Magazin über das Leben in Lüneburg
Themen
Alle Themen und Artikel

Februarfluten

geschrieben von Prof. Dr. Werner H. Preuss im Februar 2012

Lüneburg, die Stadt am Wasser, wurde im Laufe der Zeit immer wieder von verheerenden Hochwassern bedroht

10. Februar 1941: Der Wasserstand erreicht beinahe die Kaufhausbrücke.

Wer wird im Jahre 1900 noch übrig sein von den Leuten, die es miterlebten, dass Lüneburg in jedem Frühjahre den Hochwassergefahren ausgesetzt war“, fragt sich in seinen Erinnerungen der Spediteur Carl Ferdinand Heyn, „wie 1838 das Wasser aus der Ilmenau bis an den Sand stand und wir in unserm Hause Auf dem ­Werder, trotzdem es aufgetreppt war, auf der Hausdiele kleine Papierkähne schwimmen ließen. […] Wir haben 1838 erlebt, dass unser Haus auf dem Werder von drei Seiten von wilden Strömen und Eisschollen bedroht war, namentlich von der Werderstraße hinter der Mauer, von der Kaufhausstraße und von unserm Graben – dass die Eisschollen die ziemlich dicken Walnußbäume (zwölf Fuß neben dem Hause) abbrachen – dass wir 36 Stunden mitten im Wasser von jeder Verbindung abgeschnitten waren, dass man uns der Ströme wegen auch mit Kähnen nicht erreichen konnte, das Haus aber ernstlich von den Eisschollen bedroht war und man uns später zu Pferde Lebensmittel brachte.

Die Warburg beim heutigen Behördenzentrum auf der Hude am 10. Februar 1941.

Man stelle sich vor, wie häufig ich es erleben musste, dass, wenn der Schnee schmolz, unsere Kellerfenster zugemauert und Vorbereitungen getroffen wurden, die Möbel des ganzen Parterre hochzubringen und dass unsere Nachbarn unter ähnlichen Missständen zu leiden hatten.“

Die Winter waren früher sehr viel härter als heute. Oft begann schon im November eine Frostperiode, die ohne Unterbrechung bis zum Februar andauerte. Dicke Eisschichten verstopften den Lauf der Ilmenau und banden große Wassermassen, die sich mit Einsetzen des Tauwetters schlagartig in Bewegung setzten, sich durch die Stadt ergossen und alles mitrissen, was sich ihnen in den Weg stellte. Es gab damals zwar schon einen schmalen Lösegraben, der etwa an der heutigen Stelle oberhalb der Ratsmühle von der Ilmenau abzweigte, dann aber östlich von Altenbrücker- und Lünerdamm weit nach Norden verlief, bis er bei Lüne wieder in den Fluss mündete.

Auf dieser alten Tür an der Warburg, dem Haus des Hafenwächters auf der Hude, sind die Wasserstände der schwersten Frühjahrsfluten markiert.

Doch für die Fluten der Frühjahrshochwasser war er nicht ausgelegt. Seine Aufgabe bestand in ers­ter Linie darin, als „Freirinne“ den Zustrom auf die Räder der Ratsmühle zu regulieren. Ein zweiter kleinerer Lösegraben, den Carl Ferdinand Heyn „unsern Graben“ nennt, führte innerhalb der Stadt um die Abts- und Lüner-Mühle herum und floss nördlich des Kaufhauses zurück in die Ilmenau. Der heutige Lösegraben hieß damals noch Stadtgraben und war zwischen Altenbrücker- und Lüner­tor ein flaches, aber breites, eher ruhendes als ­fließendes Gewässer, in das zudem an mehreren Stellen Aborte eingeleitet wurden. Im Sommer verkrautete er und roch bei Hitze übel. Von der Ilmenau war er durch Straßendämme mit sehr engen Sielen abgetrennt.

Die Mühlen verengten zusätzlich den Fluss und stauten die Eis-, Wasser- und Geröllmassen auf, bis der Damm schließlich brach. Am 11. Februar 1795 riss das Februarhochwasser zwei Pfeiler der Kaufhausbrücke mit sich und beschädigte den Alten Kran so schwer, dass ein Neubau (nach mittelalterlichem Vorbild und vermutlich auch unter Verwendung der noch brauchbaren Teile) notwendig wurde.

Besonders wild tobte die Frühjahrsflut im Jahr 1830. Von November 1829 bis zum 25. Februar 1830 hatte Dauerfrost geherrscht. Alle Gewässer waren mit einer dicken Eisschicht bedeckt, als plötzlich starkes Tauwetter eintrat. In der Nacht vom 26. auf den 27. Februar trat die Ilmenau über die Ufer. In kürzester Zeit schwollen die Wassermassen zu gewaltiger Höhe an, bis sie am Morgen des 28. Februars ebenso rasch wieder absanken, „und am Morgen des 1. März floss die Ilmenau wieder in ihrem gewöhnlichen Bette“, überliefert ein Chronist. Zurück blieb ein Bild der Verheerung. Für die Stadt Lüneburg und ihre nächste Umgebung war das Hochwasser, „in Verbindung mit den heranstürzenden starken Eismassen, dergestalt zerstörend und gefahrdrohend, dass zwei kleine Häuser innerhalb der Stadt bis auf den Grund weggeschwemmt und andere Häuser bedeutend beschädigt sind. Besonders haben aber die Wasser-Mühlen in der Stadt erheblichen Schaden gelitten, so wie verschiedene Brücken und andere Bauwerke.

Die Rettung der in Lebens-Gefahr gewesenen Menschen ist dagegen gelungen, obwohl zum Theil mit Anstrengung der Rettenden“, berichtete damals die Presse. Mit Schiffen wurden die hinter der Mauer wohnenden armen Familien geborgen. Sie „brachten ihre Habe in die Johanniskirche, in welcher daher am Sonntage kein Gottesdienst gehalten werden konnte. […] Die Wehre bei der Raths- und Lüner Mühle wurden ganz weggerissen“.

18. Juli 1976: Hochwasser im Lüneburger Hafen.

Unter den Fluten litten besonders die Ärmsten, die in den Gängen und Höfen hinter der Altenbrückermauer an der heutigen Ilmenau-Straße lebten. Es gelang zwar, alle Menschen zu retten, doch an den Folgen der Flut werden noch viele gestorben sein. Denn, so warnte ein Arzt damals die Lüneburger Bevölkerung, „Häuser, welche dem Durchströmen des Wassers ausgesetzt waren, sind nicht so leicht wieder von der Feuchtigkeit zu befreien, besonders hier, wo durch die größtentheils massiven Mauern und durch die Beschaffenheit unserer Baumaterialien in den unteren Geschossen ohnehin schon große Feuchtigkeit vorzuwalten pflegt. Diese muss nothwendig einen bedeutenden Grad erreichen, wo nach dem Abfließen des Wassers in den Kellern, unter den Fußböden, hinter Panelen und an anderen niedrigen Stellen unvermeidlich ein Theil davon zurückbleibt, sich in poröse Stoffe einsaugt und um so schwieriger zum Trocknen und Verdunsten zu bringen ist, als alle solche Räume am wenigsten der Sonne und der Luft einen Zugang darbieten. Schon diese länger andauernde Feuchtigkeit im eingeschlossenen Raume an sich ist der Gesundheit höchst nachtheilig, wird es aber doppelt, wenn sie in Berührung mit animalischen oder vegetabilischen Stoffen dieselben in Fäulniß versetzt und dadurch die Ausdünstungen um so verderblicher macht. Dieses kann besonders der Fall sein, wo in den Kellern oder anderen Räumen Reste von Kartoffeln, Wurzelwerk und dergleichen im feuchten Schlamme zurückbleiben oder wo Holz lange eingeschlossen mit der Nässe in Berührung bleibt und entweder fault oder Schwamm erzeugt, welcher nach neueren Beobachtungen der Gesundheit höchst schädlich ist. Es ist daher noth­wendig, in den überschwemmt gewesenen Wohnungen die unteren Räume, Keller, Viehställe etc. möglichst schnell wieder auszutrocknen, und zwar durch Reinigen, durch Einbringen von trocknem Sande und vorzüglich durch das Durchströmen der Luft und durch den Zutritt der Sonne und des Lichts, wo dieses nur immer möglich ist.“

Eine Überschwemmung von vergleichbarem Ausmaße traf Lüneburg noch einmal am 18. Januar 1841. Mehrere Hundert Menschen wurden obdachlos und zahlreiche Häuser von den Fluten fortgerissen, darunter ein Gebäude neben dem Abtswasserturm und sämtliche Freischleusen der Abts- und Lüner Mühle.

Die Situation besserte sich erst 1874, als nach dem Plan des Stadtbaumeisters Maske der Stadtgraben am Oberlauf der Ilmenau mit einem breiten Schleusenwehr versehen und zum heutigen „Löse­graben“ ausgebaut worden war. Die drei Teile des Stadtgrabens ließ er miteinander verbinden, die Straßendämme vor dem Altenbrücker- und dem Lünertor durch Brücken ersetzen, den Winterhafen vor dem Schifferwall beseitigen und das Kanalbett verengen und vertiefen. Heute ist es weniger als halb so breit wie ehedem. Der alte, viel zu lange und zu schmale Lösegraben, der vom Wandrahm bis nach Lüne führte, wurde mit Erde aufgefüllt.

Seit der Kanalisierung des Stadtgrabens ist die Gefahr der alljährlichen Februarfluten so gut wie gebannt. Die milden Winter tragen das ihre dazu bei. Doch ganz auszuschließen sind Hochwasserkatastrophen in Lüneburg auch heute nicht, wie die Bilder der Flut vom 10. Februar 1941 im Archiv der Purena (gesammelt von Johann Gross) belegen. Auch Rats- und Abtswasserwerk wurden damals stark in Mitleidenschaft gezogen. Die letzte große Frühjahrsflut erlebte Lüneburg am 19. März 1970, das letzte Hochwasser im alten Hafen am 18. Juli 1976, als bei Erbstorf der Damm des Elbe-Seitenkanals brach und die Wassermassen in die Ilmenau stürzten.

Aus: Werner H. Preuß: Das Lüneburger Wasserviertel. 2., erweiterte Auflage Husum (Husum) 2010

Fotos: Irmtraud Prien, Archiv der Purena, Sammlung Hajo Boldt – Foto: Eduard Lühr, Lüneburg 1895, Museum Lüneburg – Foto: Raphael Peters, Enno Friedrich.

Das Stauwehr des Lösegrabens heute – über 70 Jahre später.

Anzeige