besitz einer his­to­rischen Postkarte, die dieses Ehrenmal zeigt.
Seit November 2016 leitet er die Geschicke seiner Heimatgemeinde. Im kommenden Jahr sollen 10.000 Euro für Jugend-Projekte zur Verfügung gestellt werden, eine Skater- und BMX-Bahn ist im Gespräch. Entscheiden wird Leder nicht allein über die Umsetzung. „Es ist mir wichtig, dies in enger Abstimmung mit den Jugendlichen zu planen“, sagt der Beamte, der als Betriebsaufsicht im Sortierzentrum der Deutschen Post tätig ist. Gemeinsam mit den Bürgern will Leder Wendisch Evern auf „zukunftsfeste Beine“ stellen. Mit seinem Großvater möchte er sich aber nicht ver­gleichen. „Das sind Riesen-Fußstapfen, die kann ich nicht ausfüllen“, lächelt Clemens Leder. Stolz ist er auf seinen Großvater und das, was der be­wegen konnte, und er weiß — bei aller Bescheidenheit: Sein Großvater wäre heute auch auf seinen Enkel stolz.(mh)

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