Lüneburgs Lepra-Haus
geschrieben von André Pluskwa im Juni 2011Der St. Nikolai-Hof war Lüneburgs frühes Lepra-Krankenhaus und ist heute eine historische Sehenswürdigkeit von herausragendem Rang
DER AN DER ORTSGRENZE BARDOWICKS AN DER STRASSE NACH LÜNEBURG GELEGENE ST. NIKOLAIHOF WAR EINST EIN SOLCHES LEPRA-HAUS.
Neben dem „Schwarzen Tod“, der Pest, ist die Lepra wohl am meisten als diejenige Krankheit, die im Mittelalter weltweit unheilbar wütete, in unseren Köpfen verankert. Lepra, eine der ältesten Krankheiten der Menschheitsgeschichte, findet bereits im Alten Testament Erwähnung: Ihre Präsenz wurde jedoch bereits zu Lebzeiten Ciceros dokumentiert. Lepra, auch unter dem Namen Morbus Hansen, Miselsucht und Aussatz bekannt, gelangte wahrscheinlich über die Kreuzzüge aus dem ostafrikanischen oder indischen Raum nach Europa und hatte ihre Hochzeit im 13. Jahrhundert. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts verliert sie als Volkskrankheit an Bedeutung und verschwindet nahezu. Lepra, in vier Erscheinungsformen klassifiziert, ist eine chronische Infektionskrankheit, deren Erreger, das Bakterium Mycobacterium leprae, erst 1873 der norwegische Arzt und Zoologe Gerhard Armauer Hansen bakteriologisch nachzuweisen vermochte. Eine Ansteckung erfolgt über Tröpfchen- oder Schmutzinfektion, Hauptursachen für ihre damalige kaum zu bändigende Verbreitung lassen sich also in mangelnden hygienischen Zuständen in Verbindung mit Unterernährung und einem so bereits geschwächten Immunsystem vermuten. In diesem Zusammenhang lassen sich auch Beschreibungen ritueller Waschungen, die in einer Vielzahl erhaltener Dokumente jener Zeit zu finden sind, als Prophylaxemaßnahmen erklären.
Da der Erreger sich im gesamten Körper verbreitet, die Nervenzellen angreift und abtötet, werden Infizierte im Krankheitsverlauf unempfindlich für Wärme, Kälte und Schmerz; die ungehemmte Vermehrung der Bakterien führt, neben den knotigen Auftreibungen der Nervenstränge, zu einer Verdickung des Blutes, Verstopfungen der Blutbahnen, Verfärbungen der Haut und einer immensen Schwächung des Immunsystems. Meist stirbt der Betroffene an Folgeinfektionen durch andere Krankheiten. Eine Theorie besagt, dass das Aufkommen der Tuberkulose eine Ausbreitung der Lepra eingedämmt hat, da Leprakranke an Tuberkulose sehr schnell sterben. Erst im 20. Jahrhundert wurden die verschiedenen Erscheinungsformen dieser Epidemie durch den Einsatz von Antibiotika therapierbar. Ausgerottet ist diese Krankheit trotz aller Bemühungen der WHO dennoch nicht: Durch Medikamenten-Engpässe in Ländern und Regionen, die im Zuge der Globalisierung in der Versorgung benachteiligt sind, ist die Lepra dort auch heute noch aktiv.
Zu der Bezeichnung „Aussatz“ kam es, weil Infizierte, die Leprosen, als Aussätzige in eigens dafür eingerichteten Lepra-Heimen, den Leproserien, die am Rande besiedelter Gebiete stets außerhalb der Stadtmauern lagen, ihrem Ende entgegenzusehen hatten. Erst einmal aufgenommen, durften sie diese Häuser nicht ohne Erlaubnis verlassen. Durch diese Isolationsmaßnahmen versuchte man, der Verbreitung der Krankheit entgegenzuwirken. Außerhalb eines Krankenhauses hatte man sich anhand spezieller Kleidung oder lautstarker Lepraratschen als Erkrankter zu erkennen zu geben.
EINE ERSTE ERWÄHNUNG FINDET DIE EINRICHTUNG IN EINEM DOKUMENT VON 1251, IN WELCHEM VOM DAMALIGEN BISCHOF VON VERDEN EINE SCHENKUNG BESTÄTIGT WURDE.
Der an der Ortsgrenze Bardowicks an der Straße nach Lüneburg gelegene St. Nikolaihof war einst ein solches „Haus der armen Siechen“, die dort in streng reglementierter, klosterähnlicher Gemeinschaft lebten und nach meist langem Siechtum starben. Sie waren auf Almosen angewiesen und hatten das Recht, einen Bettelstock am Rande der alten Handelsstrasse, die Lübeck, Lüneburg, Braunschweig und Frankfurt verband, aufzustellen, weshalb der Standort an der Handelsstraße von hoher Bedeutung war.
Eine erste Erwähnung findet die Einrichtung in einem Dokument von 1251, in welchem vom damaligen Bischof von Verden eine Schenkung bestätigt wurde. Diesem unterstand das Lepraheim offiziell, doch wurde es – auch in späteren Zeiten, als es sich nach dem Ende der Lepra der Armen, Alten und von anderen Krankheiten Gezeichneten annahm – unter der Schirmherrschaft hoher Lüneburger Ratsherren, mitunter gar dem Bürgermeister selbst, geführt. Der eigentliche Zweck, zu dem die Anlage errichtet wurde, bleibt unbekannt. Man vermutet, dass es als nicht mehr gebrauchtes Bardowicker Armenhaus nach der Zerstörung der Stadt im Jahre 1189 von der Stadt Lüneburg übernommen wurde.
Eine vom Verdener Bischof verfasste Hausordnung aus dem Jahre 1344 ist bis heute erhalten, aus der die Alltagsabläufe der Leprastation hervorgehen: Wer Kraft genug hatte zu baden, musste an den Gottesdiensten teilnehmen, gegessen wurde nur schweigend, ein Keuschheitsgelübde wurde jedem Aufgenommenen abgenommen, die Unterbringung wurde strikt nach Geschlechtern getrennt. Alle Zuwiderhandlungen wurden schwer geahndet, es drohte schlimmstenfalls ein Ausschluss aus dem Hause, was einem Todesurteil gleich kam.
Mit dem Abklingen des Aussatzes wandelte sich der Hof in ein Alters- und Armenheim, das in den Jahren viele Male umgebaut und erweitert wurde. Im seinem Zentrum die Kapelle, die neben dem alten Männerhaus zu den beeindruckendsten Bauten der Anlage gehört. Es existiert ein umfangreiches Rechnungsbuch für die Jahre 1410 bis 1466, welches dokumentiert, dass der Hof einst von nicht unbeträchtlicher wirtschaftlicher Bedeutung war. Auch gesunde und vermögende Menschen konnten sich im Alter nach der Einführung eines Pfründesystems dort aufnehmen lassen. Noch heute ist der Hof Teil einer sozial engagierten Stiftung und stellt eine der herausragenden Sehenswürdigkeiten der Region dar; für Historiker und Geschichtsfreunde ist er darüber hinaus von besonderem Interesse, da er in seiner Ursprünglichkeit im Aufbau mit all seinen Häusern erhalten geblieben ist. Beim Besuch des Hofes wähnt man sich in einer anderen Zeit und man bekommt eine Ahnung, welche Bedeutung er über die Jahrhunderte für die vielen Not leidenden Seelen, die hier ihre letzte Zuflucht fanden, gehabt haben muss.(ap)
FOTOS: ARCHIV / DENKMALPFLEGE STADT LÜNEBURG; HAJO BOLDT
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