Magazin über das Leben in Lüneburg
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geschrieben von Natascha Mester im Dezember 2013

Sie leben in einem der schönsten und geschichtsträchtigsten Bauwerke Lüneburgs und sind dennoch dem regen Leben der Salzstadt mehr zugewandt als manch einer, der sich nicht für ein Leben im Kloster entschieden hat. Seit 2007 ist Reinhild Freifrau v. der Goltz als Äbtissin geistliche und wirtschaftliche Leiterin des ehemaligen Benediktinerinnenklosters in Lüne. Friederike von Meding widmet sich als eine der sieben Konventualinnen mit Hingabe Kindern, denen sie mit Begeisterung das Klosterleben und seine Geschichte nahe bringt

Frau v. der Goltz, Frau von Meding, gewähren Sie uns doch bitte einen Einblick in die wichtigsten Stationen Ihrer Vita.

Äbtissin Reinhild Freifrau v. der Goltz: Ich bin nach der Flucht meiner Eltern in dem schleswig-­holsteinischen Dorf Sarlhusen auf die Welt gekommen. Mein Vater hatte sich sehnlich einen Sohn gewünscht, denn eine Tochter hatte er bereits. Doch scheint jene Nacht im Zeichen der Weiblichkeit gestanden zu haben, denn es wurden ein Kuhkalb, ein Stutfohlen und ich geboren. In Kelling­husen, zwischen Itzehoe und Bad Bramstedt, wuchs ich auf, machte in Bad Bramstedt mein Abitur und begann ein Pharmazie-Studium, das ich jedoch nach dem Vorexamen beendete, da mein späterer Ehemann, der 14 Jahre älter war, mit der Familien­gründung nicht länger warten wollte. Also folgte ich ihm in die Landwirtschaft, lebte dort meine Liebe zur Natur aus, die wir gemeinsam an unsere vier Kinder weitergaben. Später kam ein landwirtschaftlicher Beratungsring hinzu, den wir zu einer erfolgreichen Unternehmensberatung für landwirtschaftliche Betriebe ausbauten.

Friederike von Meding: Ich wurde in Lüneburg auf dem Gut Schnellenberg geboren und wuchs in Häcklingen auf. Gelernt habe ich den Beruf der medizinisch-technischen Assistentin und war beruflich in der Pharmazie tätig. Als meine Eltern bei einem furchtbaren Verkehrsunfall ums Leben kamen, warf mich dies völlig aus der Bahn – für mich der Moment, 1991 Lüneburg den Rücken zu kehren und mir im Osten eine neue Existenz aufzubauen. Sechs Jahre später war es die Sehnsucht nach der Heimat, die mich wieder nach Lüneburg verschlug.

Was hat Sie dazu bewogen, das Leben im Kloster aufzunehmen?

F. v. Meding: Bei mir war es zu einem guten Teil die Familientradition. Die Schwester meines Vaters lebte im Kloster Lüne, und so ist dies sozu­sagen immer meine zweite Heimat gewesen; für meine Mutter ein Segen, dass ich in meiner Freizeit dort so häufig zu Besuch war, schließlich gab es dort weder Männer noch Autos! Heute bin ich glücklich, selbst dort leben zu dürfen. Es ist mir ein großes Bedürfnis, als Mittler zwischen den Generationen das Kloster weiter in die Zukunft zu tragen.

R. Frfr. v. d. Goltz: Einen intensiven Kontakt zum Klosterleben hatte ich zudem dadurch, dass die Schwester meines Mannes als Konventualin in das Kloster Wienhausen ging und ich dort 15 Jahre lang Führungen durch das Kloster übernahm. Als mein Mann 2004 starb, die Kinder aus dem Haus waren, war es genau der richtige Zeitpunkt, um einen neuen Weg einzuschlagen, der meinen Wünschen und Interessen entsprach. Die Bewerbung für das Amt der Äbtissin war eine wundervolle Gelegenheit, diesen Weg zu verfolgen. Nun leben seit 800 Jahren Frauen in diesem Kloster, eine wunderbare Tradition, wie ich finde. Ähnlich wie Frau von ­Meding fühle auch ich mich als Teil einer langen Kette, der dafür Sorge zu tragen hat, dass diese Tradition, aber auch das Wissen über das Haus, an die folgenden Generationen weitergegeben wird.

Spielte der Glaube bei einem solchen Schritt eine übergeordnete Rolle?

F. v. Meding: Eine übergeordnete Rolle würde ich nicht sagen, aber sicher eine entscheidende. Wir alle sind mit unserem Glauben aufgewachsen, er gehört zu unserem Leben, unserem Alltag dazu.

R. Frfr. v. d. Goltz: Um Niedersachsens neue Jus­tizministerin Antje Niewisch-Lennartz zu zitieren, die ihre Kindheit im Kloster Lüne verbrachte: „Glaube nimmt man dort osmotisch auf“. Das kann ich nur bestätigen.

Welche ist für Sie die größte Veränderung mit dem Eintritt in das Klosterleben gewesen?

F. v. Meding: Ich bin ein Freigeist und die Tatsache, sich in gewissen Bereichen unterordnen zu müssen, ist mir anfangs nicht leicht gefallen – fällt mir heute mitunter noch nicht leicht.

R. Frfr. v. d. Goltz: Der Moment, als ich meine Bewerbung für die vakante Stelle der Äbtissin in den Briefkasten am Kloster werfen wollte, war seltsam. Meine Tochter fuhr mich damals zwischen Weihnachten und Neujahr nach Lüne. Es war ein fürchterlich trister Wintertag, an dem Tor hing ein Schild, auf dem in großen Lettern „Bitte beachten Sie die Winterruhe“ stand. Selbst bei dem Holzbriefkasten war ich mir gar nicht sicher, ob dieser überhaupt geleert wurde. All dies und das furchtbare Wetter verliehen dem Kloster einen so abweisenden Gestus, dass mir doch Zweifel kamen. Heute kann ich sagen, dass die Veränderungen für mich vor allem positiver Natur sind. Ich komme durch meine Aufgaben mit so vielen interessanten Menschen in Berührung, darf mich so vieler Herausforderungen stellen. Unsere älteste Konventualin, Ingeborg Kubasta, hatte einmal in einem Interview gesagt: „Kloster ist eine Wundertüte mit vielen Überraschungen“. Damit beschreibt sie das Leben im Kloster überaus treffend. Die größte Veränderung bedeutete dieser Schritt wohl für meinen Freundeskreis, meine vier Kinder und neun Enkelkinder, denn der Konvent steht grundsätzlich an erster Stelle und oft bleibt nur wenig Zeit für Privates.

Frau v. der Goltz, es war bei Ihrer Wahl zur Äbtissin keine Voraussetzung, vorher Mitglied des Konvents gewesen zu sein. Wie geht eine solche Wahl vonstatten?

R. Frfr. v. d. Goltz: Ähnlich wie bei den Direktoren einer Schule kann man es auch begrüßen, wenn jemand von außen diese Stelle übernimmt. Der Blick für das Wesentliche ist oft unverstellt und man vermeidet den Eindruck einer Bevorzugung. Die Wahl selbst erinnert dann tatsächlich ein wenig an die Wahl des Papstes. Die Rechtsaufsicht ist während der geheimen Stimmabgabe anwesend; anschließend werden die Stimmzettel verbrannt. Wenn weißer Rauch aufsteigt, ist eine neue Äbtissin berufen worden.

Das Kloster Lüne ist ein ehemaliges Benediktinerinnenkloster, heute ein Kloster mit einem evangelischen Frauenkonvent. Entsprechen Aufnahmekriterien und Tagesablauf noch der ursprünglichen Tradition?

F. v. Meding: Neben einigen Traditionen, die man beibehalten hat, wird heute vieles sehr viel un­dogmatischer gehandhabt. Die modernen Kriterien zur Aufnahme als Konventualin in das Kloster Lüne lauten: Die alleinstehende Dame sollte das 65. Lebensjahr nicht überschritten haben und muss der evangelischen Kirche angehören. Früher hatte man ein Leben lang auf eine Ehe zu verzichten; heute werden auch Damen aufgenommen, die verwitwet oder geschieden sind.

R. Frfr. v. d. Goltz: Durch die Reformation, die im Kloster Lüne gegen den Willen der damaligen Nonnen stattfand, leben wir heute nicht mehr nach der ursprünglichen Ordensregel, sondern nach der Klosterordnung, die vom jeweiligen Landesherrn erlassen wird.

„Ich fühle mich als Teil einer Kette, der dafür sorgt, dass das Wissen über das Haus an die folgenden Generationen weitergegeben wird.“

Was hat sich verändert?

F. v. Meding: Wer glaubt, wir treffen uns permanent zum gemeinsamen Beten, liegt falsch. Dafür gibt es viel zu viele Dinge, die erledigt werden wollen. Dennoch ist das Gebet ein wesentlicher Bestandteil des Alltags, und man kann, ganz ohne Probleme, im Gehen und bei jeder Arbeit, die man verrichtet, beten.

R. Frfr. v. d. Goltz: Wir schlagen drei Mal am Tag die benediktinische Betglocke von Hand – eine Tätigkeit, die durchaus eine gewisse Übung voraussetzt, denn der Klöppel darf die Glockenwand nur an einer Seite anschlagen. 27 Schläge umfasst das so genannte Angelusläuten. Wir haben es beibehalten, verstehen es als drei Mal die neun Bitten des Vaterunsers; 27 Schläge, die dazu aufrufen, in sich zu gehen, den Geist zu sammeln.

Es heißt, jede Konventualin hat im Kloster Lüne die Möglichkeit, ihrer Berufung nachzugehen. Welche ist die Ihre?

R. Frfr. v. d. Goltz: Die Aufgaben einer Äbtissin sind unglaublich facettenreich – ob es um die Öffentlichkeitsarbeit geht, um die Abstimmung mit den Restauratoren, um Bauunterhaltung und Baumaßnahmen, wie jetzt den Einbau einer neuen Heizung oder um die Planung von Veranstaltungen und Tagungen. Ich bin einerseits Geschäftsführerin des Unternehmens Kloster Lüne, ich leite aber auch den Konvent und kümmere mich um den Erhalt des Kulturerbes. Da wir uns als Kloster sehr offen zeigen, gehört es zu meinen Aufgaben, die Gratwanderung zu bewerkstelligen, das Kloster wie auch seine historischen Schätze interessierten Besuchern zugänglich zu machen und gleichzeitig diesen Ort der Ruhe zu bewahren.

F. v. Meding: Meine Berufung sind die Kinder. Wir arbeiten seit Kurzem noch enger mit den Kirchengemeinden zusammen, weil wir einen ganz großen Sinn darin sehen, Kindern das Thema Glauben und Gott nicht nur zu erklären, sondern vielleicht sogar ein Stück weit erfahrbar machen zu können. Ich habe mich zudem dafür stark gemacht, dass wir einen Raum für das Standesamt im Kloster einrichten, denn wir haben die einmalige Situation, unsere Kirche für Trauungen und ein wunderschönes Café für Empfänge nutzen zu können. Es fehlte für die Eheschließung lediglich das Standesamt. Dieses hat nun im Krüger-Bau seinen Platz erhalten, am 20. Dezember findet dort die erste Eheschließung statt.

„Das Standesamt hat nun im Krüger-Bau seinen Platz erhalten, am 20. Dezember ­findet bei uns die erste Eheschließung statt.“


Was gibt es Neues aus dem Kloster Lüne?

R. Frfr. v. d. Goltz: Dank der finanziellen und fachlichen Unterstützung durch die Klosterkammer Hannover konnten wir den so genannten Krüger-­Bau in seine ursprüngliche Form von 1900 zurückbauen lassen. Damit haben wir Platz geschaffen für vier Konventswohnungen und eben auch einen Konferenz- und Tagungsraum, der als Trauzimmer für die neue Außenstelle des Standesamtes Lüneburg zur Verfügung steht. Von archäologischem Interesse sind die neuen Funde, die freigelegt wurden, als die Bodenplatten des Kapitelsaals entfernt wurden, um eine Fußbodenheizung zu legen. Zutage trat erst ein Keller, den wir nicht kannten und der die Archäologen auf den Plan rief. Fazit ist, dass die Geschichte des Klos­ters neu geschrieben werden muss, denn man war bisher davon ausgegangen, dass das heutige Klos­ter nach dem großen Brand 1372 mehrere Kilometer entfernt vom Ursprungskloster wieder aufgebaut worden war. Offensichtlich ist dies falsch, denn man fand verkohlte Reste des Vorgängerbaus direkt unter dem heutigen Klosterbau.

F. v. Meding: Auch zwei literarische Neuerscheinungen über das Kloster gibt es. Dr. Jens-Uwe Brinkmann brachte im September ein Buch mit dem Titel „Kloster Lüne, Geschichte und Architektur“ heraus, das die Historie sehr ausführlich beschreibt und auch so manche neue Erkenntnis aufgreift; und nicht zu vergessen unser Klostermagazin „Das Feuer hüten“, mit seinen zahlreichen Klosterrezepten, wundervollen Fotos und Berichten auch aus weiteren niedersächsischen Klöstern, das in einer Neuauflage erschienen ist und sich der winterlichen Jahreszeit widmet.

Werden bei Ihnen Weihnachten und der Jahreswechsel mit bestimmten Ritualen begangen?

F. v. Meding: Am Abend vor dem 24. Dezember wird gemeinschaftlich ein großer Tannenbaum geschmückt. Der Heilige Abend selbst beginnt damit, dass vier Personen aus dem Kloster gleich­zeitig unsere Glocken per Hand läuten und dies zu jedem der vier Gottesdienste. Am Nachmittag begrüßen wir Familienangehörige, Freunde und Bekannte zum Tee, wohnen später gemeinsam der Christvesper bei. Natürlich gibt es auch eine Bescherung, zu der die Äbtissin mit einer kleinen Glocke ruft. Wie die Kinder sitzen wir voller Vorfreude vor der verschlossenen Tür und müssen uns den Zugang ersingen. Wenn dann die Flügeltür aufschwingt und die Kerzen am Baum strahlen, ist dies in jedem Jahr wieder ein ganz besonderer Moment.

R. Frfr. v. d. Goltz: Den Jahreswechsel gestalten wir offen, wir feiern nicht zwangsläufig gemeinsam. „Dinner for One“ gehört natürlich meist dazu und um null Uhr wird, wie überall, mit einem Sekt angestoßen und das Feuerwerk über Lüneburg ge­nossen. Doch das Schönste ist für mich, um 24 Uhr die Glocken übers Land zu schicken.

Ihr persönlicher Wunsch für das neue Jahr?

F. v. Meding: Dass wir die Kraft und das Durchhalte­vermögen haben, alle unsere Vorhaben umzusetzen.

R. Frfr. v. d. Goltz: Das Gedicht „Etwas dagegen setzen“ von Dr. Michael Gmelch beinhaltet alle meine Wünsche:

Etwas Helles gegen die Nacht,
etwas Festes gegen den Schwindel,
etwas Klingendes gegen die Leere,
einen Traum gegen den Tag,
eine Insel gegen den Lärm,
eine Rose gegen den Winter,
ein Tun gegen das Chaos,
ein Gedicht gegen die Sprachlosigkeit,
ein Gebet gegen den Stumpfsinn,
eine Träne gegen das Aufgeben,
ein Lied gegen die Bitterkeit in dir,
ein Schritt gegen das Erstarren,
ein Lächeln gegen den Frust,
ein mutiges Wort gegen das Mitläufertum,
ein Band der Hoffnung gegen das Schwere(nm)

Fotos: Enno Friedrich, FOTOGRAFIERT IN ANNA’S CAFÉ

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