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Adebars Rückkehr

geschrieben von Irene Lange im Juni 2017

Nach ihrer weiten und nicht selten gefahrvollen Reise aus fernen südlichen Ländern zählen sie zu den ersten Frühlingsboten in unseren Breiten: die Weißstörche im Landkreis Lüneburg

Nach langer Reise kehren sie erschöpft und manchmal mit arg zerrupftem Gefieder in unsere nördlichen Gefilde zurück: die Weißstörche. Auf der Suche nach einer adäquaten Bleibe versuchen sie in der Regel ihren alten Horst zu besetzen. Sollte dort jedoch bereits ein anderes Storchenpaar ein Zuhause gefunden haben, entscheidet ein kurzer oder längerer Kampf, wer Bleiberecht genießt.
Es ist das Männchen, das als erster zurückkehrt und nach dem Rechten sieht. Ist das Nest erfolgreich in Beschlag genommen, wartet es auf eine Partnerin, mit der er oft über Jahre – zumindest aber während der gesamten Brutzeit — zusammen bleibt. Gemeinsam wird entweder das alte Nest renoviert und neues Zweig- und Polstermaterial wie Gras oder Pferdemist aufgelegt, oder es wird ein neuer Horst gebaut. Drei bis fünf Eier legt ein Storchenweibchen, danach beginnt eine 32 bis 33 Tage dauernde Brutzeit, die sowohl vom Männchen als auch vom Storchenweibchen übernommen wird. Nach dem Schlüpfen der Jungen übernimmt während des ersten Lebensmonats jeweils ein Altvogel die ständige Bewachung der Kinderstube.
Um den Störchen das Brutgeschäft nach ihrer beschwerlichen Reise aus den Überwinterungsgebieten zu erleichtern, unterstützt sie der Mensch, indem er entsprechende Dach-Nestreiter oder Nest­unterlagen auf Dächern, Masten, Schornsteinen oder auch hohen Bäumen anbringt. Überwiegend werden nur die alten Nester besetzt, oft über Jahrzehnte hinweg. Jährlich werden sie mit frischem Material „aufgestockt“. Entscheidend für die Ansiedlung von Störchen ist jedoch nicht allein das Angebot von Nistmöglichkeiten, sondern vor allem das Vorhandensein von Nahrung in der nächstgelegenen Umgebung.

Im Landkreis Lüneburg (einschließlich Amt Neuhaus) hat sich der Bestand an Weißstörchen in den letzten Jahren langsam erholt, nachdem er noch bis Ende der 1980er Jahre erheblich abgenommen hatte, und zwar von 66 Paaren in 1971 auf 42 in 1985. Bis 2016 stieg ihre Anzahl wieder auf 91 Paare. In Niedersachsen und den westlichen Bundesländern verlief die Bestandsentwicklung ähnlich. Der Anstieg in den letzten 20 Jahren beruht m Wesentlichen auf der wachsenden Population der so genannten „Westzieher“, dies bedeutet: Diese Störche umfliegen das Mittelmeer im Westen über Gibraltar. Ihre Verluste auf dem Zug haben sich verringert, da ein Teil von ihnen bereits in Spanien überwintert. Auch haben sich die Lebensbedingungen der spanischen Population durch die Anlage von Reisfeldern verbessert.
Um die bundesweite Erfassung der Brutpaare, den Brutverlauf und die Zahl der ausgeflogenen Jungvögel kümmern sich ehrenamtliche Weißstorchbetreuer. Zudem helfen sie verletzten Störchen und bieten Beratung oder auch Hilfe bei der Errichtung und Pflege von Nisthilfen an. Die Organisation erfolgt in Niedersachsen durch die Arbeitsgemeinschaft Weißstorchschutz Niedersachsen/Bremen im NABU, die mit der staatlichen Vogelschutzwarte vernetzt ist. Im linkselbischen Teil des Landkreises Lüneburg sind seit etwa 25 Jahren Gundi und Hubert Horn aus Bleckede als Weißstorch­betreuer tätig. Beide sind Mitglieder im NABU, der übrigens den Weißstorch als Wappenvogel führt.

In Europa gehören sie längst zu den streng geschützten Tieren, doch leider finden nach wie vor viele ein Ende in Freilandleitungen oder in Wind­rädern. Zudem sind die Vögel während ihrer langen Reise in die Winter- bzw. Sommerquartiere unzähligen Gefahren wie Nahrungsmangel durch Dürre­perioden oder den Einsatz von Pestiziden ausgesetzt. In Afrika landen einige sogar im Kochtopf.
Entlang der Elbe wurde im Rahmen des niedersächsischen Förderprogramms „Natur erleben“ über das Biophaerium in Bleckede die „Deutsche Storchenstraße“ entwickelt (www.deutsche-storchen
straße.de). Sie führt durch das Biophären­reservat Niedersächsische Elbtalaue und das Wendland, wo von März bis Ende August in ca. 80 Hors­ten in luftigen Höhen das Schnäbel-Klappern der gefiederten Zeitgenossen zu hören ist. In vielen Dörfern bieten die majestätischen Vögel mit einer Flügelspannweite bis zu zwei Metern einen faszinierenden Anblick. Auch auf den Wiesen sind sie zu beobachten, wie sie stolzierend umherschreiten und mit ihrem langen roten Schnabel nach Nahrung suchen. Nach landläufiger Meinung fängt Meister Adebar ja eigentlich Frösche. Nur die Feuchtgebiete, auf denen diese Amphibien vorkommen, sind selten geworden. So stehen heute auf seinem Speisezettel vermehrt Mäuse, Regenwürmer, Insekten und Fische, an der Elbe auch aus Wollhandkrabben. Nicht zuletzt aus diesem Grund siedeln sich im Landkreis Lüneburg die Störche überwiegend in Elbnähe an.

Ein Blick in ein Storchennest mit den geschlüpften Jungen wird im Biosphaerium Elbtalaue in Bleckede geboten. In diesem Jahr sind auf dem seit Jahren besetzten Horst auf dem hohen Schornstein einer früheren Bäckerei vier Jungtiere geschlüpft. Zwei von ihnen haben nicht überlebt. Das erste Lebensjahr ist für die Störche das gefährlichste, nur etwa 40 % aller Jungstörche überleben, das bedeutet: Im Mittel wird nur einer von etwa acht flüggen Jungtieren im Alter von zwei bis sechs Jahren brutreif. Wer den kritischen Zeitraum überstanden hat, kann ein Alter von 25 bis 30 Jahren erreichen. Wenn man Glück hat, so sieht man einem von ihnen auf seinem Horst in luftiger Höhe.

Fotos: Christine Lohmar/www.geesthacht-elbe.de

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