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Die Bienen vom Turm

geschrieben von Irene Lange im Dezember 2013

Was macht das Bienenvolk vom Wasserturm im Winter? Freizeitimker Dr. Gerhard Fehrentz erläutert ihre Überlebenstaktik

Hoch oben auf der Galerie des Lüneburger Wasserturms, für Besucher nicht zugänglich, lebt seit dem Frühjahr 2012 ein Bienen­volk. Es ist ein Stadtimkerei-Projekt, das in Kooperation mit dem Freizeitimker Dr. Gerhard Fehrentz aus Deutsch-Evern und dem Trägerverein Lüne­burger Wasserturm e.V. ins Leben gerufen wurde. Stadtimkerei auf Dächern, Türmen, Dachterrassen oder Balkonen findet weltweit zunehmende Verbreitung.
Die Unterbringung der Tiere in luftiger Höhe auf dem Wasserturm ist nicht gerade spektakulär. Der Bienenstock besteht aus einem einfachen Holzkasten mit verschiedenen Etagen. Um diese Jahreszeit scheint sich dort kein Leben zu rühren. Doch dies täuscht – denn sobald der Imker den Deckel anhebt und vorsichtig eine Wabe herauszieht, erkennt man die zu einer dichten Traube versammelten Bienen. Wie Dr. Fehrentz erklärt, wärmen sie sich auf diese Weise gegenseitig, so dass im Inneren des Bienenvolks eine recht konstante Temperatur von 20 Grad herrscht. Dabei findet ein steter Austausch zwischen den ausgekühlten Bienen im äußeren Bereich und denen aus dem warmen Inneren statt.
Bevor die Bienen jedoch in die Winterpause gehen, wird etwa Mitte Juli der Honig — die sogenannte Sommertracht —, den sie über die Sommermonate gesammelt haben, geerntet. Im Fall der Stadt­bienen auf dem Wasserturm beträgt die Jahresernte immerhin rund 30 kg. Im gesamten Stadtbereich Lüneburgs herrscht eine große Blütenpflanzenvielfalt, nicht nur durch Linde, Kastanie oder Ahorn, sondern auch durch Zierpflanzen und Gehölze. Der von den emsigen Bienen gesammelte Honig ist daher auch besonders reichhaltig und schmackhaft. Davon konnten sich bereits zahlreiche Besucher des Wasserturms überzeugen, denn Dr. Fehrentz stellt die Ernte, abgefüllt in Gläschen, dem Wasserturm-Verein unentgeltlich zum Verkauf zur Verfügung.
Bis Ende September, so Dr. Fehrentz, sollte die Fütterung der Bienen für die Wintermonate mit speziellem Zuckerteig oder Sirup abgeschlossen sein. Dies sei eine kritische Phase für den gesamten Bestand, weil auch unter Bienenvölkern gegenseitiger Futterraub vorkommt, der zur Schwächung und zum Sterben betroffener Völker führen kann. Auf der anderen Seite hat die Natur gut vorgesorgt, denn im Gegensatz zu den im Frühjahr und Sommer gezogenen Arbeitsbienen, die maximal 35 Tage leben, sichern langlebige Winterbienen bis zu neun Monaten das Überleben des Bienenvolks in der brutfreien kalten Jahreszeit.
Den Bestand des Bienenstocks auf dem Wasserturm schätzt Dr. Fehrentz auf 40.000 Tiere im Sommer und zurzeit auf ungefähr 20.000. Zur Freude des Imkers zeigen sich bei seinem Lüneburger Volk keine Anzeichen des Befalls mit der vor ca. 30 Jahren aus Asien eingeschleppten und gefürchteten Varroa-Milbe. Dieser Schädling setzt sich auf den Bienen fest, saugt ihnen das Blut aus, so dass sie schließlich absterben. Doch es gibt ein Gegenmittel, nämlich die Behandlung mit Ameisensäure, die nach der letzten Honigernte erfolgt.

Stadtimkerei auf Dächern, Türmen, Dachterrassen oder Balkonen findet weltweit zunehmende Verbreitung.

Zu jedem Bienenvolk gehört die Königin, die sogenannte Weisel. Sie wird von den Arbeitsbienen Zeit ihres Lebens gefüttert und gepflegt, denn sie sorgt für den Fortbestand des Volkes. Alljährlich werden mehrere Königinnen gezogen, von denen nur die zuerst geschlüpfte überlebt. Im Frühjahr schwärmt die alte Königin mit einem Drittel des Bienenvolks aus, überlässt den Rest der Nachfolgerin und gründet einen neuen Staat.
Einmal in ihrem Leben, etwa zehn Tage nach dem Schlüpfen, geht die Königin auf ihren Hochzeitsflug, bei dem sie von bis zu 15 männlichen Bienen, den Drohnen, begattet wird. Das ist dann auch deren einzige Lebensaufgabe, danach sterben sie ab. Der Vorrat an Spermien reicht nun für das ganze Leben der Königin, das maximal fünf Jahre währt. Bis zu 2.000 Eier pro Tag kann sie in den Brutzellen des Stocks ablegen. Zu Arbeiterinnen werden diejenigen Larven, die mit normalem Nektar und Pollen ernährt werden. Drohnen entstehen aus unbefruchteten Eiern. Zu einer Königin jedoch entwickeln sich nur die Tiere, die mit Gelee Royal, einem speziellen Saft aus einer Kopfdrüse der Arbeiterinnen, gefüttert werden. Zurzeit wird jedoch die herrschende „alte“ Bienenkönigin des Volkes auf dem Wasserturm von ihren Arbeiterinnen versorgt, damit sie im Frühjahr wieder für Nachwuchs sorgen kann.
Neben dem Bienenstock auf dem Wasserturm betreut Dr. Fehrentz noch weitere Bienenvölker auf seinem Grundstück in Deutsch-Evern. Schon früh war er naturkundlich interessiert. Nach seinem Studium der Agrarwissenschaft arbeitete er lange Jahre bei der Lüneburger Bezirksregierung im Ernährungs- und Landwirtschaftsdezernat. Seit einigen Jahren beschäftigt er sich intensiv mit der Imkerei. Inzwischen betreut er als „Imker-Pate“ auch sogenannte „Jung-Imker“, die von seinem umfassenden Wissen profitieren. Imkerei ist für ihn nicht nur ein faszinierendes Hobby sondern eine Wissenschaft zum Schutz der nützlichen Bienen, die seit 40 Mio. Jahren auf unserem Planeten überlebt haben. Sie gilt es zu schützen, weil sie durch ihre Bestäubung von Pflanzen nicht nur nützlich, sondern für den Erhalt der Umwelt und deren Ökosysteme unersetzlich sind.(ilg)
Fotos: Enno Friedrich