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Auf Tuchfühlung mit Wölfen

geschrieben von Iene Lange im Oktober 2018

Ihre Existenz in unserer Region löst gleichermaßen Angst wie Faszination aus: Wolfsexpertin Tanja Askani klärt mit ihren Vorträgen im Wildpark Lüneburger Heide über das Raubtier auf

Die intensive Beziehung zu Tieren gewann Tanja Askani schon als Kind in ihrer tschechischen Heimat. Ihr Vater brachte immer wieder bedürftige, also kranke und heimatlose Geschöpfe nach Hause, pflegte diese gesund oder zog sie auf, um anschließend ein passendes Zuhause für sie zu suchen. So lernte Tanja Askani schon früh, worauf im Umgang mit Tieren zu achten ist – eine prägende Erfahrung für ihr weiteres Leben. Mit 16 Jahren schloss sie sich einer Tierschutzinitiative an, die verletzte Greifvögel pflegte und später auswilderte. Daraus entwickelte sich ihre Leidenschaft für die Falknerei. Nach dem Abi­tur studierte sie zunächst Zootechnik, doch die Berufs­praxis erwies sich als ernüchternd. Konfrontiert wurde sie dort vor allem mit den Methoden der Massentierhaltung, erfolglos bemühte sie sich um eine Verbesserung der Bedingungen. Desillusioniert suchte sie nach einem weiteren Standbein und absolvierte eine Ausbildung zur Restauratorin.
Nach Deutschland kam sie Ende der 80er-Jahre. 1990 begann sie im Wildpark Lüneburger Heide als Falknerin zu arbeiten, war am Aufbau der Falk­nerei mit den Flugvorführungen, wie sie heute noch existieren, beteiligt. In diese Zeit fällt auch ihre Begegnung mit einem Polarwolf-Welpen.

Die Mutter war gestorben, es hatte als einziges aus dem Wurf überlebt. Sie gab ihm den Namen „Flocke“ und übernahm, unterstützt von der Jagdhündin Senta, die Mutterrolle. Diese identifizierte sich so sehr mit ihrer neuen Aufgabe, dass sich sogar die Milch­produktion einstellte, um das Jungtier zu ernähren. Wie sich der kleine Wolfswelpe zu einer bildschönen Wölfin entwickelte, beschreibt Tanja Askani in ihrem Buch „Unsere Wölfin Flocke. Vom Abenteuer, ein Raubtier zu Hause aufzuziehen“.
„Von ihr lernte ich das Wesen und die Sprache der Wölfe zu ‚lesen‘“, erläutert Tanja Askani. Flocke gab den Anstoß, sich mehr und mehr mit diesen Tieren zu befassen, die sie als Botschafter ihrer freien Artgenossen betrachtet. „Sie helfen mir, die frei lebenden Wölfe zu verstehen“. In einem weiteren Buch mit dem Titel „Wolfsspuren. Die Frau, die mit den Wölfen lebt“, erzählt Tanja Askani eindrucksvoll von ihrem Weg, ihren Erfahrungen und Erlebnissen mit den Wölfen. Gegenwärtig leben vier Timberwölfe, fünf europäische Grau- und zwei Polarwölfe in den Wolfsgehegen des Wildparks Lüneburger Heide.
Mittlerweile ziehen dort die täglichen Vorträge Tanja Askanis über „ihre Wölfe“ viele Besucher an. Sie zeichnen ein authentischeres Bild als jenes, das derzeit durch die Medien geistert, und versteht es Vorurteile abzubauen. Sie zeigt den Wolf als hoch intelligentes, soziales und sensibles Raubtier, das sich aber natürlich von Fleisch ernährt, das er zum Leben braucht. Sie macht keinen Hehl daraus, dass dies zu Problemen für Nutztierhalter führt, denn für diese ist mit der Rückkehr der Wölfe das Leben komplizierter geworden. Herdenschutz ist geboten, verbunden mit finanziellem Aufwand und Mehrarbeit. Tanja Askani hat Verständnis, wenn deshalb die Heimischwerdung der Wölfe nicht von allen begrüßt wird. Daher appelliert sie an die Politik um angemessene Unterstützung für die Nutztierhalter. „Letztlich ist Herdenschutz auch Wolfsschutz“, sagt sie. „Wenn Nutztiere wie Schafe oder Ziegen vor Wölfen nicht geschützt werden und es dadurch zu Übergriffen kommt, wird dies in den Medien oft polarisierend dargestellt: ‚Der gefährliche Wolf hat wieder zugeschlagen‘“. Wölfe sind jedoch keine Gefahr für den Menschen; für ungeschützte Schafe oder Ziegen hingegen schon. Einen wirksamen Schutz, so Tanja Askani, bildet der Einsatz von Elektrozäunen, idealerweise gekoppelt mit der Bewachung der Tiere durch spezielle Herdenschutzhunde.

In Europa ist der Wolf im Allgemeinen streng geschützt, ein Abschuss einzelner Tiere nur unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt. Dennoch werden Wölfe wiederholt illegal geschossen. Tanja Askani meint dazu, dass die Strafverfolgung in diesen Fällen nicht wirkungsvoll ist; sie bliebe ohnehin meist erfolglos oder ziehe im Falle der seltenen Überführung nur milde Strafen nach sich. In den Ländern Europas, in denen der Wolf nie ausgestorben war, betrachten die Menschen seine Anwesenheit entspannter. Man ist den Umgang gewohnt, die Herden werden geschützt. Sollte dennoch ein Schaf gerissen werden, droht nicht gleich die Vernichtung der Wölfe und ihrer ganzen Art.
An den sogenannten „Wolfstagen“ im Wildpark Lüne­burger Heide erfahren die Besucher von Tanja Askani viel Wissenswertes über den Wolf. Sie hält ihre Vorträge inmitten der Tiere in den Gehegen. Wer sie in ihrem fast zärtlichen Umgang mit ihnen beob­achtet, mag kaum glauben, dass es Wildtiere sind und bleiben, trotz Gehege und Leben in Gefangenschaft. Die Verbundenheit mit ihnen ist deutlich zu spüren. Sie versichert glaubhaft: „Wenn ich einen Wolf aufziehe und betreue, bedeutet das Betreuung auf Lebenszeit. Ich liebe diese Tiere und bin für sie da, solange sie leben“.(ilg)

Fotos: Liba Radová

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