Magazin über das Leben in Lüneburg
Themen
Alle Themen und Artikel

Anna Vogeley

geschrieben von Constanze Sörensen im Dezember 2011

KOMMUNALPOLITIKERIN MIT HERZ UND SEELE

1884 wurde Anna Catharina Margarete Vick als Tochter eines Lüneburger Fabrikarbeiters geboren und wuchs in ärmlichsten Verhältnissen auf. Ihr Vater starb, als Anna sieben Jahre alt war, nterließ eine Familie mit fünf Kindern. Das Geld war knapp, so dass Anna schon früh in fremden Haushalten arbeiten musste, um so zum Unterhalt der Familie beizutragen. Zur Vollwaise wurde sie, als ihre Mutter 1903 an Unterernährung starb. Als 20-Jährige heiratete sie den Fabrikarbeiter Peter Heinrich Adolf Vogeley, die finanzielle Situation änderte sich dadurch nicht. Leid und Not prägten auch das Leben der jungen Familie Vogeley – der Glanz der „guten alten Zeit“, in der Kaiser Wilhelm II. regierte, blieb den Ar beiterfamilien verschlossen.

Gleich nach Ausbruch des ersten Weltkrieges im August 1914 wurde Peter Vogeley schwer verwundet und blieb bis zu seinem Tod 1929 erwerbsunfähig. Die Verantwortung für ihre zwei Töchter und den kranken Mann lastete nun auf den Schultern von Anna. Sie pachtete in der Heiligengeiststraße eine Schweineräucherei, die gerade den Lebensunterhalt der Familie sicherte.

Als erstmals Frauen aufgrund eines neuen Vereinsgesetzes von Mai 1908 an die Mitgliedschaft in Parteien und Gewerkschaften gestattet wurde, trat Anna Vogeley in die SPD ein. Sie engagierte sich in der Armenfürsorge und setzte sich für gewerkschaftliche Interessen ein. Unmittelbar nach dem Zusammenbruch des Kaiserreiches 1918 or- ganisierte sie die aus amerikanischen Hilfslieferungen durchgeführte Quäkerspeisung für bedürftige Kinder in ihrer Heimatstadt. 1919 rief sie zu einer Versammlung aller Hausangestellten, Wasch- und Scheuerfrauen auf, um sie über ihre Rechte zu informieren.

Wie überall in Deutschland hatten Frauen in Lüneburg zum ersten Mal das aktive und passive Wahlrecht. Der Rat der Volksbeauftrag- ten, die provisorische deutsche Regierung, ließ im November 1918 verkünden, dass alle mindestens 20 Jahre alten männlichen und weiblichen Personen wahlberechtigt seien. Zwei Monate später beteiligten sich in Deutschland 82 Prozent der weiblichen Stimmberechtigten an der Wahl zur verfassungsgebenden Nationalversammlung. Bei den ersten Nachkriegswahlen zum Bürgervorsteher- Kollegium am 2. März 1919 in Lüneburg zeigten die Ergebnisse eine bemerkenswert fortschrittliche Gesinnung der Wählerschaft. Die SPD konnte in Lüneburg 52,4 Prozent der Stimmen für sich gewinnen. Als eine der ersten FrauVogeley in das Rathaus ein. Sie hatte sich bis 1918 durch die ehrenamtliche Arbeit in der Armenfürsorge bereits einen Namen gemacht, so dass sie auf Platz drei der SPD-Liste kandidierte. Anna Vogeley war von 1919 bis 1924 im Stadtparlament vertreten und wurde Mitglied in den Ratsausschüssen für Wohlfahrt und Schule. Neben der Arbeit im Rathaus übernahm sie ehrenamtlich als eine der ersten Frauen das Amt der städtischen Armenvorsteherin und der städtischen Berichterstatterin für die soziale Gerichtshilfe. 1924 verzichtete sie aufgrund des schlechten Gesundheitszustandes ihres Mannes auf eine Wiederwahlen .

IHR ZU EHREN BESCHLOSS DER RAT DER STADT LÜNEBURG 1960, DEM NEUEN ALTENHEIM DEN NAMEN „ANNA-VOGELEY-HEIM“ ZU GEBEN.

In den wirtschaftlich schlechten Zeiten nach dem ersten Weltkrieg war gegenseitige Unterstützung unerlässlich. Im Herbst 1919 beschloss die SPD einen Wohlfahrtsausschuss ins Leben zu rufen. Marie Juchacz, eine der ersten Frauen, die in den Reichstag gewählt wurden, wurde von der SPD beauftragt, zur Behebung der größten wirtschaftlichen Not die Arbeiterwohlfahrt (AWO) zu gründen. Anna Vogeley gründete 1919 gemeinsam mit gleich ge- sinnten Frauen den Ortsverein der AWO in Lüneburg. Der Verein kümmerte sich neben dem Aufbau von Nachbarschaftshilfe, einer Kinderbetreuung und der Kinderlandverschickung auch um die Einrich- tung des Immenhofes für junge Frauen in der Lüneburger Heide. 1929 richtete Anna Vogeley unter diesem Dach auch eine Nähstube ein, in der ar- beitslose Kriegswitwen Beschäftigung fanden. 1932 rief sie die AWO-Beratungstunde ins Leben. Durch ihre sozialpolitische Einflussnahme wurde sie zum „Anwalt Not leidender Menschen“, ihre letzte Minute der kargen Freizeit opferte sie dem sozialen Engagement.

1933 endete Anna Vogeleys politische Arbeit vorübergehend, denn die neuen Machthaber erteilten ihr, der Sozialdemokratin, Hausverbot im Rathaus. Die Arbeiterwohlfahrt sollte kurz nach der Macht- übernahme der Nationalsozialisten in die Reichsarbeiterschaft übergehen. Dem kam die AWO zuvor, indem sie im Juni 1933 die Arbeit einstellte und sich somit faktisch selbst auflöste. Gleich nach Kriegsende begründete Anna Vogeley gemeinsam mit dem späteren Oberbürgermeister Hillmer erneut die Arbeiterwohlfahrt, die unbüro- kratisch die schlimmste Not zu lindern half. Die Verteilung der amerikanischen Carepakete lag im Wesentlichen in ihrer Hand. Auch politisch wurde sie 1945 wieder aktiv, als namhafte Vertreterin der Lüneburger Bevölkerung wurde sie ehrenamtliche Zuarbeiterin für die städtische Verwaltung und im August in den ersten (nicht gewählten) Rat berufen. Später wurde die engagierte Frau bis zu den Kommunalwahlen 1956 in den Rat der Stadt gewählt, ab 1948 gemeinsam mit ihrer Tochter Frieda Brunke. Wieder wurde sie Armenvorsteherin und Vorsitzende des Sozialausschusses.

Die aufopfernde Arbeit in Politik und Gesellschaft war jedoch nicht ohne Folgen für die Gesundheit Anna Vogeleys geblieben. Herzbeschwerden mach- ten ihr zu schaffen. Am 15. Oktober 1958 starb Anna Vogeley als hoch geachtete und respektierte Kommunalpolitikerin im Alter von 74 Jahren und wurde auf dem Waldfriedhof begraben. Anna Vogeley sagte selbst zu ihrem Engagement: „Man muss sich für die verantwortlich fühlen, die sich selbst nicht helfen können.“

Seit dem Ende der 40er Jahre hatte sie sich dafür eingesetzt, ein städtisches Altenheim zu bauen und den Lüneburgern in ruhiger Stadtrandlage ein modernes Pflegezentrum zu bieten. Mit Überredungskunst und Verhandlungsgeschick reservierte Anna Vogeley das stadteigene Grundstück an der Wich- ernstraße und wirkte bei den ersten Planungen im Sozialausschuss noch beratend mit. Die Vollendung ihrer letzten großen Aufgabe erlebte sie nicht mehr. Ihr zu Ehren beschloss der Rat der Stadt Lüneburg am 28. Juli 1960, dem neuen Altenheim den Namen „Anna-Vogeley-Heim“ zu geben. Neben ihrem Namen erinnert heute noch ihr Bild in der Eingangshalle an sie.

Quelle: Constanze Sörensen „Biographien Lüneburger Frauen“, 2005