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Das Konzerthaus Gottes

geschrieben von Irene Lange im Juli 2018

St. Michaelis wird zu ihrem 600. Jubiläum zur festlichen Wandelkirche

Sie ist hoch und in ihrem gotischen Baustil wunderschön, doch ragen ihre Säulen ein wenig schief in den Lüneburger Himmel. Die Kirche St. Michaelis befindet sich im Senkungsgebiet der Salzstadt auf porösem Untergrund, behauptet sich aber auch 600 Jahre nach ihrem Bau in unvermindertem Glanz.
Zur Feier ihres Jubiläums gibt es innerhalb ihrer heiligen Hallen zahlreiche Konzerte, Vorträge und weitere außergewöhnliche Angebote, so dass besonders begeisterungsfähige Besucher den ge­samten September in der dreischiffigen Halle verbringen könnten. Platz genug hätten sie: Der 52 m lange, 26 m breite und 21 m hohe Raum wird zu diesem Anlass zur Wandelkirche und von Stühlen und Bänken befreit. „Das Innere wird so vielfältig erfahrbar“, erklärt Pastorin Silke Ideker, die gemeinsam mit Pastorin Annegret Bettex und Mitgliedern des Kirchenvorstands das Programm erarbeitete. Am musikalischen Part maßgeblich beteiligt ist Henning Voss. Nach seinem Studium an der Musikhochschule Lübeck und einer bemerkens­werten Karriere ist der Vollblutmusiker seit 2009 als Kantor für die Michaelis-Gemeinde und als Kirchenkreiskantor für den Kirchenkreis Lüneburg tätig. Als Mitorganisator freut er sich besonders auf die Auftaktveranstaltung mit dem Organisten Daniel Stickan, der seine Interpretationen von Werken Johann Sebas­tian Bachs, Robert Schumanns, des zeitgenössischen Philip Glass’ sowie ein eigenes Stück an der 1708 gebauten großen Orgel zelebrieren wird. Besonders reizvoll ist die begleitende Performance von Gabriela Luque — seit der vorletzten Spielzeit festes Mitglied des Ballett­ensembles des Lüne­burger Theaters.

Am Folgetag wird Pastorin Ideker die Ausstellung „Klick im Kloster“ eröffnen, die mit Schülerfotos des Gymnasiums Oedeme, die im Auftrag der Klosterkammer erstellt wurden, für erfrischende Sichtweisen sorgt.
Speziell zum Jubiläum wird ein Audioguide ent­wickelt, durch den die Besucher Spannendes über die Geschichte der Klosterkirche, über die es tatsächlich viel zu erzählen gibt, erfahren: Das Michaeliskloster mit Kirche thronte als Hauskloster der Benediktiner vom 10. Jahrhundert bis 1371 auf dem einst viel größeren Kalkberg und wurde nach der Zerstörung von Burg und Kloster ab 1376 innerhalb der Stadtmauern neu errichtet. Die dort angeschlossene Klosterschule war weit über die Region hinaus berühmt, im Mettenchor der Par­tikularschule für Knaben bürgerlicher Herkunft sang Johann Sebastian Bach von 1700 bis 1702 im Teenageralter als Chorknabe.
Für die Basis einer soliden finanziellen Grundlage sorgte Otto der Große bereits im Jahr 956, als er den Klosterbrüdern Zolleinnahmen aus der Salzgewinnung der Lüneburger Saline zugestand. Als einziges Kloster im Fürstentum Lüneburg überstand St. Michaelis die Reformation und wurde als evangelischer Konvent weiter geführt. Dieser wurde 1655 aufgelöst, das Kloster und die dazu gehörenden Schulen, die Ritterakademie und die bürgerliche Michaelisschule jedoch erst 200 Jahre später. Das hauseigene Vermögen fiel bei der Aufhebung 1850 dem Hannoverschen Klosterfond zu, der heutigen Klosterkammer Hannover.

Aus der Entstehungszeit sind an den Wänden der Unterkirche noch zwölf Weihekreuze erkennbar, vor allem aber die 18 Schlusssteine der mittel­alterlichen Gewölbe, die eine besondere Kostbarkeit darstellen. Eine weitere Kostbarkeit und ihr spektakulärer Raub sorgten für Aufsehen und zahlreiche Spekulationen: die so genannte „Goldene Tafel“, ein hölzerner Hochaltar und kostbarer Reliquienschrein. Das um 1410 von einem gotischen Maler erschaffene Meisterwerk war mit Schnitzereien und kleinen Gemälden geschmückt. Mit einem Nachschlüssel schlich in der Märznacht 1698 eine Räuberbande um den schillernden Ganoven Nickel List in die Kirche, um den sagenhaften Schatz von zehn Pfund purem Gold und Silber, Perlen und Edelsteinen zu stehlen. Während die Diebe geschnappt und hingerichtet wurden, blieben von der Tafel nur die beiden Flügelpaare des großen Altaraufsatzes. Im Landesmu­seum Hannover wurden sie gerade aufwändig restauriert. Doch auch ohne die goldene Tafel ist die Michaeliskirche nach wie vor ein bedeutsamer Ort, der im gesamten September in einem besonders hellen Licht erstrahlt.(if)
Fotos: Sammlung Hajo Boldt, Enno Friedrich

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