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Weine mit Grandezza

geschrieben von Rüdiger Albert im Juni 2012

Einst Skandalerschüttert, erfahren die Winzer aus dem österreichischen Burgenland eine wohlverdiente Renaissance. Ein Lagebericht

Rien ne va plus“, dachte wohl der Finanz­beamte, als ein Winzer eine stattliche Menge von Frostschutzmittel steuerlich geltend machen wollte. Was wohl nicht weiter auffällig gewesen wäre, hätte der Beamte nicht gewusst, dass der Winzer lediglich einen kleinen Traktor durch die Weinzeilen tuckerte. In Deutschland tobte vor 26 Jahren der Glykol-Skandal. Im Getöse der Medien ging dann auch prompt der italienische Methanol-Skandal unter (Glykol macht süß. Methanol macht blind.). Und dieser Weinskandal wäre keine Zeile wert, wäre er im Gedächtnis der Weinliebhaber nicht so präsent wie ein leicht gekühlter Ruster Ausbruch, genossen an einem taufrischen Maienmorgen.
Ruster Ausbruch – das ist der Name einer edel­süßen Weinspezialität aus der burgenländischen Weinmetropole Rust, gelegen am Westufer des Neusiedlersees. Rust. Idylle pur – fast auf jedem Dach thront ein Storchenpaar. Barocke Hauswände und Hofgassen zieren das Bild der Gemeinde. Deshalb wurde sie auch zum Drehort der TV-Serie „Der Winzerkönig“ erkoren. Ausgerechnet diesen kleinen Ort outete der deutsche Weinkonsument 1985, im Jahr des Skandals, als Panscherzentrale — zum Schaden der Winzer aus dem Ort Rust. Ölig süße Billigweine fanden die Konsumenten seinerzeit nicht in Rust und sie finden sie auch heute nicht.
In der Raiffeisenstraße 9 treffen sie Ernst Triebaumer. E.T., der Außerirdische, nennen ihn seine Verehrer. Dieser in Österreich hochverehrte Mann führt sie dann, mit etwas Glück, über viele Stufen, Etage für Etage tief hinab ins Kellergewölbe. Hier ist es kühl, es herrscht eine relativ hohe Luftfeuchtigkeit. Es riecht nach Wein und nach Holzfässern. In diesem Gewölbe bastelte Triebaumer seine vinologische Antwort auf die unsäglichen Panschverdächtigungen: Sein „1986 Blaufränkisch Barrique“ von der Ried Mariental (mit 60 Jahre alten Rebenstöcken) wurde in der Fachwelt als Sensation schlechthin aufgenommen – zu Recht, der Wein betört noch heute als erstaunlich jung gebliebene Delikatesse. Dieser Clou gelang ihm zu einer Zeit, als es auch noch um den Rotwein alles andere als rosig stand. Dieser Wein stellte so ziemlich alles in den Schatten, was bis dahin in österreichischen Rotweinkellern entstand.
Ernst Triebaumer übernahm zusammen mit seiner Frau Margarete 1971 das elterliche Weingut. Vermutlich ist er der erste Ökowinzer Österreichs. Seine Weindevise lautet von Beginn an: „Immer überlegen, was man besser nicht tut“. Diese Fehler­vermeidungsstrategie haben die Triebaumers offen­sichtlich auch ihren Kindern beigebracht, drei Söhne und Nesthäkchen Elsa. Die jüngste Familien­devise aber heißt: „Zurück zur Diversifikation“. So lernte Herbert Elektriker, Gerhard nahm sich der Tischlerei an, Elsa studiert Landschaftsarchitektur und kümmert sich um die Kunden. Richard lernte Koch, züchtet Mangalitza-Wollschweine, beackert die Gemüsefelder und erntet das Obst; aus all diesen Dingen macht er dann leckere Feinkost. Resultat der Diversifikation: Alle zusammen firmieren als „Familiengenossenschaft“.
Zur Avantgarde der burgenländischen Winzer, die sich dem Skandal entgegenstemmten, gehört auch Anton Kollwentz. Der Meister praktiziert in Großhöflein, etwa zehn Kilometer westlich von Rust. Das Dorf liegt im Hügelland, am Südhang des Leithagebirges. Tja, einen Keller wie im Römerhof, so heißt das Weingut, sieht man nicht so häufig. Beim Anblick des Gewölbes funkeln die Augen: blitz und blank bis in die finsterste Ecke. Und, wen wundert’s, so schmecken dann auch Kollwentz’ Weine: klar, sauber, brillant und präzise, sortentypisch bis zum letzten Tropfen – kein Wunder, der Mann lebt mit Erlaubnis seiner Frau Margarete 24 Stunden am Tag mit und für seinen Wein. Für einen Sohn blieb freilich gerade noch Zeit. Andi Kollwentz absolvierte die Klosterneuburger Weinbauschule und schnupperte danach im Bordelais französische Weinkultur: Chateau Palmer im Margaux und Chateau La Tour Blanche in Sauternes; hier kann man was lernen, die erlauchten Stationen genießen Weltruf in Sachen Rotwein und Süßwein.
Anton und Margarete Kollwentz sind selbstredend noch präsent, sie helfen mit. Aber seit 2003 liegt die Verantwortung über den Römerhof in den ­Händen von Sohn Andy. Ein weißer Zug. Die öster­reichische Weinpresse unterteilt das Thema Wein in drei Rubriken: Weiß-, Rot- und Süßwein. Der Römer­hof, unter der Leitung von Andy Kollwentz, ist das einzige Weingut des Landes, welches in allen drei Bereichen die höchstmögliche Wertung erhält. Mehr noch: Ob Weiß-, Rot- oder Süßwein – hier verlässt kein Tropfen den Hof, der nicht gehobenen internationalen Ansprüchen genügt und das – Generationen übergreifend — seit Jahrzehnten.

Prädikatsweine, wie die von Kollwentz und Triebaumer, konnten freilich nicht verhindern, dass der Weinexport des Alpenlandes innerhalb weniger Wochen auf Jahre hinaus fast nivelliert wurde. Ausnahme waren einzig und allein Weine aus der Wachau. Die Rieslings-Veteranen vom linken Donauufer konnten paradoxerweise ihre Exporte nach Deutschland sofort steigern. Der Skandal kann und soll an dieser Stelle unter keinen Umständen verniedlicht werden: Glykol hat im Wein nichts zu suchen! Aber im Burgenland mussten vier Winzer vorm Richter erscheinen; zwei wurden zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Die Winzer am Wagram (!) produzierten das Gros Glykolweine. Diese Weine süßten dann insbesondere auf Burg Layen an der Nahe Wein aus Deutschland. Die Winzer Burgenlands zahlten die Zeche. So ein Gewitter hat freilich auch reinigende Wirkung. Sie begann im Burgenland mit dem Skandal und führte zu einem nachhaltigen Strukturwandel im Weinbau – und hält bis heute an. Das hat Gründe.
Die zweitgrößte Weinbauregion Österreichs beackert 13.844 Hektar Rebenland. Das sind 25 Prozent weniger als noch Anfang der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Diesen Vorgang könnte man durchaus als intelligente Schrum­pfung bezeichnen. Im Vergleich dazu die Entwicklung in Spanien: Dort verringerte sich im gleichen Zeitraum die Anbaufläche auch um etwa 25 Prozent – aber der Ertrag stieg um 38 Prozent. Derweil ließ der Weindurst der Spanier gewaltig zu wünschen übrig; die Spanier trinken 27 Prozent weniger Wein — und müssen zu Dumping-Preisen verkaufen.
Die Burgenländer ernten etwa 50 Hektoliter Wein pro Hektar – nur halb so viel wie die meisten Kollegen in Deutschland, so kann man Klasse statt Masse liefern. Beim Verband Deutscher Prädikatswinzer (VDP) erinnert man sich noch dunkel daran, als seine Durchlaucht Michael Prinz zu Salm-Salm an einem sonnigen September-Sonntag im noblen Daimler­Chrysler-Atrium am Potsdamer Platz in Berlin das neue Konzept vom Großen Gewächs vorstellte. Das war Anfang des Jahrhunderts. Wesentlicher Punkt: Die Erträge für Große Gewächse dürfen 50 Hektoliter pro Hektar nicht überschreiten. Auch hier fand eine Diversifikation statt wie in Rust bei den Triebaumers, aber anderer Natur. Weiß eigentlich noch jemand beim VDP, was ein Großes Gewächs ist? Süß, trocken, halbtrocken, feinherb? Oder wie heißt eigentlich das lallende Getränk heute?
Im Burgenland herrscht ein komplett anderes, deutlich höheres Level in Sachen Marketing, und zwar flächendeckend. Wenn zum Beispiel auf dem Etikett trockener Weißwein steht, darf der Weinfreund auch trockenen Weißwein im Glas erwarten. Das Dasein zwischen Barrique und Botrytis (so heißt der Pilz, der notwenig ist zur Erzeugung edelsüßer Weine) kann nur erfolgreich sein, wenn Qualität am internationalen Standard gemessen wird. Die jungen Winzer studieren deshalb nicht nur Weinkunde und Weinmarketing oder sammeln Berufserfahrung wie Andy Kollwentz bei Kollegen im Ausland. Die Winzer Burgenlands gehen zu den Kunden, sie reisen durch die Welt und stellen ihre Weine vor – zum Beispiel Alois Kracher aus Illmitz.

Anfang der Neunziger begann der kometenhaft Aufstieg des Weinlaubenhofs, so heißt das Weingut von Alois Kracher. Wie kein anderer zuvor konnte er insbesondere die englischsprachige Fachpresse für edelsüße Kreszenzen aus dem Burgenland begeistern. „The Alchemist“, wie ihn das britische Weinmagazin nannte, wurde auf der „International Wine Challenge“ in London sechsmal mit dem Titel „Wine­maker of the Year“ geehrt. Die Gründe: Ertragsbeschränkung im Weingarten, möglichst späte Lese und Traubenselektion. Als Kracher viel zu früh im Dezember 2007 starb, wurde sein Tod in den Hauptnachrichten vom ORF gemeldet. Drei Tage später druckte die „New York Times“ einen Nachruf.
Krachers Sohn Gerhard übernahm die Verantwortung auf dem Weinlaubenhof. Qualität der Weine? Unverändert hoch. „Zwischen den Seen“ heißen die edelsüßen Weine, die er in großen Holzfässern oder Edelstahltanks ausbaut. Die Weine bleiben lange mit der Hefe in Kontakt. Dadurch bringen sie Frische, Frucht und primäre Traubenaromatik ins Glas. Die Weine der Linie „Nouvelle Vague“ (auch edelsüß) sind durch den Ausbau im Barrique (in Deutschland schlicht undenkbar) und den Luftaustausch während der Reifung geprägt.
Die Kracherschen Weinlagen befinden sich direkt am Ostufer vom Neusiedler See. Und der wirkt wie eine Klimaanlage für Weinberge – im Winter wärmt er, im Sommer bremst er die Hitze, zu jeder Jahreszeit sorgt er für gleichmäßige Luftfeuchtigkeit.
Im Herbst gibt es noch einen kleinen Nebeneffekt: Die Edelfäule (Botrytis) befällt die Trauben und entzieht ihnen Wasser; zurück bleiben Frucht, Süße und Säure.
Unweit von Illmitz in südöstlicher Richtung liegt Apetlon. Hier residiert im letzten Haus in der Seeuferstraße Heinz Velich. Der zurückhaltende Winzer lässt vor jedem Smalltalk seine Weine sprechen. Sein Erfolgsrezept besteht aus Fragen: „Was macht das Wetter, wie reagiert die Pflanze, was mach ich daraus?“ Dass im Seewinkel außer edelsüßem Wein auch fulminante trockene Weißweine möglich sind, zeigt dann Heinz Velich. Er kultiviert die Rebsorte Chardonnay. Gegen Ende des Jahrhunderts gehörte die Rebsorte noch zu den gefragtesten weltweit und geriet etwas außer Mode – wegen Übersättigung. Allein Velich bändigt den Chardonnay Jahr für Jahr zu einem vinologischen Großereignis.
Rien ne va plus. Sein Bruder Roland warf Ende der Achtziger zum letzten Mal als Croupier im Casino Wien die Kugel gegen die Laufrichtung in die Roulette-Scheibe. Zunächst sammelt er noch Wein-Erfahrung in Kalifornien und in Italien; dann unterstützt er seinen Bruder auf dem elterlichen Weingut, um sich schließlich dem Blaufränkisch in den Hügeln des Leithagebirges zu widmen.
Rotweine vom Leithagebirge erfreuten schon im Mittelalter die Könige von Ungarn, später die österreichische Kaiserin Maria Theresa, dann Bismarck. Bismarck, der deutsche Reichskanzler, hat den Blaufränkisch aufgrund seiner Qualität aus Pöttelsdorf im Weinbaugebiet Neusiedlersee-Hügelland zu seinem Lieblingswein erkoren – und Bismarck verstand eine Menge von Wein.
Roland Velich sieht in den Blaufränkisch-Weinen aus Lutzmannsburg und Neckenmark das größere Potential. Hier erwarb er brachliegende Weinpar­zellen, die er rekultivierte. Ausgebaut wird der Wein in Großhöflein in der Nachbarschaft vom Römerhof – in einer Garage. „Ich wollte wissen: Was kann ­diese Rebsorte wirklich“, hat er mal geäußert. „Es ist nicht die Opulenz, nicht die größere Wucht, sondern die Grandezza eines speziellen Parfüms, die den Wein aus einer speziellen Region so unvergleichlich macht“. Als er „Moric“ (Moritz gesprochen) Anfang des Jahrhunderts lancierte, gab es nicht wenige, die ihn belächelten. Inzwischen lächelt niemand mehr. Robert Parker, der amerikanische Weinpapst, und Jancis Robinson, hoch angesehene englische Weinjournalistin, lobten Moric unlängst ausführlich und empfahlen den Wein ihren Lesern zum Einkeltern.
Den Lesern von „QUADRAT“ sei nun empfohlen, einmal im Hause Wabnitz nach dem Rechten zu sehen – um zu schmecken, wie es bestellt ist mit der Qualität von Weinen gewachsen im Burgenland; denn Annette und Stefan Wabnitz offerieren seit einigen Wochen Weine von Regina und Günter Triebaumer aus Rust.
Einige Winzer aus dem Burgenland gehören in punkto Weinqualität schlicht zu den Shootingstars der internationalen Weinbranche. Weinenthusiasten schätzen die Weine Burgenlands, weil sie den kosmopolitisch orientierten Geschmacksknospen eines Gourmets genügen – und zwar Schluck für Schluck. Eine einst skandalgerüttelte Region lebt auf.(ra)
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