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Gradierendes

geschrieben von Rüdiger Schulz im Januar 2015

Plaudereien rund um das Salz (1)

Durch das Salz ist Lüneburg berühmt und mächtig geworden. Die prächtigen Häuser unserer Altstadt, die jährlich Tausende
Besucher anziehen, wären ohne das ­„Weiße Gold“ undenkbar.
Für den 1. Vorsitzender des Bürgervereins Lüneburg e.V. Anlass genug, sich in den zehn folgenden Quadrat-Ausgaben mit der einst so kostbaren Substanz zu beschäftigen

Ein Gradierwerk ist eine Anlage zur Salzgewinnung. Sie besteht aus einem Holzgerüst, das mit Reisigbündeln (vorwiegend Schwarzdorn) verfüllt ist. Das Verb „gradieren“ bedeutet „einen Stoff in einem Medium konzentrieren“. Durch ein Gradierwerk wird der Salzgehalt im Wasser erhöht, indem Sole durch das Reisig hindurch geleitet wird; dabei verdunstet auf natürliche Weise Wasser.
Viele Gradierwerke sind Teil eines Salzwerks, das häufig aus einem Gradierwerk und einer Saline besteht. Gelegentlich werden auch Reisiginstallationen in Schwimmbädern Gradierwerk genannt, die wie Gradierwerke funktionieren, aber deutlich kleiner sind als jene Anlagen, wie sie sich beispielsweise im Lüneburger Kurpark befindet.
Vom 16. bis zum 17. Jahrhundert hatte sich als technische Innovation die sogenannte Dorngradierung durchgesetzt, die es Salinen, deren Solequellen einen geringen Salzgehalt aufwiesen, ermöglichte, eine konzentrierte Sole zu versieden. Die Sole rieselte durch meterhohe Wände von Dorngestrüpp aus den Zweigen des Schwarzdorns (Prunus spinosa) und wurde durch Wind und Sonne konzentriert. Gleichzeitig setzen sich Verunreinigungen der Sole (wie z.B. Kalk oder Gips) im Reisig ab und bilden den grau-braunen so genannten Dornstein. Dieses technische Verfahren verdrängte die einstige Stroh­gradierung aus den Gradierhäusern, da sie das schnell faulende und die Sole verunreinigende Stroh überflüssig machte und zudem spürbar zur Reinigung der Sole beitrug.

Der Nachteil: Die hohen Holzgerüste der Dorngradierungen, die Pumpen und die größer werdenden Siedeeinrichtungen erforderten allerdings einen hohen Kapitalaufwand. Bei den ers­ten Dampfkraftwerken dienten Gradierwerke der Abfuhr der überschüssigen Prozesswärme aus dem Kondensator; später übernahmen effizientere Kühl­türme diese Aufgabe.
Heute werden Gradierwerke in Deutschland meist zur Heilbehandlung betrieben und sind deshalb häufig in Kurorten zu finden. Durch die herab rieselnde Sole wird die Luft in der Nähe des Gradierwerks mit Salz angereichert, die Wassertröpfchen binden Partikel in der Luft. Dies hat, ähnlich wie die Seeluft, sehr positive und heilende Auswirkungen auf verschiedene Krankheitsbilder wie Pollenallergien und Asthma. Durch das Einatmen dieser salzhaltigen Luft werden die Atemwege befeuchtet, zudem besitzen die feinen Salzkristalle eine sekret­lösende Wirkung, die die Atemwege intensiv von Bakterien reinigen und die Schleimhäute abschwellen lassen. Viele Ärzte und Heilpraktiker empfehlen aus diesen Gründen einen längeren Aufenthalt an der See oder in Kurorten, welche sich den Effekt der Gradierwerke zu Nutzen gemacht haben.
Miniatur-Gradierwerke können übrigens auch in geschlossenen Räumen aufgestellt werden, wo sie auf genannte Art und Weise die Raumluft positiv beeinflussen. Derartige Gradierwerke soll es beispiels­weise im Kurort Damp an der Ostsee sowie im Schweizerischen Rheinfelden geben.
Das Lüneburger Gradierwerk, das 1907 erbaut wurde und von Beginn an als Kureinrichtung genutzt wurde, hat bereits eine Runderneuerung hinter sich. Dem damaligen Stadtbaurat Stiens hat man nachgesagt, er hätte dieses prächtige Bauwerk am liebsten abgerissen, was ihm zum Glück nicht gelungen ist.

Fotos: Sammlung Hajo Boldt

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