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Zeitgeschehen beeinflusst

geschrieben von Irene Lange im Oktober 2013

Der Lüneburger Psychotherapeut Prof. Dr. Ruthard Stachowske erforscht den Zusammenhang zwischenpolitischen und traumatischen Geschehnissen und der Auswirkung auf ganze Generationen

Wie wirkt das Früher im Heute?“ Für Professor Dr. Ruthard Stachowske ist diese Frage nicht nur das Hauptthema seines beruflichen Lebens, auch sein eigener Lebensweg wurde durch das Zeitgeschehen beeinflusst; und weil ihn diese Zusammenhänge schon von jeher faszinierten, stand für ihn auch seine Berufswahl fest: Er studierte Sozialpädagogik und wurde Psycho­therapeut. Seine Qualifikationen erstrecken sich heute auf verschiedene Bereiche: von der Kinder- und Jugendtherapie bis zur Familien-, Einzel- und Paartherapie. Zu diesen Themen bietet er auch zahl­reiche Seminare, Workshops und Vorträge an. Seit 1996 leitet er das Institut für mehrgenerationale Forschung und Therapie, kurz „ImFT“, in Lüneburg und ist seit 2007 Honorarprofessor an der Evangelischen Hochschule für Soziale Arbeit in Dresden in der Ausbildung von Sozialpädagogen.
Ein besonderer Schwerpunkt ist für ihn die Arbeit rund um das Thema „Familie und die Einflüsse der Zeitgeschichte auf Lebensverläufe und -entwürfe“. Durch seine langjährige Forschungsarbeit hat sich gezeigt, dass sich gewisse Ereignisse wie Krieg, politische oder traumatische Geschehnisse auf Familien und sogar ganze Generationen auswirken.
In seinem eigenen Lebenslauf hat Ruthard Stachowske als Sohn vertriebener Russland-Deutscher die Auswirkungen von Flucht und Vertreibung selbst erlebt. Seine Eltern verschlug es während des Zweiten Weltkrieges als Flüchtlinge zunächst nach Polen, zum Kriegsende in die Lüneburger Heide und später an den Niederrhein, wo er 1957 in Wachtendonk geboren wurde. Später zog es Stachowske an den Ort zurück, der seinen Eltern erster Zufluchtsort war: Er studierte in Lüneburg und lebt seither mit seiner Ehefrau Anna-Maria in Reppenstedt, in der ehemaligen „Flüchtlingssiedlung“. Hier zog das Ehepaar seine drei Kinder – zwei Söhne, eine Tochter – groß, hier fühlt er sich nicht nur in seinem Haus und Garten sondern auch in der Umgebung sehr wohl. Er treibt gern Sport und entspannt in seiner Freizeit beim Segeln, beim Rennrad- oder Mountainbikefahren und nicht zuletzt bei der Garten­arbeit.

Durch langjährige Forschungsarbeit hat sich gezeigt, dass sich Kriege, politischeoder traumatische Geschehnisse auf ganze Generationen auswirken.

Wichtig ist dem Ehepaar auch das soziale Engagement, ohne welches viele Missstände auf der Welt keine Chance auf Verbesserung hätten. Und so ist er einer der Geschäftsführer einer Organisation (Tsunami Rehabilitation Work Nagapattinam e.V.), die seit 2005 einen katholischen Orden in Indien unterstützt, der wiederum Kindern hilft, die durch den Tsunami Waise oder Halbwaise wurden. Bisher sind über 100.000 Euro an Spenden gesammelt worden, der Lüneburger Henning J. Claassen ist einer der wichtigen Unterstützer dieses Projektes. „Bei diesem Engagement spielt auch wieder die eigene Familiengeschichte eine Rolle“, erklärt der Wahllüneburger. Für ihn sei es eine innere Selbstverständlichkeit, Heimat- und Schutzlosen zu helfen.
Als seine Mutter schwer erkrankte und zu befürchten war, dass sie nicht mehr lange zu leben hatte, schilderte sie ihm noch einmal die Familiengeschichte, die auch das einschneidende Erlebnis der Flucht beinhaltete. Den Weg von Polen über Hamburg in die Heide trug Stachowske in eine Landkarte ein und ahnte dabei nicht, dass er gerade diesen Weg eines Tages auch gehen sollte. Er verunglückte nämlich während einer Schiffsreise in Polen und musste den Heimweg per Bus antreten. „Wie damals meine Eltern hatte ich auch nur noch einen kleinen Koffer dabei“, erinnert er sich. Auf dem Heimweg per Bus zeigte ihm der polnische Reiseleiter den Grenzübergang, an dem deutsche Panzer die Grenze durchbrachen und der Zweite Weltkrieg begann.
Für den Therapeuten steht es nach den langjährigen Erfahrungen in seiner Tätigkeit fest, dass auch eine Suchtkrankheit häufig auf Ereignisse oder traumatische Erlebnisse in der Herkunftsfamilie zurückzuführen ist. Für seine Doktorarbeit erforschte er bei 40 Drogenabhängigen die Familienverhältnisse bis hin zu den Großeltern und fand heraus, dass es da gewisse Wiederholungen gab und dass es längst nicht reicht, „in nur ein Leben zu sehen“. Tiefgreifende und traumatische Erlebnisse wie Krieg, Flucht oder auch politische Ereignisse wirken in den Familien noch für Generationen nach, beeinflussen häufig die Lebensentwicklung und können Depressionen oder Suchtverhalten zur Folge haben. In diesen Fällen hilft Prof. Dr. Ruthard Stachowske Familien und Einzelpersonen mit gezielter psychotherapeutischer Beratung bei der Klärung der belastenden Prozesse. Das von ihm verfasste Buch „Mehrgenerationentherapie und Genogramme in der Drogenhilfe“ beschäftigt sich mit der Drogenabhängigkeit im Zusammenhang mit der Familiengeschichte und stellt überraschende und bewegende Fallbeispiele vor. Weitere Informationen erhalten Sie unter www.imft.info.(ilg)

Fotos: Enno Friedrich

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