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Plötzlich scheinreich

geschrieben von Caren Hodel im Dezember 2019

Das derzeitige Lieblingsthema unseres Sohnes: Geld. Seine Recheneinheiten: Gummischnuller, Eiskugeln, Matchboxautos oder Karussellfahrten. All das kostet Geld, soviel hat er schon mal verstanden. Was er noch nicht verstanden hat ist, dass auch verloren gegangene Trinkflaschen, mit Edding bemalte Pullover und bestellte, aber nicht angerührte Pommes Geld kosten.
„Aber Mama, das Geld kommt doch aus der Wand.Du musst nur ein paar Knöpfe drücken“, sagt Mika gerne, wenn ich ihm versuche zu erklären, dass Mama und Papa für die bunten Scheine arbeiten müssen. Neulich dachte ich tatsächlich: Er hat’s begriffen. Seine Gedanken rattern wie eine Gelddruckmaschine. „Du, Mama“, setzte er nach einer gefühlten Ewigkeit an, „sitzt da eigentlich jemand hinter der Wand
und gibt die Scheine durch den Schlitz?“ Die ganze Thematik ist zugegebenermaßen eine abstrakte Angelegenheit. Deshalb haben mein Mann und ich beschlossen, ihm ab jetzt Taschengeld zu geben. 50 Cent in der Woche. Schließlich wird er bald fünf und sinnvoll Bares ausgeben will gelernt sein. Er soll selbst erfahren, was Geld wert ist und was er sich dafür kaufen kann. Nach zwei Monaten Praxiserfahrung bezweifle ich allerdings, dass sein Sparschwein jemals mehr als 50 Cent im Bauch haben wird. Denn am Montagmorgen, dem Tag der
„Ausschüttung“, gestaltete sich das Szenario immer
gleich: Kaum sind die Cent-Stücke durch den Schlitz
gewandert, werden sie auch schon durch die Öffnung wieder herausgekratzt. Piratengleich hockt er ein Weilchen bewundernd vor seinem „Schatz“, bis er aufspringt und ruft: „Jetzt will ich mir davon was kaufen!“ „Wie wär’s denn mal mit sparen?“, entgegnete ich beim letzten Mal. „Du könntest dir dann irgendwann das Playmobil-Piratenschiff kaufen, das du dir so
sehr wünschst.“ „Und wieviel mal muss ich schlafen, bis ich das Geld zusammen hab?“ „Hm, lass mich mal rechnen. Ungefähr 300 Mal.“ „Och nö, dann kauf ich mir lieber jetzt einen Lolli.“
Was mein Sohn zu diesem Zeitpunkt nicht ahnte: Ich hatte ihm das Piratenschiff längst besorgt. Dazu eine Schatztruhe, in die ich einen Stapel Spielgeldscheine steckte. Er sollte es zum Geburtstag bekommen, der in drei Wochen anstand. Beides versteckte ich in einem Karton im Keller neben der Gefriertruhe. Offenbar nicht gut genug … Zwei Tage später kam Mika freudestrahlend auf mich zu. „Mama, ich hab eine Überraschung für dich“, sagte er und drückte mir mein Portemonnaie in die
Hand. „Du brauchst jetzt nicht mehr arbeiten. Wir sind steinreich! Weil ich einen Schatz gefunden hab.Einen echten Piratenschatz!“
Aus meinem Portemonnaie quollen die Spielscheine heraus und ich war fast ein bisschen gerührt, dass mein Sohn seine Beute so brüderlich mit mir teilte. Auch wenn sich das mit der Geburtstagsüberraschung nun erledigt hatte. Das Dumme ist nur: Seit unser kleiner Pirat das Schiff geentert hat, geht im Kindergarten das Gerücht um, dass wir steinreich sind. Ich bekomme regelmäßig von Mikas Freunden Wunschzettel eingereicht. Wie ich aus der Nummer wieder raus komme? Ich
behaupte einfach, ich hätte einen guten Draht zum
Weihnachtsmann und würde alles weiterleiten. So eine Connection ist nämlich im Grunde fast noch cooler als ein Sack voll bunter Scheine
Illustration: Varvara Gorbash

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