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Das Altenbrücker Tor

geschrieben von Prof. Dr. Werner H. Preuß im April 2012

Ein vergangenes Wahrzeichen der Hansestadt Lüneburg

Festungsbau war eine Ingenieurskunst, die sich an die Neuerungen der Waffentechnik anpassen musste und darum stets im Wandel begriffen war. Als wohlhabende Stadt zog Lüneburg die Begehrlichkeiten anderer auf sich. Im 13. Jahrhundert, als der Stadtbezirk noch sehr ländlich aussah und die überwiegende Zahl der Häuser aus Holz bestand, war Lüneburg von Zäunen aus Eichenholzplanken und schmalen Gräben eingefriedet. Gegen Ende des 14. Jahrhunderts schützten schon kleine Türme und niedrige Mauern die Stadt, die aber 1371 von den Rittern des Herzogs Magnus noch überstiegen werden konnten. Zu Beginn des 15. Jahrhunderts wurde die Befestigung unter hohen Kosten erheblich verstärkt. Das Ergebnis ist auf den drei Stadtansichten von Süden zu bewundern, die Hans Bornemann 1444–1447 malte und die heute in der St. Nicolai-Kirche gezeigt werden. Auf ihnen sieht man Lüneburg von einer inneren und einer äußeren Mauer umgeben, die jeweils durch viele Türme verstärkt sind. ­Zwischen beiden befand sich eine hügelige Grasfläche, auf der später ein „Pomerium“, ein (Apfel-)Baumgarten, gepflanzt wurde, wie der Kunsthis­toriker Hector Wilhelm Heinrich Mithoff vermutet. Im Verlaufe des 16. Jahrhunderts warf man teils zwischen, teils vor den Mauern hohe Wälle auf und legte breite Wassergräben an. Die schwächeren Torbauten wichen jetzt weitaus massiveren, und mächtige Zwinger ersetzten die kleineren Türme.

Auch die innere Ringmauer, der „Zingel“ (daher das Verb „umzingeln“), wurde erneuert. Gegen Ende des Dreißigjährigen Krieges entstanden schließlich mächtige Schanzen und Bastionen. Wie stark die Befestigung am Ende war, stellte man 1826 beim Abbruch des Roten Tores mit Erstaunen fest, denn das durch den Wall führende Gewölbe maß ganze 60 Schritte! Der Abbau der Stadtbefestigung geschah ebenso Zug um Zug. Außer der Ratswasserkunst, dem einzigen erhaltenen Turm der inneren Mauer, und Resten des Bardowicker Walles erinnert heute nur noch wenig an Lüneburgs wehrhafte Vergangenheit.

Sechs Tore öffneten ehedem die Stadt nach Norden, Osten und Süden. Nach Westen zum Kalkberg hin schirmte Lüneburg sich ab, nachdem die Burg 1371 zerstört und das „Grimmer Tor“ zwischen Saline und Kalkberg zugemauert worden war. Durch das Neue Tor in der südwestlichen Ecke führte nun der Weg nach Westen. Im Norden lag das Bardo­wicker Tor, im Osten das Lüner- und das Altenbrücker Tor, im Süden das Rote Tor und das Sülztor. Alle Hauptzugänge bestanden aus einem inneren und einem äußeren Torgebäude. Das stattlichste von ihnen war das innere Altenbrücker Tor.

Von Osten kommend (heute Dahlenburger Land­straße) überquerte man zunächst den Stadtgraben (heute Lösegraben) auf einem Straßendamm, in dessen Mitte ein kleines Torhaus stand. Dann erreichte man das äußere Altenbrücker Tor, das von zwei dicken Rundtürmen flankiert wurde und das herzogliche sowie das städtische Wappen trug. Nach der Durchfahrt durch das langgezogene Gewölbe hatte man den Wall passiert. Man meldete sich beim Torschreiber an und zahlte das „Brückengeld“. Dann überquerte man die Alte Brücke, an der (nach Mithoff) eine Inschrift die Vorübergehenden grüßte: „Pax intrantibus, Salus exeuntibus“ (Frieden den Eintretenden, Wohlergehen den Hinaus­ziehenden). Dann stand man vor dem monumentalen nneren Tor. Am eindrucksvollsten gibt den Anblick ein Bild des Holländers Anthonie Waterloo wieder, der um 1660 durch Lüneburg reiste.

Das innere Altenbrücker Tor hatte einen quadratischen Grundriss, auf dem sich ein rechteckiger Bau mit Zeltdach erhob, der an allen Kanten durch runde Türme mit sepa­raten Hauben verstärkt wurde. Das Zeltdach ruhte auf einem achteckigen Obergeschoss in der Mitte und einer umlaufenden, mit Fenstern versehenen Galerie zwischen den Ecktürmen. Im Gegensatz zur Galerie auf dem Wasserturm war sie also überdacht. Eine Zeichnung von Ludwig Albrecht Gebhardi, Lehrer an der Ritterakademie, zeigt den

Das stattlichste Tor Lüneburgs war das innere Altenbrücker Tor

Turm von beiden Seiten: von der Stadtseite unversehrt, von außen aber schon ohne Dach und Galerie beim Abbruch 1764. Das Bild vermittelt darüber hinaus eine Vorstellung von den gewaltigen Ausmaßen des Altenbrücker Tores, denn oben sieht man zum Vergleich winzige Arbeiter. Nimmt man eine Körpergröße von nur 1,60 Metern an, so maß das Altenbrücker Tor mehr als 50 Meter vom Boden bis zum Dachfirst und etwa 13 Meter in der Breite! Verziert war es durch drei Bänder mit gotischen Bögen (Arcaden-Friese). An der Außenseite stand über der Durchfahrt auf zwei Reihen von schwarz glasierten Ziegeln eine nahezu unleserliche lateinische Inschrift und ihre Übersetzung ins Mittelniederdeutsche, die Sprache der Hanse: „Na der bord godes dusent verhundert iar in dem verteijnden iare is dit dor beghünt. Dat (…) bewaren an de (…) tho langhe iare. Amen.“ (Nach Gottes Geburt 1400 im 14. Jahr ist mit diesem Tor begonnen worden. Das (…) bewahren in einem fort bis (…) über lange Jahre. Amen.)

An allen vier Seiten waren hoch oben die Wappen des Herzogs und der Stadt angebracht. Etwas weiter unten erschienen sie noch einmal als bemalte Steinreliefs in runden Blenden. Zwischen ihnen standen Heiligenfiguren in Nischen mit zierlich gespitzten Türmchen unter einem Baldachin. An der Außenseite war es die lebensgroße ­Figur des Heiligen Georg aus weißem Stein, welcher der Legende nach eine Prinzessin vor einem Drachen gerettet hat. Eine ganz ähnliche Figur aus dem Jahr 1486 ist heute noch in dem herrlichen Chorgestühl des Bardowicker Doms zu sehen. Die Stadtseite des Tores war gleich gestaltet, nur war hier St. Johannes der Täufer dargestellt.

n der linken Hand hielt er ein Buch, auf dem ein Lamm ruhte, während er mit der rechten darauf deutete. Im Evangelium und in der Offenbarung des Johannes, dem letzten Buch der Bibel, wird Christus als „Lamm Gottes“ bezeichnet, das allein „das Buch mit sieben Siegeln“ (das Lebensbuch) öffnen und damit das Ende der Welt und die Auferstehung auslösen könne. Eine ähnliche Figur ist vergoldet am Kämmereiflügel des Rathauses zu finden sowie farbig bemalt am Gral-Hospital in der Feldstraße. Bekleidet ist Johannes der Täufer, der in der Wüste lebte und dort Heuschrecken und wilden Honig aß, mit einem Kleid aus Kamelhaaren und einem ledernen Gürtel.

Sowohl an der Außen- als auch an der Innenseite verschlossen gewaltige Fallgatter aus Schmiede­eisen das Altenbrücker-Tor. Es ist aus dem Stadtbild verschwunden wie viele Gebäude, die irgendwann im Wege standen. Doch einst kündete seine Größe weithin von Reichtum, Stolz und Macht der Hansestadt Lüneburg.

Fotos: Sammlung Hans-Joachim Boldt

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